eActros Praxis-Erprobung auch in der Schweiz

DER E-TRUCK KOMMT Mercedes-Benz hat seinen ersten schweren LKW mit Elektroantrieb entwickelt und bringt den eActros für die nächsten zwei Jahre zur Erprobung zu ausgewählten Kunden. Zwei davon sind in der Schweiz, sodass der eActros seine Bewährungsprobe auch bei der Migros und bei Camion Transport absolvieren muss. Wir waren beim «Stapellauf» dabei.

Mercedes-Benz eActros Praxis-Erprobung TIR transNews
Mercedes-Benz bringt eine erste Flotte von zehn eActros auf den Markt, mit denen die Erkenntnisse aus der Praxis-Erprobung ausgewertet werden sollen.

Bezüglich Elektrolastwagen hat der Daimler-Konzern die Nase weit vorn. Kurz vor Weihnachten wurden die ersten Fuso e-Canter in Betrieb genommen mit bis zu 7,5 Tonnen Gesamtgewicht; in den nächsten Wochen folgen nun erste Modelle des eActros, der komplett batterieelektrisch angetrieben wird und je nach Version bis zu 25 Tonnen Gesamtgewicht aufweist. Ab Markteinführung im Jahr 2021 nach der Praxis-Erprobung rechnet Stefan Buchner, Leiter Mercedes-Benz Trucks, mit einem Produktionsanteil des eActros von rund zehn Prozent.

Mit einer Batterie, die aus elf Einheiten besteht, die zusammen 245 kWh Kapazität aufweisen, bietet der eActros eine Reichweite von rund 200 Kilometer. Von diesem Fahrzeug stellt Mercedes eine aus zehn Exemplaren bestehende «Innovationsflotte» her, mit der innerhalb der kommenden 24 Monate ein Pilotbetrieb beim Kunden durchgeführt wird, der wiederum in zweimal zwölf Monate unterteilt ist. In dieser Praxis-Erprobung soll zum einen der Betrieb analysiert werden, es sollen aber auch Lösungen für einen breiten Einsatz ausgearbeitet werden. «Wir wollen beim Serienstart nicht nur den Elektro-Truck haben, sondern ein Gesamtpaket anbieten können», meint Stefan Buchner.

Praxis-Erprobung stösst auf grosses Branchen-Interesse

Das Interesse bei der Transportbranche an der Teilnahme am Pilotbetrieb ist riesig. So hatte Mercedes nur schon aus Deutschland über 150 Kundenanfragen für die Teilnahme. Für die ersten zwölf Monate ist die Auswahl bereits bekannt, darunter nehmen aus der Schweiz die Migros und Camion Transport am Piloten teil. Mit einer Testdauer von einem ganzen Jahr sollen die unterschiedlichen Bedingungen der vier Jahreszeiten erprobt werden, damit Mercedes und die Kunden sich ein Bild der Technologie übers ganze Jahr machen können.

Wegen der unterschiedlichen Nutzung der Kunden hat Mercedes die Ladebrücken mit einem Wechselsystem versehen und bei Schmitz Cargobull die passenden Wechselbehälter bestellt. So lässt sich in wenigen Minuten der Kastenaufbau zum Kühlaufbau oder zum Aufbau mit Verdeck wechseln.

Stefan Buchner Mer­cedes-Benz ­Trucks eActros TIR transNews
Stefan Buchner, Leiter Mer­cedes-Benz ­Trucks, stellte den eActros höchstpersönlich vor.

