«Welcher Antrieb ist richtig?» – Analysetool klärt
TRANSPORTLOGISTIK Das Thema der Digitalisierung der Transportlogistik in Verbindung mit CO₂-armen LKW-Antrieben dreht sich ganz um die im Titel gestellte Grundsatzfrage. Die Migros hat mit der Empa gemeinsam an einer Lösung gearbeitet und ein spezielles Analysetool entwickelt.
Bis heute geniesst der Dieselantrieb im Strassengüterverkehr praktisch weltweit eine Monopolstellung, weil er leistungsstark, robust, kostengünstig und sehr universell einsetzbar ist. Die Einsatzmöglichkeiten beginnen bei kleinen Arealfahrzeugen und führen über lokale oder regionale Verteilfahrzeuge, über den internationalen Strassengüterverkehr bis hin zu übergrossen Schwerstlast- und Spezialtransportfahrzeugen mit allen erdenklichen Aufbauten und Nebenaggregaten. So gut die betrieblichen und wirtschaftlichen Eigenschaften dieses Antriebs auch sind, die CO₂- Emissionen in Verbindung mit fossilem Diesel werden von den Kunden und der Gesellschaft zunehmend nicht mehr akzeptiert. Aus diesem Grund analysieren viele Lastwagenflottenbetreiber den Umstieg auf CO₂-arme Fahrzeuge.
Doch der Umstieg auf CO₂-arme Antriebskonzepte ist wirtschaftlich anspruchsvoll und stellt aufgrund der reduzierten Universalität logistische, technische und betriebliche Herausforderungen. Deshalb haben Migros und Empa in einem Anaylsetool einen Algorithmus entwickelt, der diese Umstellung in hohem Masse unterstützt.
CO₂-REDUKTION IST EINE ENERGIEFRAGE
Der Einsatz von Biogas-, Wasserstoff- oder Elektrolastwagen weist im Vergleich zu mit fossilem Diesel betriebenen Lastwagen CO₂-Reduktionspotenziale von 80 bis 90 Prozent auf (Grafik «CO₂-Äq.- Emissionen»). Nicht unberücksichtigt bleiben dürfen dabei allerdings die Auswirkungen auf das energetische Gesamtsystem. Wird nämlich die erneuerbare Energie für die Mobilität einfach nur dem Energiesystem entzogen, fehlt sie möglicherweise in anderen Energiesektoren und muss dort fossil «nachgefüttert» werden. Dies kann die beabsichtigte CO₂-Reduktion im Fahrzeugbereich verringern, wenn nicht gar ganz aufheben. Eine tatsächliche CO₂-Einsparung wird dann erzielt, wenn bei der Umstellung von Lastwagenflotten die Produktion von zusätzlicher erneuerbarer Energie erhöht oder anderweitig nicht nutzbare erneuerbare Energie verwendet werden kann.
Neben der bestehenden Wasserkraft, die das Rückgrat der schweizerischen Energieversorgung darstellt, weist die Photovolatik (PV) bei den erneuerbaren Energien das grösste Zubaupotenzial auf. Strom aus Solaranlagen fällt allerdings mehrheitlich im Sommerhalbjahr an, wo die Wasserkraft den Strombedarf schon fast alleine decken kann. Zudem weist die Photovoltaik eine starke Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung auf, bzw. weist eine hohe Stromproduktion während sonnigen Mittagsstunden auf und deutlich weniger an nebligen oder regnerischen Tagen sowie keine Stromproduktion in der Nacht. Ohne einen massiven Zubau von zusätzlichen Kurzzeit-Stromspeicherkapazitäten wie Batterien, Erweiterungen der Pumpspeicherkraftwerke und Wasserstofferzeugungsanlagen kann diese Energie deshalb nur teilweise nutzbar gemacht werden. In der näheren Zukunft weisen neben der Photovoltaik nur noch Biogas und Windkraft nennenswerte Zubaupotenziale auf, die aber bis zu einer Grössenordnung niedriger liegen als dasjenige der Photovoltaik. Allerdings – und dieser Aspekt ist durchaus relevant – weisen Biogas und Windkraft ein ausgeglicheneres saisonales Erzeugungsprofil auf als die Photovoltaik. Eine wichtige Rolle spielt zudem der Wegfall der Atomenergie.
