Volvo Electric: Das «Stromern» will ­erarbeitet sein

ELEKTROMOBILITÄT Volvo bringt nach den Bussen jetzt auch erste Lastwagen mit Elektroantrieb auf die Strasse. Wie aktuell üblich, geht die Verkaufsberatung weit über den Truck allein hinaus, mit einer umfassenden Einsatz- und Bedarfsabklärung. Leise sirrende Impressionen aus dem Cockpit.

Elektroantrieb Volvo FL FE Electric TIR transNews
Leise und emissionsfrei können E-Trucks wie der Volvo FL Electric auch direkt in geschlossene Räume einfahren.

Wie alle Hersteller heute, die sich mit dem Elektrifizieren des schweren LKW auseinandersetzen, fokussiert sich Volvo Trucks auf städtische Anwendungen. Demzufolge stehen jetzt der FL mit 16 Tonnen Gesamtgewicht und der FE mit 26 Tonnen in den Startlöchern. Erste Modelle beider Fahrzeuge sind an ausgewählte Partner übergeben worden, weitere folgen. Für die Jury «Truck of the Year» IToY hat Volvo Trucks nun die Führerkabinen geöffnet, damit wir erste eigene Impressionen hinter dem Lenkrad sammeln können.

Viele identische Bauteile Trotz hohem Anteil an identischen Bauteilen unterscheiden sich FL und FE mit Bezug auf ihre unterschiedlichen Tonnagen entscheidend. Doch statt zwei eigenständige Antriebsstränge zu entwerfen, hat Volvo eine modulare Motor-Getriebe-Einheit entwickelt sowie modular zusammensetzbare Batterieeinheiten. Insgesamt sind rund 85 Prozent der Bauteile gleich. Basis für den Antrieb ist ein 185-kW-Elektromotor. Im FL wird er alleine an das 2-Gang-Getriebe angeflanscht. Für den höheren Leistungsbedarf im FE werden zwei Motoren parallel ans Getriebe gekoppelt, was die Leistung auf 370 kW anhebt.

Ein einzelnes Batteriemodul hat eine Kapazität von 50 kWh, von ihm können für den Einsatz im FL zwischen zwei und sechs Module gewählt werden, beim FE sind es zwischen vier und sechs Module. Grob gerechnet ergibt das mit maximaler Kapazität Reichweiten von bis zu 300 km beim kleineren FL und von bis zu 200 km beim schwereren FE. Aktuell stammen die Batteriezellen von Samsung, gemäss Volvo-Trucks-CEO Claes Nilsson werde für kommende Batteriepakete jedoch mit diversen Herstellern verhandelt.

Um die Produktion zu vereinfachen, sind die wichtigsten Komponenten der E-Versionen von FL und FE entsprechend konzipiert. Die Motor-Getriebe-Einheit ist hinter der Vorderachse mittig im Fahrzeugrahmen untergebracht. Die Batterien sind links und rechts am Rahmen montiert, wo sich beim Diesel u.a. Tank und Abgasnachbehandlung befinden. Die ebenfalls modular aufgebaute Leistungselektronik ist in der Grösse eines Dieselmotors konstruiert und wird auch an dessen Stelle platziert.

Auf Mass Schneidern ist Pflicht Batteriemodule sind immer auch eine Gewichtsfrage und bei Volvo bringt ein einzelnes Modul rund 520 kg auf die Waage. Gegenüber einem vergleichbaren Dieselmodell besteht bei der Nutzlast im E-Truck mit zwei Modulen noch Gleichstand, bei vier Batterien jedoch verliert der E-Truck eine Tonne Nutzlast, bei sechs Batterien gar 2,5 Tonnen. Es ist demnach wichtig, von den Batterien nicht so viel wie möglich, sondern so viel wie nötig in den E-LKW zu packen.

Dies führt deutlich vor Augen, dass sich ein Elektro-­Lastwagen noch weniger ab Stange beschaffen lässt als der herkömmlich angetriebene LKW. Es geht darum, ein Gesamtsystem aufzubauen. Dazu analysiert beispielsweise Volvo mit den Kunden den geplanten Einsatz des E-Trucks, inklusive Länge und Höhenprofil der vorgesehenen Route sowie der benötigten Nutzlast. Daraus wird ein auf die Aufgabe (Müllsammler, Zulieferung etc.) massgeschneiderter Antriebsstrang entworfen, mit der maximal benötigten Batteriekapazität und gegebenenfalls einer erweiterten Ladeinfrastruktur. Letztere hängt insbesondere davon ab, ob der Einsatz teilweise über die massgeschneiderte Reichweite hinausgeht oder gegebenenfalls auch von der Haupt­ein­satz­route abweicht.

Ruckfrei und flüsterleise Obwohl der Elektrobetrieb einen anderen Umgang mit Gas- und Bremspedal verlangt und die Bezeichnung Gaspedal eigentlich falsch ist, gewöhnt man sich schnell an die neue Technik. Gleichmässige Kraftentfaltung ohne Zugkraftunterbrechung erhöht den Fahrkomfort und auf schwierigem Untergrund wird dadurch auch die Traktionssicherheit verbessert. Eine neue Stärke ist auch die geringe Geräuschentwicklung, was sich bei der beständigen, wachsenden Lärmbelastung in städtischen Gebieten als starkes Argument für die E-Mobilität entwickelt. Während die Messgeräte beim Diesel-FL bei der Vorbeifahrt mit 79 dB(A) ausschlagen, sind es beim Elektro-­FL lediglich 69 dB(A). Ein Unterschied wie zwischen einem aggressiven Weckerklingeln und einem angenehmen Café-Talk zweier guter Freunde.

Mit dieser «Flüsterfahrt» lobbyieren alle Lastwagenbauer auf den verschiedensten Ebenen, damit die Nachtzustellungen in Innenstädten mit leisen E-Lastwagen bewilligt werden können. Das würde vor allem zu einer Entlastung des dichten städtischen Verkehrs führen und zugleich Termingeschäfte erleichtern. Leise und abgasfreie Lastwagen wären auch für Anlieferungen und Abholungen direkt in Hallen prädestiniert, was die Logistikabläufe vereinfachen und Lärm beim Be- und Entladen für die Umgebung unterdrücken würde.

Durch die Planbarkeit des Nahverkehrs lässt sich der Einsatz von E-Lastwagen gemäss Volvo rasch ausweiten. Das aktuell starke Wachstum der Schnellladeinfrastruktur dürfte auch viele Diskussionen zur Reichweite überflüssig machen. Bei Volvo Trucks ist die Produktion in diesem Segment zwar erst angelaufen, doch Claes Nilsson rechnet damit, ab 2020 die Nachfrage an E-Trucks problemlos decken zu können.

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