Renaissance der Wechsel-Karosserie

MERCEDES-BENZ VANS Ist das der innerstädtische Transport der Zukunft? Mercedes-Benz Vans präsentierte mit Vision Urbanetic ein gesamtheitliches, autonom und elektrisch betriebenes Transportkonzept für Verteilerverkehr und Personentransport in grossen Städten.

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Nein, Frank Rinderknecht aka Rinspeed hatte seine Finger nicht im Spiel, auch wenn er mit seiner modularen Studie «Snap» an der diesjährigen CES und am Automobilsalon Genf das Konzept des Wechselaufbaus wieder in den Vordergrund rückte und der Blick das (nach Veröffentlichung dieses Artikels in TIR 10/2018) anders sieht. Die Konzeptstudie Vision Urbanetic von Mercedes-Benz Vans sei völlig unabhängig davon entstanden, versicherte uns Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Vans. Auch die Vision Urbanetic hebt die Trennung von Personenbeförderung und Gütertransport auf. Schon rund zwei Jahre arbeitet das Projektteam am Konzept und tatsächlich wirkt es sowohl optisch als auch in den vorgestellten Teilanwendungen ausgereift.

Die Idee des Wechselaufbaus, um das Fahrzeug besser auszulasten und somit profitabler zu machen, ist tatsächlich alles andere als neu. In den 1940er- und 1950er-Jahren etwa hatten viele kleinere Schweizer Transportunternehmer ein LKW-­Chassis mit Brücken-Wechselaufbau, den sie am Wochenende durch einen Busaufbau ersetzten, um dann Gesellschaftsfahrten, etwa an Hochzeiten, durchzuführen. Wenige dieser Fahrzeuge – allesamt mit Schweizer Karosserieaufbauten – sind noch erhalten und an Oldtimerausfahrten anzutreffen.

Stellen wir uns vor, dass in Zukunft, um den Verkehr zu entlasten, viele Verteilertransporte in der Nacht ausgeführt werden, lautlos elektrisch, autonom fahrend, und der Tag und Abend vor allem den Personentransporten vorbehalten sind. Das Gros der Fahrzeuge ist praktisch nie gleichzeitig unterwegs, sondern entweder oder. Gerade hier macht es Sinn, wenn man die teure und sich technisch rasch weiterentwickelnde Fahreinheit – Chassis mit Antrieb und künstlicher Intelligenz – für beide Arten des Transportes einsetzen könnte. Mit einem Wechselaufbau ist genau dies möglich. Und dabei können die Aufbauten je nach Einsatzzweck spezifisch ausgewählt werden. Der Wechsel der Module erfolgt automatisiert oder alternativ manuell und dauert im automatisierten Ablauf nur wenige Minuten.

Mercedes-Benz Vans Vision Urbanetic TIR transNews
Ist das die Mobilität der Zukunft? Elektrisch, autonom, vernetzt und intelligent: die Vision Urbanetic.

Zwei der gezeigten Lösungen (Cargo Module) sind ein herkömmlicher Palette-Transport mit bis zu zehn Epal-Palettenplätzen, der zum Beispiel Material auf eine Baustelle bringen kann und den Aufbau dort deponiert, so dass er als verschliessbares Material- und Werkzeuglager dienen kann. Bei einer Fahrzeuglänge von 5,14 m wurde eine Laderaumlänge von 3,70 m realisiert. Danach holt dasselbe Chassis mit dem Personentransportaufbau die Bauarbeiter zur ersten Schicht. Ein anderes Beispiel ist das einer Paketabholstation, bei der Kunden ihre Interneteinkäufe auf dem Nachhauseweg selber abholen können.

Dank Vollvernetzung, Auswertung lokaler Informationen – zum Beispiel über Konzerte und Veranstaltungen – und einer intelligenten Steuerung kann das System nicht nur aktuellen Bedarf analysieren, sondern auch daraus lernen und frühzeitig reagieren. Damit sollen durch Prozessoptimierungen beispielsweise Warte- oder Lieferzeiten verkürzt und Staus vermieden werden. So erkennt das Gesamtsystem über die Datenerfassung im Vehicle Control Center – einer Steuerungszentrale mit der Rolle einer Disposition – beispielsweise eine grössere Personengruppe in einem gewissen Bereich oder wenn es irgendwo regnet. Es kann Fahrzeuge dorthin schicken und den gesteigerten Bedarf schnell und effizient befriedigen. Das System kann also flexibel reagieren und basiert nicht auf starren Routen oder festen Fahrplänen.

Mit Ausnahme von Ladezeiten für den batterieelektrischen Antrieb und Wartungsstopps kann jedes Fahrzeug zudem an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr genutzt werden. Somit werden beispielsweise im Personennahverkehr Lösungen rentabel, die mit einem Fahrer nicht wirtschaftlich zu betreiben wären. Zugleich gibt das Konzept eine Antwort auf eine immer grösser werdende Herausforderung zum Beispiel in der Logistikbranche: den Fahrermangel.

Noch ist es Zukunftsmusik, aber Volker Mornhinweg ist sich sicher, dass dieses oder mehrere ähnliche Systeme zur Verkehrsoptimierung in grossen Städten beitragen werden. Wann solche Systeme eingeführt werden, ist noch nicht absehbar, aber das Interesse seitens Städte- und Verkehrs­planer sei konkret vorhanden. «Und in wenigen Jahren wären wir mit einer Lösung bereit.»

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