CO₂-MODUL FÜR DEN LKW-BEREICH
Das Energiesystem der Zukunft wird somit durch höhere Anteile an fluktuierender Elektrizität mit saisonal stark unterschiedlichen Erzeugungsprofilen, höhere Biogasnutzung und einen starken Ausbau von Kurzund allenfalls Langzeitstromspeichern geprägt sein. Vor diesem energetisch heterogenen Profil, das eine der Grundlagen für die Umstellung von Lastwagenflotten darstellt, hat die Migros gemeinsam mit der Empa ein Verbrauchsund CO₂-Modul entwickelt, das nicht den Wechsel auf ein bestimmtes Antriebskonzept, sondern den systemdienlichen Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie zum Ziel hat. Im Fokus sind niedrigstmögliche CO₂-Emissionen für das Gesamtsystem. Für die Eindämmung des Klimawandels ist das die einzig relevante Grösse.
Das Modul wurde in das Güterverkehrsmanagementsystem der Migros integriert und konnte inzwischen mit «myclimate» zertifiziert werden. Das Modul wird es der Migros erlauben, die CO₂- Emissionen als Dispositionsaspekt zu nutzen.
Fahrzeugtechnisch wird die CO₂-Minderung durch die Umstellung auf mit Elektrizität, mit Wasserstoff und mit Biogas betriebene Lastwagen erreicht. Die Umstellung der Flotte kann laufend den neusten Entwicklungen angepasst werden. Die verschiedenen Antriebe weisen unterschiedliche energiesystemische Eigenschaften auf sowie unterschiedliche betriebliche und wirtschaftliche Vor- und Nachteile. Ein detailliertes Verständnis dieser Vor- und Nachteile ist eine Voraussetzung für die Entwicklung einer robusten CO₂-Minderungsstrategie.
Neben energie- und fahrzeugseitigen Aspekten müssen weitere Punkte berücksichtigt werden: Während sich der Umstieg einzelner Fahrzeuge noch verhältnismässig einfach gestaltet, ist die Umstellung grösserer Flotten schon deutlich anspruchsvoller. Nicht primär fahrzeugseitig, sondern insbesondere hinsichtlich der Energiebereitstellung (Ladesäulen und Tankstellen und deren Versorgung) sowie – und dies soll im Folgenden ausgeführt werden – hinsichtlich logistischer Anforderungen.
DIGITALISIERUNG DER TRANSPORTROUTEN
Wie eingangs erwähnt, erreicht keine CO₂-arme Alternative die hohe Universalität des Diesels. Bei Elektroantrieben können zum Beispiel hohe Anschlussleistungen von Nebenaggregaten oder lange Strecken limitierend wirken und bei Gas- und Wasserstoffantrieben die nur punktuell vorhandene Tankstelleninfrastruktur. Ganz allgemein stellt auch die Wirtschaftlichkeit, also die TCO, CO₂-armer LKW eine Herausforderung dar (Grafik «TCO»). Die gesetzlich umgesetzte LSVA-Befreiung für Elektro- und Brennstoffzellenlastwagen sowie die soeben vom Parlament verabschiedete, gesetzlichaber noch nicht definierte LSVA-Entlastung für mit erneuerbaren Treibstoffen (beispielsweise Biogas) betriebene Fahrzeuge ist wirtschaftlich mitentscheidend für den Umstieg. Und um diesen Umstieg auch logistisch und betrieblich optimal zu gestalten sowie eine grösstmögliche CO₂-Reduktion bei niedrigstmöglichen Kosten zu realisieren, braucht es entsprechend aufgestellte Hilfsmittel. Diese sollen energetische, betriebliche und wirtschaftliche Analysen verschiedener Antriebskonzepte auf der Basis von Einzelfahrten ermöglichen.
