50 Jahre TIR: Pasta Forever

TIR transNews feiert 2020 ihren 50. Geburtstag. Bis Ende Jahr geben wir dem Gründer Hans J. Betz Raum, um uns mit seinen Erinnerungen auf eine Zeitreise mitzunehmen. Dies ist das erste von insgesamt elf Zeitdokumenten aus dem Transportsektor von damals.

50 Jahre TIR Fähre Espresso Cagliari Venedig TIR transNews
Erinnerungen aus 50 Jahre TIR: Das Getümmel von Menschen und Fahrzeugen beim Verladen der Fähre Espresso Cagliari im Hafen von Venedig.

Ich liebe Pasta über alles. Ob Spaghetti, Tortellini, Makkaroni oder Ravioli, Pasta passt immer. Nur einmal hatte ich von Spaghetti & Co. die Nase voll, machte für kurze Zeit einen grossen Bogen um Grotto, Osteria und Cucina. Und das kam so: Anfang Juni 1976 erhielt ich von einem Basler Spediteur das Angebot, einen Transport von der Ostschweiz nach Ägypten zu begleiten. Ohne Zweifel ein verlockendes Ziel, zumal das Land damals noch nicht vom Massen- und Billigtourismus heimgesucht wurde. Es kam der Tag, als ich in Buchs SG Silvano, den Chauffeur der Firma Fagioli aus Sant’Ilario d’Enza traf. Ein herzlicher Typ, der mich bis Venedig begleiten sollte. Die Ladung bestand aus Betten, die für das im Bau befindliche Mövenpick Hotel in Gizeh, in Sichtweite der berühmten Pyramiden, bestimmt waren.

Anreise Mit 260 PS machte die Fiat-Zugmaschine am San Bernardino keine schlechte Figur und Chiasso war schnell einmal erreicht. Die Zollabfertigung erforderte nur wenig Zeit. Das Tagesziel war Sant’Ilario, östlich von Parma. Hier liegt der Firmensitz des 1955 gegründeten Unternehmens, das noch heute weltweit in verschiedenen Sparten tätig ist, namentlich in Spezialtransporten. Allerdings musste auf dem Weg in den Süden zuvor Seveso durchquert werden. Hier ereignete sich am 10. Juli 1976 – also kurz vor unserer Reise – bei der Chemiefirma Icmesa (Roche-Konzern) eine schwere Explosion, bei der eine unbekannte Menge Dioxin entwich. Die Anzeichen für den Chemieunfall waren die im Hochsommer vollkommen entlaubten Bäume am Stras­senrand. In Sant’Ilario angekommen, liess es sich Firmengründer Giovanni Fagioli nicht nehmen, mich durch den damals schon respektablen Betrieb zu führen. Hier einige Fakten zu damals: 20 Mechaniker, die teilweise im Offshore-­Bereich tätig waren, 80 Lastwagen, über 200 Trailer, zahl­reiche Schwertransportfahrzeuge und vier Helikopter.

50 Jahre TIR Fagioli TIR transNews
Nabil A. Chamy, der Fagioli-Agent in Alexandria in seinem bescheidenen Büro.

Den Abend verbrachte man in der Trattoria Da Nicola, mit Fleisch vom Grill, aber auch mit viel Pasta. Am nächsten Tag wurde die Zugmaschine gewechselt. Nun kam ein Fiat 643 aus den 60er-Jahren zum Einsatz, die dem Fagioli-Agenten Nabil A. Chamy am Ziel in Alexandria verkauft wurde. Der weitere Transportverlauf und die Einschiffung in Venedig Porto Marghera auf die RO/RO-Fähre Espresso Cagliari verlief ohne Zwischenfälle. Interessant zu sehen war das Getümmel vor der Fähre. Hoch beladene Kleinbusse mit Ziel Piräus, Händler aus Ägypten, Libyen und dem Sudan, bepackt mit Taschen und Juteballen, aber auch Männer, die in Italien gekaufte Waschmaschinen und Kühlschränke mittels Sackkarren in die Fähre schoben. Ähnliche Bilder sind übrigens noch heute beim Terminal in Genua für die Tunesienfähre zu sehen, wobei die Sackkarren durch schwerst beladene Personen- und Lieferwagen ersetzt wurden.

