Mit grossen Schritten zum Wasserstoff-Ökosystem

H2 ENERGY Die Wasserstoff-Revolution, die ihre Wurzeln in der Schweiz hat, nimmt Fahrt auf. Wir klären mit Rolf Huber, H2 Energy, welches die nächsten wichtigen Schritte sind und wie die Praxis aussehen wird.

Auto AG HHM Wasserstoff-Kompetenzzentrum TIR transNews
Mit der Auto AG hat HHM einen etablierten Partner für Service und Unterhalt gefunden. Am Hauptsitz in Rothenburg entsteht dazu ein Wasserstoff-Kompetenzzentrum.

Anlässlich der IAA 2018 in Hannover hatten Hyundai und das Schweizer Start-up H2 Energy bekannt gegeben, zusammen in der Schweiz mit der Realisierung einer Wasserstoffmobilität im grossen Stil starten zu wollen. In diesen knapp anderthalb Jahren wurde viel bewegt, vor allem konnten die verschiedenen Protagonisten, welche es für ein ökonomisch wie ökologisch nachhaltiges System braucht, gefunden werden. Dieses umfasst die Wasserstofflastwagen von Hyundai, die «grüne» Wasserstoffproduktion und deren Verteilung durch das Joint Venture Hydrospider, die nötige Tankinfrastruktur durch etliche Tankstellenbetreiber und die Bereitschaft von Transporteuren und Grossverteilern, ihre Güter in diesem Ökosystem von A nach B zu verschieben. Nun steht dem Projekt der Startschuss zur Nutzung unmittelbar bevor, denn der erste Lastwagen befindet sich aktuell auf dem Frachter von Korea nach Europa.

Das Ziel bis Ende des angebrochenen Jahres ist ambitiös. Rolf Huber, Verwaltungsratspräsident von H2 Energy: «Wir wollen beweisen, dass die Idee funktioniert. Nur so können wir rasch weitere Mitspieler auf den Plan rufen.» Unter Mitspielern versteht Huber zwar Konkurrenten wie andere Lastwagenhersteller, die aber an der Umsetzung der neuen Technologie interessiert sind, nicht an deren Verhinderung. Konkret sollen bis Ende Jahr die geplanten ersten 50 Wasser­stofflastwagen in Betrieb gegangen, rund zehn Tankstellen aufgebaut und zusätzliche Wasserstoffproduktionsanlagen in Betrieb genommen worden sein. «Dabei setzen wir alles daran, dass unsere Partner mit dem Verlauf zufriedengestellt werden können, sei dies mit der Auslastung der Wasserstoffproduktion, sei dies mit dem Betrieb der Tankstellen und sei dies mit den ersten Lastwageneinsätzen.»

Alle Partner arbeiten mit Hochdruck am Feinschliff der Prozesse und Projekte, wie den IT-Lösungen für die Abrechnung, welche die vorgesehene Pay-per-use-Nutzung der Trucks ermöglichen werden. Auch die Finessen für Service und Unterhalt der Lastwagen sowie die Abklärungen für die benötigten LKW-Aufbauten sorgen dafür, dass es den Verantwortlichen bis zum Eintreffen des ersten Lastwagens gegen Mitte Februar nicht langweilig wird.

Hyundai Xcent Auto AG HHM Wasserstoff-Kompetenzzentrum TIR transNews
Der erste Lastwagen ist auf dem Weg in die Schweiz. Der Wasserstoff-Truck Hyundai Xcient Fuel Cell ist Teil eines ausgeklügelten Ökosystems.

TCO auf Augenhöhe mit Diesel Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass H2 Energy und das für den Betrieb gegründete Joint Venture Hyundai Hydrogen Mobility (HHM) die Lastwagen nicht an die Kunden verkaufen, sondern ausschliesslich auf das Geschäftsmodell von «pay per use» setzen. Zum einen kann der Kunde eine neue Technologie zum Einsatz bringen, ohne ein grosses Risiko eingehen zu müssen, denn das Risiko trägt HHM. Der Kunde muss nur fahren, HHM, Hydrospider und ausgewählte Tankstellenpartner stellen den Truck, den Treibstoff in Form von Wasserstoff sowie die Service- und Reparaturleistung. Zum anderen regelt HHM die Finanzierungsfrage, welche ansonsten für den einzelnen Transport­unternehmer vom Aufwand und von der Verschuldung her eine grosse Last darstellt.

