Neues BAV-Projekt Relocation: Eisenbahnzüge auf die Strasse

ALPENTRANSIT Um den Gütertransport auf der Bahn attraktiver zu machen, startet das Bundesamt für Verkehr BAV ein neues, befristetes Projekt. Güter- und Personenwagons sollen auf Tiefladern über die Alpen transportiert werden. Das sei kostengünstiger und flexibler.

Relocation TIR transNews
Relocation heisst das Projekt des Bundesamtes für Verkehr, das Schienengüterverkehr attraktiver machen soll.

Bundesbern schlägt Alarm: Das Transportvolumen auf der Strasse ging in der Schweiz 2023 um 1,4 Prozent zurück, das auf der Schiene um 5,9 Prozent. Das zeigt: der Gütertransport auf der Schiene verliert gegenüber dem Strassentransport an Attraktivität. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat nun einen Massnahmenkatalog erarbeitet, um diesem Effekt zumindest kurzzeitig entgegenzuwirken. Unter dem Projektnamen «Relocation» (Lateinisch für Rückverlagerung) wird ab heute der Multimodalverkehr um eine Variante erweitert. Nebst Strasse, Schiene und Kombiniertem Verkehr (KV) ist nun auch die Variante Relocations-Verkehr (RV) im Angebot.

«Sowohl der reine Schienengüterverkehr als auch der Kombinierte Verkehr werden vor allem aus zwei Gründen kritisiert: zu teuer und zu unflexibel», erklärt Projektleiter Hans-Peter Sürmeli und verspricht: «Mit dem RV gehören diese Nachteile der Vergangenheit an.»

Die Eisenbahn für die Strasse

Das Prinzip von Relocation ist einfach: Güterwagons werden auf Tieflader verladen und dann als Sattelzug über das Strassennetz an den Bestimmungsort gefahren. Der Clou: das System wurde technisch so entwickelt, dass auch Eisenbahnwaggons mit Wechselbrücken oder gar Sattelanhängern an Bord auf die Spezialtieflader geladen werden können. «Wir haben dann quasi den Sattelauflieger auf dem Bahnwagon auf dem Strassentieflader. Das ist genial!», freut sich Sürmeli.

Er nennt gleich mehrere Vorteile: «Erstens die Flexibilität. Der Sattelzug ermöglicht es, praktisch jede Adresse in der Schweiz sowie im Ausland anzufahren.» Voraussetzung sei, dass in der Nähe ein zugänglicher Schienenanschluss besteht, an den der Eisenbahnwagon aufgegleist werden kann. «Ein nächster Vorteil ist, dass die Personalkosten viel tiefer ausfallen.» Weil trotz Fachkräftemangel der Wettbewerb besser spiele, seien LKW-Chauffeure eingfacher und günstiger zu finden. «Der ganz grosse Vorteil ist aber, dass wir insbesondere in Deutschland eine Versorgungssicherheit von an die 100 Prozent haben. Die Deutschen Eisenbahner streiken wieder mal? Kein Problem! Schweizer Chauffeure holen die Güterwagons an jedem Standort ab und liefern sie so pünktlich wie die Eisenbahn in Italien ab. Also, so pünktlich wie die Schweizer Eisenbahn.»

Auf die Frage nach Nachteilen kann Sürmeli nur einen nennen: «Natürlich unterliegt man als Strassentransporteur in der Schweiz dem Nachtfahrverbot. Ausser, Sie transportieren Wagons der Post. Und ja, vielleicht steht man etwas im Stau vor dem Gotthard. Aber das ist ja nichts Neues.» Auf unseren Frage, ob der RV dem Verlagerungsziel von maximal 650’000 LKW über die Alpen nicht entgegenwirke, meinte Sürmeli: «Das ist doch Erbsenzählerei. Für uns ist die Anzahl transportierter Eisenbahnwagons relevant.»

Appenzeller-Bahn TIR transNews
Im zweiten Schritt sollen dann auch Personenzüge auf Tiefladern über die Strasse transportiert werden. Warum man nicht schon früher darauf gekommen ist?

Nächster Schritt: Relocation für Personenzüge

Die Einführung des RV für den Güterverkehr ist nur der erste Schritt. Für den Personenverkehr sieht das BAV noch ein viel grösseres Potenzial. Nochmals Sürmeli: «Weil der Gotthard-Basistunnel seit dem Unfall am 10. August 2023 keine Personenzüge mehr durchlässt, dauert die Zugreise von der Alpennordseite ins Tessin und umgekehrt rund eine Stunde länger. Selbstverständlich können auch Passagierwagen auf Tiefladern über die Strassen transportiert werden, um die verlorene Stunde wieder einzuholen. Die Nachfrage schätzen wir als riesig ein.»

Unseren Einwand, dass dafür Reisebusse vielleicht geeigneter wären, wischte Sürmeli beiseite: «In einem Eisenbahnwagon haben viel mehr Personen Platz, das ist Fakt.» Sollte die tatsächliche Nachfrage die Erwartungen erfüllen, würde man die Infrastruktur anpassen müssen. Sprich: für einen künftigen emissionsfreien RV würde die Nationalstrasse A2 durchgehend von Landesgrenze zu Landesgrenze mit Oberleitungen ausgestattet. «Für die Transportunternehmen wird Elektromobilität dann ganz rasch viel kostengünstiger. Denn die auf dem Tieflader transportierten Lokomotiven leiten den Strom über ihre Pantografen an den Elektromotor der Sattelzugmaschinen weiter. E-LKW brauchen dann keine grossen Batterien, wodurch sie viel billiger werden würden. Und auch wenn der Gotthard-Basistunnel ab September wieder uneingeschränkt befahren werden kann, so haben wir im Fall eines erneuten Unfalls mit dem Relocations-Verkehr eine bewährte Bahnersatzlösung.»

 

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