«Bis zur Serie braucht es noch viele Anpassungen», ist Stefan Buchner überzeugt. So sind in der Pilotphase alle zehn eActros mit vielen Nutzungssensoren bestückt, um eine tiefgreifende Auswertung zu ermöglichen und auch subjektive Aussagen aus dem Betrieb interpretieren zu können. Dabei handelt es sich um Informationen wie Routenwahl, Batteriezustand, Reichweite, Ladeverhalten respektive Ladezyklen sowie verwendete Nutzlast. Alles Daten übrigens, die auch dem beteiligten Transportunternehmen zur eigenen Auswertung zur Verfügung stehen werden. Im Endeffekt muss ein Elektrolastwagen laut Buchner zu 100 Prozent kompetitiv sein. «Emissionsfreie Logistik wird auch bei reduzierten Kosten teurer bleiben als mit Diesel», meint Buchner weiter. Doch das müsse es auch wert sein und «braucht auch ein Umdenken bei den Kunden».

Der Startschuss zum Projekt war im Juli 2016 gegeben worden und wurde zwei Monate später auf der IAA mit dem futuristischen eTruck öffentlich dokumentiert. Die Entwicklung hin zur jetzt anrollenden Innovationsflotte hat Mercedes als internes Start-up-Unternehmen aufgezogen, das hochmotiviert, schnell und innovativ zum Ziel kommen sollte. In enger Zusammenarbeit mit Daimler Bus, wo elektrische Stadtbusse aktuell bereits in Erprobung laufen, wurde unter Hochdruck gearbeitet, denn es standen nicht fragile Prototypen im Aufgabenheft, sondern praxistaugliche E-LKW, die eine uneingeschränkte Strassenzulassung erhalten sollten.

Der e-Actros im Detail

Als Basis für die Fahrzeuge dient der Rahmen des normalen Actros, wobei der eActros als 4×2 und als 6×2 konzipiert wird. Dies ermöglicht zwei unterschiedliche Gesamtgewichte von 18 respektive 25 Tonnen. In den Rahmen wird eine komplette elektrische Architektur inte­griert, wofür das ganze herkömmliche Innenleben des Actros entfernt werden musste, neben Motor und Achsen auch die Abgasnachbehandlung und die Motorkühlung. Insgesamt verliert der eActros gegenüber dem vergleichbaren Diesel-Actros wegen der gesamthaft schwereren Komponenten rund 1,5 Tonnen Nutzlast.

Obwohl der Verbrennungsmotor entfällt, ist im eActros ein spezifisches Kühlsystem eingebaut. Es muss im Ganzen drei Temperaturniveaus abdecken, unter anderem für die Leistungselektronik und für die Bremskühlung der Rekuperationsbremse. Letztere ist beispielsweise dann besonders gefragt, wenn die Batterien voll sind, aber durch eine Berg­ab­fahrt eine hohe Rekuperationsenergie gegeben wäre.

Wie erwähnt, wurde eng mit der Bussparte von Daimler zusammengearbeitet. So stammt die Batterie gemäss Martin Zeilinger 1:1 aus dem Citaro. Der Leiter des Advanced Engineering bei Daimler Trucks erläutert auch die Anpassungen bei der Antriebsachse. Diese stammt ebenfalls aus dem Citaro und wird von ZF geliefert. Allerdings musste der Achsrahmen geändert werden, da im Bus ein möglichst flacher Boden im Passagierraum verlangt wird, im LKW hingegen eine möglichst gute Bodenfreiheit. An der Antriebsachse sind zwei Motoren in Radnähe angebracht.

Elektro-Architektur in der Praxis-Erprobung

Die Batterie besteht aus elf Paketen, die mehrheitlich zentral im Rahmen untergebracht sind, lediglich drei Batteriepakete werden am rechten Aussenrahmen befestigt. Martin Zeilinger zerstreut Sicherheitsbedenken damit, dass die aussen liegenden Batterieelemente einerseits durch eine stabile Stahlkonstruktion geschützt sind und andererseits bei einem seitlichen Crash nicht zerdrückt werden, sondern sie sich unter den Fahrzeugrahmen schieben. Die Batterie hat eine Spannung von 800 Volt Gleichstrom (DC) und eine nutzbare Kapazität von 240 kWh. Die Temperaturregelung arbeitet dahin, dass die Betriebstemperatur der Batterie möglichst nahe der idealen Temperatur von 25 Grad Celsius liegt. Mit anderen Worten, im Winter wird die Batterie beheizt, im Sommer gekühlt.