Der Kunde bezahlt den Gebrauch des Lastwagens, wobei vor allem die Faktoren Kilometer und Höhe des Verbrauchs den Ausschlag für die Berechnungen geben. «Grundsätz­liches Ziel ist es, dass wir in jedem Land bei der TCO nicht mehr als zehn Prozent teurer als mit Diesel sind», sagt Rolf Huber. In der Schweiz werden die TCO gemäss seinen Berechnungen keine zehn Prozent teurer sein, sondern maximal auf Dieselhöhe liegen. Dabei spielt es in der Berechnung – gleich wie beim Diesel auch – eine Rolle, ob man schwere oder leichte Güter transportiert, ob oft oder selten ein Anhänger gezogen wird oder ob der Lastwagen für viele Kurzstrecken, im flachen Mittelland oder im hügeligen Geläuf der Voralpen und des Juras genutzt wird. Die Basis­abmachung des Kilometerpreises mit den Kunden wird jeweils der Realität angepasst, mit gegebenenfalls einem Aufschlag oder ­einem Bonus. Die Berechnungen des Preises sind zwar zu fossilen Energieträgern indexiert, damit diese über die Zeit im Verhältnis zu den Diesel-TCO nicht auseinanderlaufen, bleiben sonst aber laut Huber über die Anlaufphase hinaus unverändert: «Der frühe Nutzer soll ja für seinen Innova­tionsmut nicht bestraft werden. Daher kommt HHM nicht umhin, zu investieren, um die Anlaufverluste zu decken.»

Rolf Huber Mark Freymüller HHM  TIR transNews
Rolf Huber, Verwaltungsratspräsident von H2 Energy, und Mark Freymüller (re.), CEO von Hyundai Hydrogen Mobility (HHM), sind im Begriff, die Transportbranche zuerst in der Schweiz aufzuwirbeln. Insofern ist das Hintergrundbild von symbolischer Kraft.

Vorteil Pay per use Bei der Schaffung des Ökosystems sieht Rolf Huber in der gewählten Pay-per-use-Umsetzung diverse klare Vorteile, ohne welche er glaubt, dass der Weg wahrscheinlich gar nicht oder nur mit starken Problemen begehbar geworden wäre. Da die Trucks im Besitz von HHM bleiben, können zum einen Optimierungen am Fahrzeug einfacher umgesetzt werden und zum anderen kann bei einem Fahrzeugausfall der Lastwagen rascher wieder zum Laufen gebracht werden. Selbst bei einem Montagsauto liesse sich ein Fahrzeugaustausch ohne Konsequenzen für den Kunden vornehmen. Das wäre bei einem Kaufsystem kaum möglich. «Anders ausgedrückt, stellen wir Mobilität zur Verfügung.» Da also die Kosten von Ausfällen bei HHM liegen, werde man angespornt, die Lastwagen und das System möglichst am Laufen zu halten.

Wegen der Marktkraft von Hyundai läuft die Finanzierung von HHM effizient und zentral ab, was die Skalierung bei steigender Nachfrage deutlich vereinfacht. Für die Banken übrigens ist HHM mit dem Gesamtkonzept ein echter Greenbond, der nach Einschätzung von Rolf Huber als eines der wenigen grünen Produkte auch einen Return garantiert.

Über das Pay-per-use-Prinzip hat HHM zudem die Qualität des eingesetzten Wasserstoffs im Griff. Hier spielen Hydrospider als Wasserstoffproduzent und die Tankstellenpartner als Abgabestellen in den Kreislauf hinein. «Mit einem gekauften Lastwagen wäre der Preis des getankten Wasserstoffs ausschlaggebend und der Transporteur würde gegebenenfalls lieber einer billigen Ware statt einer Ware mit durch die Automobilindustrie definierten Normen der Reinheit den Vorrang geben», zeigt Huber das Gefahren­potenzial auf. Damit laufe man grosse Gefahr, durch Unreinheiten im Wasserstoff die Brennstoffzelle zu ruinieren, was einen teuren Ersatz für den Käufer bedeuten und die neue Technologie vor grosse Probleme stellen würde. Durch «pay per use» wird der Lastwagen an den im Ökosystem eingebundenen Tankstellen befüllt, wo der Kunde für die im Preis inkludierte Betankung nichts bezahlt und wo durch weitere Verträge für eine einwandfreie Qualität des Wasserstoffs und für eine grüne Herkunft gesorgt ist.

Alpiq  Wasserkraftwerk Gösgen Wasserstoffproduktion TIR transNews
Bis Ende des letzten Jahres wurde auf dem Alpiq-­Gelände beim Wasserkraftwerk in Gösgen an der Wasserstoffproduktion gearbeitet…

Rentabilität steht ganz oben Die Inbetriebnahme einer Tankstelle ist kein Pappenstiel, werden doch für den Break-­even einer Tankstelle anfänglich 13 oder 14 Lastwagen benötigt, welche auf den Standort abstellen. Sobald der Gesamtbetrieb läuft, sind es nur noch rund zehn oder weniger Lastwagen. Würde man die Nutzung auf Personenwagen herunterbrechen, würden rund 750 Autos für einen ­Break-even benötigt. Der heute im nur niedrigen zweistelligen Bereich liegende Bestand an Wasserstoffautos verdeutlicht, weshalb es für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur essenziell ist, über eine kommerzielle Nutzung von Lastwagen in den Markt zu gelangen.

