Joint Ventures und ein Verein für die Wasserstoff-­Zukunft

WASSERSTOFFANTRIEB Es hat zu wenig Brennstoffzellen-Fahrzeuge, weil es kaum Wasserstoff-Tankstellen hat, und es hat kaum Tankstellen, weil es zu wenig Fahrzeuge hat. Diesem Dilemma wird jetzt auf LKW-Ebene ein Ende gesetzt dank einer Schweizer Initiative, die Strom- und Mobilitätsbranche zusammenbringt.

Hyundai H2 Xcient TIR transNews
Der Hyundai H2 Xcient, wie er aktuell in Korea getestet und auf Anfang 2020 sukzessive in die Schweiz kommen wird. Mit 34,5 kg Wasserstoff fährt der 19-Tönner rund 400 km weit.

Neue Technologien haben es meist schwer. Zur allgemeinen Skepsis der Bevölkerung kommen wirtschaftliche Faktoren und der Wunsch nach jemandem, der sich für das Neue ins Zeug legt. Das trifft auch auf Wasserstoff zu, und zwar in Bezug auf den Einsatz als Energiespeicher wie in Bezug auf die Nutzung als Treibstoff in einem Brennstoffzellenfahrzeug. In der Automobilbranche spricht man schon über Jahre davon, dass man unmittelbar vor dem Durchbruch und damit vor einer Serienfertigung stehe. Aber wir warten inzwischen nicht erst ein Jahrzehnt darauf.

Plötzlich könnte jedoch alles ganz schnell gehen, zumindest in der Schweiz. Mit dem gleichzeitigen Hochziehen von Nutzfahrzeugangebot, Tankstellennetz, Transportleistung und ökologisch produziertem Wasserstoff entsteht das erste industrielle Wasserstoffökosystem in Europa. Der entsprechende Akt fand am 25. September im Wasserkraftwerk in Niedergösgen statt, im Beisein aller beteiligten Partner. Und es geht Schlag auf Schlag: Bis Ende Jahr wird in Niedergösgen die erste Wasserstoffproduktion ihren Betrieb aufnehmen und Anfang 2020 rollen die ersten Wasserstofflastwagen von Hyundai an. 50 Trucks sollen es im Jahr 2020 noch sein und bis 2025 will Hyundai in der Schweiz 1600 H₂-Lastwagen auf die Strassen gebracht haben. Natürlich steht einer späteren Expansion des Projektes in andere Länder grundsätzlich nichts im Weg.

Rolf Huber Chairman H2Energy TIR transNews
Rolf Huber, Chairman H2Energy und treibende Kraft hinter dem jetzt angelaufenen Projekt für ein vollwertiges Wasserstoff­ökosystem.

Zusammengespannt Im Vorfeld des 25. September wurden wichtige Allianzen geschmiedet. Fahrzeugseitig haben das Schweizer Start-up H2Energy und Hyundai Truck & Bus mit einer je hälftigen Beteiligung das Joint Venture «Hyundai Hydrogen Mobility» gegründet. Der koreanische Konzern, der sich als einer der Vorreiter in Sachen Wasserstoff­antrieb etabliert hat, sah in der Initiative aus der Schweiz eine grosse Chance für den breiten Durchbruch der Technologie. Zugleich war es eine reale Möglichkeit, sich auf diesem Weg mit den schweren Nutzfahrzeugen in Europa einen Platz im Markt zu erobern. Vom Tempo ist man bei Hyundai jedoch selbst etwas überrascht. «Es ist noch nicht lange her, da dachten wir, das dauere noch lange bis zur Serienfertigung von Wasserstoff-­LKW», sagte dazu Edward Lee, Executive Vice President der Nutzfahrzeug-Division der Hyundai Motor Company.

