Die Scania Elektro-LKW-Plattform kommt auf leisen Sohlen

ELEKTRIFIZIERUNG Mit der modularen Plattform ist Scania beim Elektro-LKW ein guter Wurf gelungen. Auf norwegischen Strassen nördlich von Oslo waren wir im Scania R45 sowohl leise als auch mit geringem Energieverbrauch unterwegs. Auch normalisiert sich die Lieferung der Batteriezellen zusehends.

Die neue E-Truck-Generation von Scania fährt sich angenehm leise. Als 40S (Bild) bietet er 400 kW Dauerleistung.
Die neue E-Truck-Generation von Scania fährt sich angenehm leise. Der 40S (Bild) bietet 400 kW Dauerleistung.

Im vergangenen Herbst hat Scania seine neue Elektro-LKW-Plattform vorgestellt. Sie ist genauso modular aufgebaut wie die bekannten Dieselmodelle. Doch dadurch, dass sie gezielt auf den elektrischen Antriebsstrang ausgelegt ist, handelt es sich nicht mehr um umgerüstete Dieselmodelle wie zu Beginn der elektrifizierten Lastwagen, sondern um eine eigenständige Fahrzeuglinie (TIR 01-02/2024). Das hat vor allem Auswirkungen auf das Chassis, das von Scania als Megastruktur bezeichnet wird, wo die Batterien ohne Zusatzrahmen direkt am Chassis befestigt werden.

Um zu wissen, ob der Scania, vor dem wir stehen, nun ein E-Truck ist oder ein herkömmlicher Diesel, braucht es beinahe schon ein Kennerauge. Die Zahl bei der Modellbezeichnung und die geänderten Chassisverschalungen sind dabei die deutlichsten Indikatoren, an der Kabine sonst gibt es keine anderen Anzeichen. Mit dieser Designphilosophie geht Scania den gleichen Weg wie die anderen OEM mit Elektro-LKW, die optisch kein Aufheben um den neuen Antriebsstrang machen. In der Kabine selbst sind die Unterschiede genauso minim.

Scania BEV TIR transNews
Die Ergonomie ist unverändert, lediglich die Anzeigen wurden etwas an den Elektroantrieb angepasst.

Neue Kompetenzen gefragt

Auch der Umstand, dass sich Scania vom reinen LKW-Hersteller zum Dienstleistungsanbieter wandeln will, ist ein allgemeiner Teil der laufenden Energie- und Verkehrstransformation. So arbeitet man in Södertälje daran, Hardware und Dienstleistungen fürs Depot-Charging aufzubauen und anzubieten. Auch bringt der elektrische Energiespeicher neue Herausforderungen für die Werkstätten mit sich, weshalb neue Kompetenzen erarbeitet und neue Serviceleistungen nötig werden.

Aktuell bereitet Scania in Europa sein Servicenetz auf die Ausbreitung seiner E-Lastwagen auf Basis der Scania Elektro-LKW-Plattform vor. Dazu werden die Mechaniker an etlichen Servicestandorten gezielt ausgebildet. Als höchste Ausbildung sind Arbeiten auch innerhalb des Batteriegehäuses zu sehen, welche ausschliesslich in einem der Batteriereparaturzentren ausgeführt werden. Die Stufe davor sind Arbeiten am Hochvoltsystem (aber nicht innerhalb des Batteriegehäuses) in als Diagnosezentren zertifizierten Werkstätten. In der Schweiz soll das Netz bis etwa Ende Jahr bereitstehen. Dabei werden am Hauptsitz in Kloten Batteriereparaturen vorgenommen, an acht weiteren Standorten die Arbeiten am Hochvoltnetz (Skizze).

Die Batteriestützpunkte in der Schweiz, die bis Ende 2024 bereit sein sollen. Das Reparaturzentrum ist in Kloten.
Die Batteriestützpunkte in der Schweiz, die bis Ende 2024 bereit sein sollen. Das Reparaturzentrum ist in Kloten.

Auf in den Truck!

