Kein Platooning, aber direkt autonom mit Level 4
In Las Vegas hat Martin Daum, Vorstand bei Daimler für Trucks & Buses, die neue Strategie des Konzerns in Sachen automatisiertes Fahren bekannt gegeben. Als eine der Kernaussagen verabschiedet sich Daimler aus der Weiterentwicklung von Platooning.
Mit der Ankündigung, etwas nicht mehr zu tun, überraschte Martin Daum die Anwesenden am Rande der Consumer Electronic Show CES Anfang Jahr ein wenig. Unter dem Schlagwort «Next Level» hatte der für Daimler Trucks & Buses verantwortliche Daimler-Vorstand die nächsten Schritte in der Fahrzeug- und Technologie-Entwicklung bekannt gegeben, wobei der Ort eine Premiere war, da Daimler das erste Mal mit seiner schweren Nutzfahrzeugsparte an die CES reiste. Kein Zufall, denn «beim Lastwagen dreht sich alles um Technologie», meinte Daum einleitend und führte als Beispiel die über 400 Sensoren an, mit denen ein moderner LKW bestückt ist.
Neben ersten groben Wirtschafts- und Verkaufsdaten sprach Daum vor allem über die sich anbahnenden Veränderungen in der Mobilität und dem daraus resultierenden, hohen Investitionsbedarf. Unverändert aber bleibt die Tatsache, dass niemand einen Lastwagen kauft, nur weil er will, sondern weil er damit Geld verdienen möchte, also ein Geschäft führen muss. Entsprechend gelten auch etwas andere Vorzeichen beim Nutzverkehr als bei den Personenwagen und dem Individualverkehr. Dies ist ein Grund, weshalb sich Daimler aus der Entwicklung von Platooning zurückzieht.
Zu wenig Nutzen von Platooning
Die ursprüngliche Annahme bei Platooning war eine substanzielle Verbrauchsreduktion von nahe hintereinander herfahrenden Lastwagen. Durch Kommunikation von LKW zu LKW und fahrzeugeigener Sensorik wird dabei die kurze Distanz zwischen den Fahrzeugen sichergestellt, was die Aerodynamik verbessern und damit zur Verbrauchssenkung führen sollte. Da in den USA wegen der langen Highway-Strecken dazu die besten Rahmenbedingungen gegeben sind, wurde eine Mehrzahl der Abklärungen auch in Nordamerika absolviert. Doch diese intensiven Tests und Praxiserprobungen brachten zutage, dass sich die auf dem Papier abzeichnenden Treibstoffeinsparungen in der Realität nicht erreichen liessen. «Im Idealfall erzielten wir eine Reduktion um vier Prozent, doch der Idealfall trat auch in den USA so selten auf, dass wir bei unter einem Prozent angelangt sind», führte Daum aus. Zu wenig, um die Technologie für Verbrauchszwecke weiterzuführen und einem Kunden als Geschäftsvorteil verkaufen zu können.
Auf die entsprechende Frage meint Martin Daum, dass diese Erkenntnis zu Platooning nicht Daimler-spezifisch sei, weshalb er davon ausgehe, dass auch andere LKW-Hersteller zum gleichen Schluss kommen würden. Sind daher die 50 Mio. Euro, die Daimler ins Platooning investiert hat, in den Sand gesetzt? Daum verneint vehement. «Aus den Tests und Erprobungen haben wir viel Know-how gewonnen, das uns in den aktuellen und noch bevorstehenden Entwicklungen nutzt und nutzen wird.» Vor allem bezüglich Fahrstrategien sei Platooning sehr lehrreich gewesen.
Interessant bleibt Platooning für Daimler aber im Zusammenhang mit hochautomatisiertem Fahren, denn wenn im Platoon dereinst der zweite oder dritte Fahrer schlafen kann, sind durchaus Vorteile für die Fuhrhalter absehbar. Dazu müsste aber Level 4 beim automatisierten respektive autonomen Fahren erreicht sein, was aktuell ausser beim seriennahen Baustellensicherungs-LKW von MAN (Projekt aFAS) noch bei keinem Hersteller vorhanden ist.
Level 3 nur beim Pw nützlich
Man wisse bei neuen Technologien nie, ob Theorie und Praxis zusammenpassten, bis man sie ausprobiere, so Daum. Eine gewisse Investition sei daher immer nötig, um den gangbaren Weg in die Zukunft zu finden. Und genau eine solche neue Investition kündigte Daum in der Folge an: «Wir benötigen etwa eine halbe Milliarde Euro, um beim hochautomatisierten Fahren in den nächsten, sagen wir vier Jahren, herauszufinden, ob das Konzept, das wir ansteuern, auch funktioniert.» Aktuell erfüllen die neusten Technologien bei Daimler Trucks den sogenannten Level 2 in der Skala automatisierter Fortbewegung. Die Fahrzeuge beschleunigen und bremsen in Abhängigkeit von Verkehr und Strecke selbstständig und sie halten das Fahrzeug in der Spur, selbst auf Landstrassen. Allerdings muss dabei der Chauffeur stets Herr über das Geschehen sein und die Hände am Lenkrad haben.
Für Level 3 gilt, dass das Gefährt grundsätzlich komplett selbstständig unterwegs ist, es aber vom Fahrer situativ eine Übernahme der Lenkaufgabe abfordern kann. Erst in Level 4 ist die Präsenz eines Fahrers in der Kabine überhaupt nicht mehr nötig. Allerdings setzt die Level-4-Technologie gewisse Rahmenbedingungen voraus, damit die automatisierte Fahrt auch funktioniert. Mit dem ultimativen Level 5 sollten Fahrzeuge mit allen Bedingungen zurecht kommen. Doch Letzteres muss heute noch immer als Science Fiction betrachtet werden.
Daimler bringt in den neusten Modellversionen von Mercedes Actros, Freightliner Cascadia und Fuso Super Great in diesem Jahr die Technologie für Level 2 global auf die Strasse (TIR 10-18, Vorstellung neuer Actros). «Für die Zukunft überspringen wir allerdings Level 3 und entwickeln direkt die Technologie für Level 4», erklärt Martin Daum. Als Grund gibt er an, dass Level 3 dem Nutzfahrzeugkunden keine Vorteile bringe, erst ein fahrerloses Cockpit bedeute echten Nutzen für den Fuhrpark. Daum nennt drei Level-4-Argumente: Höhere Sicherheit auf der Strasse, Einsatzmöglichkeiten in Zeitfenstern mit geringerem Verkehrsaufkommen und längere, tägliche Einsatzzeiten. Beim Personenwagen hingegen zählen andere Kriterien, sodass die PW-Sparte von Daimler die Level-3-Technologie auch auf den Markt bringen wird.
Freightliner Cascadia kann Level 2
Wie der neue Actros hat der Cascadia der US-Daimler-Tochter Freightliner die Sensorik und Steuerung für ein Level-2-Fahrzeug erhalten. Der Cascadia wird in den USA das erste Fahrzeug sein, das diesen Automatisierungsgrad in einem Serienprodukt anbietet. Daneben ist im neuen Modelljahrgang das Cockpit jenem des Actros angepasst, kann also anstelle der herkömmlichen Instrumente mit zwei grossen Bildschirmen ausgestattet werden. Noch nicht im Cascadia-Programm enthalten sind jedoch die Aussenspiegel mit Kameras statt physischen Spiegeln. Wir kommen in einer späteren Ausgabe auf die Technik im Cascadia zurück und zeigen dann auch Anstrengungen von Daimler in den USA auf, elektrische Nutzfahrzeuge zu entwickeln.