Energieseitig entstand Anfang 2019 das Joint Venture «Hydrospider», an dem ebenfalls ­H2Energy beteiligt ist (zu 45 Prozent), doch diesmal zusammen mit dem Energieversorger Alpiq (zu 45 Prozent) und dem Technologiekonzern Linde (zu 10 Prozent). Sie sorgen für die Herstellung, Lagerung und die Verteilung von «grün produziertem» Wasserstoff.

Im Förderverein H2 Mobilität Schweiz schliesslich haben sich seit Mai 2018 viele Tankstellenbetreiber, Logistik- und Transportunternehmen zusammengetan, wobei die Zahl der Mitglieder inzwischen auf 17 namhafte Firmen angestiegen ist, die schweizweit ein Netz von über 2000 Tankstellen und eine Flotte von über 4000 Lastwagen vereinen. «Mit der Ver­netzung dieser unterschiedlichen Wirtschaftssektoren beschreiten wir wirklich neue Wege», sagt Rolf Huber, Chairman von H2Energy. Das sei nur möglich geworden, weil ein fundamentales Umdenken stattgefunden habe. Ein solches Umdenken ist auch bei den Banken feststellbar, denn bis heute haben sich vier Finanzinstitute – schweizerische wie ausländische – zur Unterstützung des Wasserstoffumbruchs verpflichtet.

Mark Freymüller Edward Lee TIR transNews
Mark Freymüller (rechts) ist zum CEO des Joint Ventures Hyundai Hydrogen Mobility ernannt worden. Er leitete zuletzt die Entwicklung alternativer Antriebe bei Hyundai Truck & Bus in Korea. Links von ihm Edward Lee, Nutzfahrzeug-Direktor von Hyundai.

Der Lastwagen Die Wasserstofflastwagen werden von Hyundai ans Joint Venture Hyundai Hydrogen Mobility geliefert. CEO des Joint Ventures ist Mark Freymüller, der bislang die Entwicklung umweltfreundlicher Antriebe bei Hyundai in Korea leitete. Die Transporteure kaufen die Lastwagen nicht, vielmehr kommt ein sogenanntes Pay-per-use, ein gebrauchsabhängiges Modell, zum Tragen. Allerdings wird in einer Vereinbarung anfangs der Einsatz (Häufigkeit, Distanzen) definiert, was sich kostenrelevant im Wasserstoffabsatz spiegelt. Im Pay-per-use-Preis sind neben dem Lastwagen der Wasserstoff, der Service und die Unterhaltsarbeiten abgegolten. Das ermöglicht dem Transporteur eine klare und transparente Kostenberechnung.

Kostenmässig werden die Kunden mit Wasserstoff nicht günstiger kommen als mit Diesel, erklärt Rolf Huber. Doch würden sie ihre Transporte bei etwa gleichen Kosten CO2-frei vornehmen können, was sich beim heutigen Bewusstsein für Umweltbelange in zusätzlichen Transportaufträgen niederschlagen dürfte.

Basis für den Wasserstofflastwagen ist der Hyundai Xcient. Hinter der Kabine des vorerst als 19-Tonnen-Zweiachser konzipierten Hyundai H2 Xcient sind sieben Tanks übereinandergestellt, mit einer Gesamtkapazität von 34,5 kg Wasserstoff. Zwei aus dem Hyundai-Personenwagen Nexo bekannte Brennstoffzellen-Stacks wandeln H2 in Strom um und bringen zusammen 195 kW Output. Die Batterie zum Abdecken von Leistungsspitzen und für die Rekuperation hat gut 72 kWh Kapazität. Der Elektromotor leistet heute übliche 350 kW (476 PS) und stellt 3400 Nm Drehmoment zur Verfügung, die Kraft wird über eine reguläre Sechsstufenautomatik von Allison übertragen. Als Reichweite werden rund 400 Kilometer angegeben, eine Betankung soll die heute beim Diesel üblichen sieben bis acht Minuten in Anspruch nehmen.

Hyundai H2Energy TIR transNews
Hyundai und H2Energy sind zwar die Treiber, aber die Verknüpfung mit Energie, Infrastruktur und Nutzern gibt der Idee überhaupt eine Zukunft.