Einen ersten oberflächlichen Eindruck vom eigentlichen E-Lastwagen konnten wir bereits kurz vor der Präsentation auf der transport-CH im letzten Herbst gewinnen. Zeit also für eine echte Testfahrt. Dafür stand ein auf 36 Tonnen ausgelasteter Sattelzug bereit, der als 45R das niedrigere Fernfahrerhaus und die aktuell höchste Motorisierung aufweist. Letztere verfügt über 450 kW (612 PS) Dauerleistung – daher die Bezeichnung 45 – und kann kurzzeitig bis 511 kW (695 PS) leisten. Vom gleichen Antriebsstrang ist mit dem 40R/S auch eine Version mit 400 kW Dauer- und 411 kW Spitzenleistung erhältlich. Die aktuell noch einzige Batteriegrösse hat eine Nettokapazität von 468 kWh, brutto sind es 624 kWh. Ein 40-Tönner soll damit garantiert 350 Kilometer weit kommen.

Der Startvorgang dauert ähnlich lang wie beim Diesel, nur bleibt es still in der Kabine. Los geht es, wenn die grüne Ready-Lampe aufleuchtet. Das Temperament bestimmt der Chauffeur allein mit dem Fahrpedal, unterschiedliche Fahrprogramme, wie man sie vom Diesel kennt, wie Eco oder Power, sind nicht vorgesehen. Mehr Spielraum wird dem Fahrer hingegen beim Verzögern oder Bergabfahren mit der Energierückgewinnung geboten.

Also fädeln wir auf die Autobahn Richtung Norden ein, setzen den Tempomaten auf die erlaubten 80 km/h und nehmen uns einen Moment, um den Überblick über den R45 zu gewinnen. Das braucht denkbar wenig Zeit, denn eigentlich gilt: Wir sitzen in einem Scania. Punkt. Ausser den BEV-üblichen Instrumentenanzeigen wie Leistungsmeter statt Drehzahlmesser hat Scania nichts an der bewährten Ergonomie geändert.

Die Antriebseinheit mit drei E-Maschinen und 6-Gang-Getriebe sorgt für ein ruckfreies Anfahren und Beschleunigen.
Die Antriebseinheit mit drei E-Maschinen und 6-Gang-Getriebe sorgt für ein ruckfreies Anfahren und Beschleunigen.

Am Hebel der Macht der Scania Elektro-LKW-Plattform

Auch die Fahrt geradeaus ist unspektakulär normal, einmal von der wirklich geringen Geräuschentwicklung in jedem Tempobereich abgesehen. Und man beschleunigt ruckfrei-zügig, was durch das Zusammenführen von drei Elektromotoren und einem 6-Gang-Getriebe ermöglicht wird, deren Zusammenspiel nie eine Zugkraftunterbrechung auftreten lässt. Spurrillen bleiben unangenehm, Bodenwellen und Stösse ebenfalls.

Erwartungsvolle Spannung erwächst beim Wechsel auf die Überlandstrassen. Vorausschauen, frühzeitig Fuss vom «Gas», gezieltes Rekuperieren, vor der Steigung Schwung holen – die Klaviatur von Ecodrive kann hier voll genutzt werden. Dabei arbeitet man nicht nur mit dem bisherigen Motorbremshebel an der Lenksäule, vielmehr kann der Rekuperationsgrad auch über das Bremspedal gesteuert werden. Erst bei wirklich festem Bremsdruck wird auch die Betriebsbremse aktiv. Und lange Fahrten im Gefälle lassen sich automatisch rekuperierend mit gesetztem Tempomaten bewerkstelligen oder auch mit per Bremsimpuls aktiviertem «Tempohalten».

Geladen werden kann mit bis zu 375 kW, wobei die Batterien bereits heute für Megawatt-Charging ausgelegt sind.
Geladen werden kann mit bis zu 375 kW, wobei die Batterien bereits heute für Megawatt-Charging ausgelegt sind.

Das Schöne am Rekuperieren ist, dass beim Abbau kinetischer Energie diese nicht bloss als heisse Luft verpufft, sondern zurück in die Batterie fliesst. Auf der knapp 180 Kilometer langen Testrunde haben wir zwischenzeitlich bis zehn Prozent Batterieladung zurückgewonnen, konnten im Verkehrsfluss locker mithalten und haben auch den neuen Komfort des ruckfreien Beschleunigens geniessen gelernt. So gesehen, ist Scania mit der neuen Elektro-Plattform bereit für den Markt. Dabei hilft auch, dass der Batteriezellenlieferant Northvolt seine nach einem Brand stillgelegte Zellproduktion wieder hochfahren konnte.

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