50 Jahre TIR, heute: Klostermann kommt!
ERINNERUNGEN AUS FÜNF JAHRZEHNTEN Es war in den 1970er-Jahren auf der IAA in Frankfurt, als ich die Bekanntschaft mit Klostermann machte. Für einige Jahre war der kleine Dicke mit dem Einkaufswägelchen im Schlepptau auf beinahe jeder Automobilmesse anzutreffen. Wenn der Ruf «Klostermann kommt!» durch die Hallen hallte, zogen sich die Pressechefs eiligst zurück und die netten Standdamen versteckten sämtliche Präsente.

Um es vorwegzunehmen, Klostermann hiess nicht so, sondern wurde so genannt, weil er einen unaussprechlichen Namen hatte und zudem Chefredaktor einer unbedeutenden Kirchenzeitung aus der Provinz war. Klostermann war ein Mann der Bibel, seine Leitartikel feurige Aufrufe, dem Teufel fernzubleiben und ein sündenfreies Leben zu führen. Mit Autos hatte Klostermann eigentlich nicht viel am Hut, er konnte einen Scheibenwischer nicht von einer Hutablage unterscheiden. Trotzdem hatte das Kirchenblatt plötzlich eine wöchentliche Autoseite. Er war nicht zu bremsen, tauchte praktisch an allen wichtigen Automobilveranstaltungen auf, denn ein Kollege muss ihm wohl «gesteckt» haben, dass an den Ständen für die Journalisten nebst den Pressemappen auch kleine Präsente bereitgehalten werden.
Die Zahnbürste Anfänglich waren es nur einige Kleinigkeiten wie Taschenlampen, Feuerzeuge, Kugelschreiber oder Modellautos, denen er habhaft werden konnte. Mit den Jahren entwickelte Klostermann jedoch eine Taktik, der auch der cleverste Pressechef nicht mehr entrinnen konnte. Klostermann sei im Anmarsch, hiess es einmal mehr. Der Presseverantwortliche verschwand daraufhin in der ersten Etage des Messestandes, versteckte sich hinter einem Prospektregal. Klostermann eilte ihm nach, spürte ihn auf und zerrte den erschrockenen Mann hinter dem Regal hervor. «Was gibt es bitte als Pressegeschenk?», fragte Klostermann. «Hoffentlich keinen Wecker, denn den gab es bereits auf dem Nachbarstand.» Entnervt rückte der Pressemann ein Modellauto heraus und überreichte Klostermann die obligate Pressemappe, der daraus die wichtigsten Daten und Fakten entnahm und den Rest im nächsten Abfallbehälter entsorgte. Am Stand einer britischen Automarke überrumpelte Klostermann die für die Presse zuständige Dame. Sie war neu im Geschäft und behandelte den Chefredaktor der Kirchenzeitung sehr zuvorkommend. Die Frage nach dem Pressegeschenk erübrigte sich, denn Klostermann entdeckte im Tresenschrank eine elektrische Zahnbürste, die er sogleich an sich nahm. Er bedankte sich höflich, nahm die Pressemappe entgegen und zog weiter. Zurück blieb eine verstörte Pressechefin und ein Regionaldirektor, der seine elektrische Zahnbürste vermisste.
Am Abend traf ich Klostermann auf dem Empfang eines LKW-Produzenten wieder. Irgendwie hatte er es ohne Einladung geschafft, an das Buffet vorzudringen. Wie selbstverständlich setzte er sich zwischen den Vorstandsvorsitzenden und den Oberingenieur. Unauffällig winkte der Vorstandsvorsitzende seine Sekretärin herbei und wollte wissen, wer sein Tischnachbar sei. «Klostermann», antwortete die Dame. Darauf der Vorstand: «Wer bitte ist Klostermann?» Die Sekretärin: «Klostermann ist eben Klostermann, er ist immer und überall mit dabei.» Der Vorstandsvorsitzende war entzückt, eine so wichtige Person am Tisch zu haben und der Oberingenieur klinkte sich mit fachlichen Themen ein. Oberingenieur: «Wie beurteilen Sie die neue Radaufhängung bei unserem Allradmodell?» Darauf Klostermann: «Gut aufgehängt ist halb gefahren.» Vorstandsvorsitzender: «Wir möchten auch auf dem asiatischen Markt Fuss fassen. Wie denken Sie darüber?» Klostermann: «Ein Fuss im Markt ist immer gut, vor allem in Asien.» Die Herren waren beeindruckt. Von nun an sass Klostermann bei diesem Hersteller immer am Vorstandstisch. Es war beinahe schon ein Ritual. Klostermann sammelte Pressegeschenke, schlug sich den Bauch voll und laberte die Grössen aus der Automobilindustrie zu.
Wo ist Klostermann? Doch eines Tages, ich glaube, es war in Amsterdam, ging ein Raunen durch die Hallen. Klostermann sei noch nicht da, tönte es von Stand zu Stand. Auch beim abendlichen Empfang fehlte der gute Mann. Der Vorstandsvorsitzende rief seine Sekretärin herbei und fragte: «Wo bitte ist Klostermann?» Die Dame überlegte kurz und antwortete: «Klostermann, Klostermann, wer bitte ist Klostermann?»
Man sah ihn auf keiner Pressekonferenz mehr, der Schrecken aller Pressechefs, der kleine Dicke mit dem Wägelchen im Schlepptau war Geschichte. Bei seiner Abdankung würdigte ein Geistlicher Leben und Werk des Verstorbenen: Friedemann Prymizyl, so hiess Klostermann wirklich, war gottesfürchtig und hat sich um die Kirchenzeitung und die Kirche verdient gemacht. Nie werden wir seinen Einsatz für die jährliche Tombola des Christlichen Frauenvereins vergessen. Er sammelte 734 Kugelschreiber, 528 Modellautos, 233 Schreibmappen, 5 Radios und eine elektrische Zahnbürste.