Der Wasserstoff Die Wasserstoffproduktion, die in Nie­der­gösgen bis Ende Jahr aufgebaut sein wird, kann mit zwei Mega­watt im Jahr 300 Tonnen Wasserstoff produzieren. Das entspricht dem Jahresbedarf von 40 bis 50 H2-Lastwagen oder von 1700 Personenwagen. Bis 2025 muss die Kapazität aller Produktionen bei 70 MW liegen, was 35-mal mehr wären als mit nur der ersten Anlage in Niedergösgen. «Wir streben eine dezentrale Produktion an, da sie auch die Verteilung des Wasserstoffes erleichtert», sagt Rolf Huber. Und bereits ist Bewegung im Energiesektor festzustellen. Ende September haben die Avia Osterwalder – Avia ist Mitglied im Förderverein H2 Mobilität Schweiz – und die St. Gallisch-­Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) zusammen die Wasserstoffproduktion Ostschweiz AG gegründet. Sie möchte im Frühjahr 2020 mit dem Bau einer Produk­tionsanlage und einer Tankstelle in St. Gallen beginnen.

Die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbarer Energie sieht man bei Alpiq auch als Investition in die Netzzukunft. Gemäss Amédée Murisier, Leiter des Geschäftszweigs Wasserkraft bei Alpiq und Vorstandsmitglied bei Hydrospider, kann künftig im Überfluss produzierter Strom in Wasserstoff umgewandelt und bei Strommangel wieder zurückgespiesen werden. «Und wenn später der Anteil erneuerbarer Energie aus Wind und Sonne wächst, hilft die H2-Produktion bei der Entlastung des Netzes.»

Die Verteilung des Wasserstoffs erfolgt vorerst mittels Lastwagen. «Bis etwa 50 km Entfernung vom Produktionsstandort sind die Transportkosten noch tragbar, eine längere Strecke ist aus Kostengründen nur in der Anfangszeit sinnvoll», sagt Rolf Huber. Zudem wird an der Möglichkeit spezieller Depottanks bei den Tankstellen gearbeitet, die nicht mehr vor Ort aufgetankt, sondern direkt mit dem Transporttank ausgetauscht werden.

Die Tankstellen Eine Produktion von Wasserstoff direkt bei der Tankstelle wird von Rolf Huber wegen des hohen Strombedarfs der Elektrolyse, aber auch wegen des zusätzlichen Platzbedarfs als in der Schweiz nicht sinnvoll erachtet. Vorgesehen ist die Implementierung der H2-Zapfsäulen ins bestehende Tankstellennetz. «Dazu ist zwar eine gewisse Investition nötig, aber mit zehn auf einem Tankort basierenden Lastwagen ist die Rentabilität einer Tankstelle garantiert», sagt Mark Freymüller. Dass sich sieben Tankstellenbetreiber dem Förderverein angeschlossen haben, unterstreicht den Optimismus von Freymüller. Was die Preisgestaltung angeht, so ist angedacht, dass der Nutzer für die gefahrene Distanz gleich viel für Diesel und Wasserstoff bezahlen muss.

Aktuell sind sechs H2-Tankstellen in der Schweiz im Bau, alle sind sowohl für Lastwagen als auch Personenwagen konzipiert. Wichtig ist das, weil Personenwagen den Wasser­stoff mit 700 bar speichern, die Hyundai-Lastwagen hin­gegen mit 350 bar. «Ein internationales Protokoll für eine Schnellbetankung gibt es aktuell lediglich für 350 bar», erklärt Freymüller. PW sind wegen der viel kleineren Tanks auch nicht auf eine Schnellbetankung angewiesen und schon heute dauert ein PW-Tankvorgang gleich lang wie bei Benzin und Diesel. «Ohne Schnellbetankung dauert ein Vorgang beim LKW hingegen rund 45 Minuten.» Zudem erforderte eine Schnellbetankung mit 700 bar einen zusätzlichen Kühlaufwand, um die Expansion des Wasserstoffs auf dem Weg in die Lastwagentanks zu unterbinden. «Das würde den H2-Preis praktisch verdoppeln.»