Mittels Inverter werden die 800 Volt DC in AC-Wech­selstrom gewandelt und auf die 400 Volt der Antriebs­motoren angepasst. Dabei handelt es sich um flüssigkeits­gekühlte Drei-Phasen-Asynchronmotoren. Diese bieten je 125 kW Leistung und 485 Nm Drehmoment, wobei durch die Übersetzung jeweils 11’000 Nm resultieren und dem eActros zu Fahrleistungen verhelfen, die dem Diesel-Truck ebenbürtig sind. Insgesamt erzielt der eActros mit diesem Antriebsstrang eine Reichweite von 200 Kilometer, die jedoch auch mit dem gewählten Aufbau variieren können. Denn sämtliche Nebenaggregate verfügen über einen eigenen Elektromotor, da die Hydrauliksysteme, wie sie beim Verbrennungsmotor normal sind, im Elektro-LKW entfallen und durch andere Systeme ersetzt werden müssen.

Laden leicht gemacht

Der Stromkreislauf verfügt neben dem Hochvoltnetz auch über ein herkömmliches Niedrigvoltnetz, das über zwei 12-V-Batterien betrieben wird. Ein DC/DC-Wandler speist diese Batterien aus dem Hochvoltnetz. Sie ermöglichen es, dass bei einem Ausfall des Hochvoltnetzes alle relevanten Fahrzeugfunktionen aufrecht­erhalten werden, namentlich das Licht, Blinker, Brems- und Luftfederungssysteme sowie die Fahrerhaussysteme. Aus Sicherheitsgründen lässt sich daher das Hochvoltnetz nur starten, wenn die beiden 12-V-Batterien geladen sind.

Die Batterien sind an einer fest installierten Schnell-Ladestation mit 150 kW in weniger als zwei Stunden wieder geladen. Mit den meist genutzten mobilen Ladegeräten mit 400 Volt Drehstrom wird ein Leistungsbereich von 20 bis 80 kW abgedeckt, was zu Ladezeiten zwischen drei und elf Stunden führt.

Für den Chauffeur hält das Fahrerhaus wenig Überraschendes bereit. Die Anordnung der Anzeigen, Schalter und Peripheriefunktionen sind praktisch mit dem normalen Actros identisch. Das Hauptinstrument ist jedoch auf den Elektroantrieb abgestimmt. So verfügt es statt des Drehzahlmessers über eine Energieanzeige, welche die Energieabgabe und -rückgewinnung anzeigt. Statt einer Tankanzeige wurde die Ladestandsanzeige eingefügt und das Multifunktionsdisplay wurde um Aspekte wie die Restreichweite ergänzt. In diese Veränderungen fliessen teilweise auch die Informationen der eingangs erwähnten umfangreichen Zusatzsensorik ein.

Um den bestmöglichen Betrieb der Innovationsflotte sicherzustellen, schult Mercedes-Benz für die Praxis-Erprobung nicht nur die Fahrer auf den eActros, sondern auch die Kunden und deren Werkstätten.

Der eActros ist übrigens nur einer von fünf elektrischen Nutzfahrzeugvarianten von Daimler. Der Fuso e-Canter wird bis Ende Jahr 500-mal hergestellt werden, ab 2019, wenn die nächste Generation anrollt, will Daimler den leichten japanischen Zulieferlastwagen in einer fünfstelligen Zahl vom Band rollen lassen. Zudem ist der eVito seit November 2017 bestellbar und seine Auslieferungen beginnen in der zweiten Jahreshälfte, gefolgt von der Elek­troversion des brandneuen Sprinter sowie vom Elektro­stadtbus Citaro, von dem etliche Bauteile des eActros stammen.

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