Nun denn, zurück nach Venedig. Goldschmuck behangene, sogenannte Business-Ladies, die offensichtlich in Europa besonderen Geschäften nachgingen, befanden sich ebenfalls unter den Passagieren. Bei schönstem Wetter ging es dem Stiefel entlang in Richtung Kanal von Korinth. Das Essen an Bord war sehr abwechslungsreich. Während die moslemischen Passagiere mit Huhn und Couscous verpflegt wurden, hatten die Europäer die Wahl zwischen Huhn und Pasta oder Pasta mit Huhn. Frühmorgens des zweiten Tages fuhren wir in den Kanal von Korinth ein. Am Mittag verliessen die Griechen in Piräus das Schiff, weitere Passagiere und Fahrzeuge kamen hinzu und die Bordküche wurde mit Hühnern und Pasta ergänzt, Speisen, die weitere zwei Tage kredenzt wurden.

Warten Am Abend des vierten Tages legte die Espresso Cagliari in Alexandria an. Der Sattelzug war während drei Tagen Gast im Zollhof von Alexandria, bevor die Fahrt in Richtung Kairo angetreten werden konnte. Mit einem Taxi schaffte ich es am späten Abend zum Büro von Nabil A. Chamy, einem freundlichen jungen Mann, dessen Familie aus dem Libanon stammte und durch Coca-Cola-Distribution zu Wohlstand gekommen war. Ich wiederum machte mit einer vollkommen neuen Welt, der sogenannten Dritten Welt, Bekanntschaft. Alles spielte sich bis weit nach Mitternacht auf der Strasse ab. Eselkarren, hupende Autos, russische Lastwagen, Teeverkäufer — Eindrücke, die mich geprägt haben. Das Büro von Nabil war eher bescheiden, bestand aus einem Schreibtisch, drei Stühlen, einem Fernschreiber und einem Telefon. Die weiteren drei Abende, während der wir auf die Zollfreigabe des Lastwagens warteten, verbrachten Nabil und ich jeweils bei einem der zwölf in Alexandria ansässigen Italiener – bei Pasta und Rotwein. Nächtigen konnte ich im Penthouse einer Villa im Nobelort Agami Beach, gegenüber einem Rohbau, der durch obdachlose Familien «trocken gewohnt» wurde.

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Geschafft! Unser Sattelzug mit den Betten fürs Mövenpick-Hotel vor den Pyramiden von Gizeh.

Heimreise Ich war froh, als schliesslich der ägyptische Fahrer den Truck übernahm und sich einen Weg durch das Verkehrs­chaos in Richtung Gizeh bahnte. Die restliche Geschichte ist schnell erzählt. Mövenpick bekam seine Betten, ich sah die Pyramiden und der junge Mohammad al Gaddafi provozierte einmal mehr Grenzkonflikte, weshalb in Ägypten der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Überall sah man Maschinengewehrnester. Die Grenzen wurden dicht gemacht, der Flughafen von Kairo wurde geschlossen. Ich logierte zwar im Mena House, einem der besten Hotels des Landes, sass jedoch für weitere fünf Tage in Ägypten fest, zusätzlich geplagt durch einen nicht enden wollenden Durchfall. Ein junger Schweizer Koch, der im Mena House arbeitete, empfahl mir, ausschliesslich Pasta zu essen, weil Fleisch und Kartoffeln auf Eselkarren, voll mit Fliegen, angeliefert würden.

Nach fünf Tagen wurde ich erlöst, oder doch nicht ganz. In der beinahe leeren DC-10 von Kairo nach Genf des damals noch unbestrittenen Luftfahrtstolzes der Schweizer, der Swissair, wurde Hühnchen mit Pasta serviert. Man roch, dass das Catering aus Ägypten kam. Die Stewardess hatte Erbarmen, servierte mir die beim Hinflug übrig gebliebenen Brötchen, zusammen mit herrlichen Galachäsli. In Genf angekommen, bestellte ich im Bahnhofbuffet ­einen Wurst-Käse-Salat. Trotzdem, Pasta forever, allerdings ohne Hühnchen.

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