Ausblick Hyundai unterzieht die Lastwagentechnik einer gross angelegten Erprobung und Abstimmung in Südkorea, wobei man sich bemüht, die Erprobung möglichst nahe an die Schweizer Gegebenheiten (Topografie, Temperaturen, Geschwindigkeiten) anzulehnen. Die Erkenntnisse fliessen direkt in die Serienfertigung ein, die in wenigen Wochen anläuft. Anlässlich erster Ankündigungen vor einem Jahr sprach Hyundai noch von 1000 Lastwagen für die Schweiz, inzwischen ist die Zahl auf 1600 gestiegen. Während sich die ursprüngliche Zahl auf 4×2- und 6×2-Solofahrzeuge beschränkte, sollen neue Varianten wie Sattelzugmaschinen die zahlenmässige Aufstockung ausmachen. «Wir arbeiten bereits intensiv an der Sattelzuglösung, da sie ja mit Blick auf die Langstrecke die wohl wichtigste Bauart ausmacht», erklärt Jihan Ryu, Chef­entwickler bei Hyundai Truck & Bus.

Noch gilt der Lastwagen wegen seines klarer definierbaren Geschäftsfeldes als Schlüsselfahrzeug zum Ausrollen der Wasserstofftechnologie. «Wir haben aber schon heute den Personenwagen immer im Hinterkopf», sagt Rolf Huber, «denn über kurz oder lang wird der PW das viel grössere Business für Wasserstoff darstellen.» Und spätestens dann endet bei H2 die Rhetorik über das Huhn und das Ei endgültig. Oder in den Worten von Rolf Huber: «Die Zeit ist reif, und zwar nicht nur, weil sich die Gesellschaft der Umweltproblematik bewusst ist. Vielmehr haben viele Entscheidungsträger realisiert, dass sich mit ökologischem Verhalten auch ökonomisch wirtschaften lässt.» Eine Expansion über die Schweiz hinaus haben sich die Verantwortlichen bereits vorgenommen. «Aber die Zeit der Demoprojekte ist längst vorbei», sagt Mark Freymüller, «wir suchen daher ausschliesslich nach ökonomischen Geschäftsideen.»

H2Energy und mehrere Partner der aktuellen Initiative sind übrigens keine «Ersttäter» in Sachen Wasserstoff. 2016 nahm H2Energy beim Wasserkraftwerk Aarau eine erste Elektrolyseanlage in Betrieb, welche den Wasserstoff für die Coop-Tankstelle in Hunzensch­wil produziert. Ebenfalls 2016 nahm Coop einen von Esoro umgebauten Wasserstofflastwagen in Betrieb. Gemeinsam wurde seither die neue Technologie erprobt, und das Projekt ist ein wichtiger Treiber für Hyundai Hydrogen Mobility, Hydrospider und den Förderverein H2 Mobilität Schweiz.

Die verschiedenen Player

  1. Hyundai Hydrogen Mobility Hyundai Truck & Bus, Südkorea; H2Energy
  2. Hydrospider Alpiq; Linde; H2Energy
  3. Förderverein H2 Mobilität SchweizAgrola AG; Avia Vereinigung; Camion Transport AG; Chr. Cavegn AG; Coop; Coop Mineralöl AG; Emil Frey Group; Emmi Schweiz AG; Fenaco Genossenschaft; F. Murpf AG; Galliker AG; G. Leclerc Transport AG; Migrol AG; Migros-Genossenschaftsbund; Shell New Fuels; Socar Energy Switzerland; Tamoil SA
  4. FinanzierungBNP Paribas; Credit Suisse; UBS; Zürcher Kantonalbank
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