Die Migros versorgt ihre Verteilzentren und Läden in der ganzen Schweiz über einige Hundert verschiedene Routen. Einige davon liegen primär innerstädtisch, andere führen durch bergige Regionen, wieder andere befinden hauptsächlich auf Autobahnen usw. Um möglichst viele CO₂- arme Lastwagen möglichst optimal einzusetzen, setzt die Migros auf die Digitalisierung. Der gemeinsam von der Migros und der Empa entwickelte Fahrzeugalgorithmus beinhaltet die (digitale) Abbildung aller Lastwagen-Einzelfahrten mit detaillierter Berücksichtigung der Profile von Beladung, Topografie, Geschwindigkeit und aller Nebenaggregate. Dabei werden aus einem Stammdatensatz die Fahrzeugparameter eingelesen, wie Fahrzeugleergewicht, Stirnfläche, Fahrwiderstandswerte sowie betriebsspezifische Angaben der verschiedenen Antriebstechnologien. Hierfür werden Daten und Modelle für die Berechnung des realen Verbrauchs sowie die CO₂-Kennwerte der verschiedenen Energieträger importiert. Für Hybrid-, Brennstoffzellenund Elektroantriebe werden die Batteriekapazitäten sowie Spezifikationen zur Rekuperation aus den Stammdaten geladen.
Im nächsten Schritt werden die Routendaten eingelesen und in 30-m-Segmente eingeteilt. Die darin enthaltenen Grössen sind die GPS-Koordinaten der Route und der Umschlagplätze, Höheninformationen der gesamten Strecke, das Beladungsprofil sowie die Höchstgeschwindigkeiten auf den Streckenabschnitten. Die Geschwindigkeitsprofile werden aus den Höchstgeschwindigkeiten der Streckenabschnitte sowie antriebsstrangtypischer Leistungs-, Beschleunigungs- und Verzögerungswerte berechnet. Anhand dieser Daten werden für jedes 30-m-Streckensegment und für jede Antriebsart die effektive mittlere Antriebsleistung am Rad und die zugehörige Antriebsleistung ermittelt. Damit kann der erforderliche chemische oder elektrische Energiebedarf und darauf basierend die resultierende CO₂-Emission berechnet werden. Das führt schliesslich zur Auflistung der CO₂-Emissionen und zur Erkenntnis, ob eine Route mit den jeweils verschiedenen Antriebskonzepten befahrbar ist (siehe Screenshot oben).
Zudem sind betriebliche Analysen möglich, beispielsweise hinsichtlich Fahrdauer oder Betankungs- und Batterieladezeiten. Das System erlaubt des Weiteren die Identifizierung optimaler Tankstellen- oder Ladesäulenstandorte und deren grobe Spezifizierung. Schliesslich erlaubt das System aussagekräftige Prognosen zu den CO₂-Emissionen, den erforderlichen Investitionen im LKW- und im Betankungs-/Ladeinfrastrukturbereich sowie ihrem Betrieb.
DER AUSBLICK
Die Unterstützung des Minimierungsziels der CO₂-Emissionen trotz allenfalls steigendem Transportvolumen ohne signifikante Mehrkosten pro Tonnenkilometer ist ein erstes Ziel des Digitalisierungsansatzes der MigrosTransportlogistik. Neue technologische, regulatorische oder betriebliche Entwicklungen können integriert und im Gesamtkontext untersucht werden. Dabei können auch Schnittstellen zu neuen Logistikansätzen, wie beispielsweise Cargo-Sous-Terrain-Transporte, integriert werden.
Die detaillierte digitale Erfassung aller Transporte ist aber längerfristig auch für den autonomen und automatisierten Strassengüterverkehr relevant. Wie bei den CO₂-Emissionen, geht es auch dabei nicht primär um die isolierte Betrachtung einzelner Lastwagen, sondern um neue, ganzheitliche Ansätze mit wiederum vielen neuen Schnittstellen. Ohne diesen digitalen Ansatz wird auch dieser Umstieg schlicht nicht zu schaffen sein.