Seit das Projekt vor anderthalb Jahren bekannt gegeben wurde, ist das Interesse auch aus der Strombranche gestiegen. Heute ist nicht nur Alpiq, die zu 45 Prozent am Joint Venture von Hydrospider beteiligt ist, aktiv, sondern diverse kleinere und grössere Stromversorger zeigen Interesse an einer eigenen Wasserstoffproduktion. Dabei geht es unter anderem darum, sich mit der neuen Technologie vertraut zu machen, was mit Bezug auf die bevorstehende Liberalisierung des Strommarktes von Interesse ist (Instrument zur Differenzierung). Aber da nicht jeder Produzent auch selber an einem Vertrieb interessiert ist, würde Hydrospider dort die Verteileraufgabe übernehmen. Dadurch müsste Hydrospider auch nicht allen Wasserstoff für seine Tankstellen selber produzieren.

Mit einer Wasserstoffproduktion erhalten Stromproduzenten zudem eine effiziente Möglichkeit, auf Schwankungen im Stromnetz ausgleichend einwirken zu können. Meldet Swissgrid eine Stromüberversorgung, können die Stromproduzenten beispielsweise mit einer gesteigerten Wasserstoffproduktion die Stromabnahme kurzfristig erhöhen. Bei knappem Strom könnte die Wasserstoffproduktion reduziert und das Netz auch so stabilisiert werden. Im hocheffizienten Strommarkt ist sowohl die erhöhte wie die reduzierte Stromabnahme für den Stromproduzenten wirtschaftlich interessant und verbessert in jedem Fall seine Rentabilität.

Alpiq  Wasserkraftwerk Gösgen Wasserstoffproduktion TIR transNews
…. Jetzt sind Produktion und Verlade­anlage betriebsbereit.

Schweizer Partner Der Vertrag von Hyundai mit dem Joint Venture Hyundai Hydrogen Mobility umfasst über fünf Jahre die Lieferung von 1600 Lastwagen Xcient Fuel Cell für die Schweiz. Es handelt sich explizit um zwei- und dreiachsige Fahrgestell-Trucks, wobei zum Start in diesem Jahr ausschliesslich Zweiachser anrollen. Aktuell arbeiten die Koreaner am sogenannten Packaging der Komponenten für den Dreiachser, was mit Blick auf den vorhandenen Raum, die Komponenten und die Gewichtsverteilung eine Herausforderung darstellt. Zudem arbeitet Hyundai an ­einem Packaging für eine Sattelzugmaschine, mit der wohl nicht vor 2023 gerechnet werden dürfte. Heute kann der Xcient mit sieben Drucktanks bis zu 34,5 kg Wasserstoff mitführen, was ihm eine Reichweite von rund 400 km ermöglicht. Die Umwandlung zu Strom erfolgt mittels zweier Brennstoffzellen à 95 kW, zudem ist als Energiepuffer eine Batterie mit 73,2 kWh integriert.

Eingesetzt werden sollen die Lastwagen je nach Kundenwunsch mit einem Kühl- oder einem Trockenkoffer. Diese werden in der Schweiz hergestellt, wobei zu ­Beginn auf die Expertise der GK Grünenfelder Group zurückgegriffen wird. «Das Tanksystem wird über homologierte Befestigungspunkte mit dem Aufbau verbunden. Die dazu nötige Zertifizierung braucht Zeit, und so beschränken wir uns im ersten Schritt auf einen Partner, später öffnen wir das Terrain auch für andere Aufbauer», erklärt Rolf Huber. In der GK Grünenfelder Group sind die Betriebe GK Grünenfelder und Frech-Hoch integriert.

Obwohl Hyundai auf dem PW-Markt inzwischen eine respektierte Nummer ist, sind die Koreaner in Sachen schwere Nutzfahrzeuge in Europa praktisch inexistent. Entsprechend fehlen Stützpunkte für Service und Unterhalt. Deshalb hat sich HHM in der Schweiz mit der Auto AG zusammengetan, die mit acht Truck-Standorten in der Deutschschweiz und im Tessin ein grosses Gebiet abdeckt. Es ist dies übrigens nicht die erste Investition in die Zukunft vonseiten der Auto AG, denn im Sommer 2019 hatte man sich als Servicepartner für die chinesischen Elektro­transporter von Maxus (siehe auch Seite 36) ernsthaft in Stellung gebracht. Am Hauptsitz in Rothenburg wird nun ein Wasserstoff-Kompetenzzentrum aufgebaut, wo sämtliche Arbeiten an den Xcient Fuel Cell vorgenommen werden können, während Aufgaben an herkömmlichen Truck-­Kom­ponenten und der Karosserie auch an den anderen sieben Standorten durchgeführt werden können. Die Schulung der Techniker ist bereits in vollem Gang. So war bereits eine erste Delegation nach Korea gereist, um für den Umgang mit dem neuen Truck und seiner wegweisenden Technik bereit zu sein.

GK Grünenfelder Group Albert Grünenfelder TIR transNews
Der Aufbau der Hyundai-Lastwagen wird in einer ersten Phase vom Rheintaler Spezialisten GK Grünenfelder Group produziert. Auf der letztjährigen transportCH setzte Albert Grünenfelder, Gruppen­leiter der GK Grünenfelder Group, einen klaren ­Akzent auf «Swiss Made».

Expansion bereits im Gang Trotz des hohen Interesses am Wasserstoffprojekt will man bei H2 Energy, wo die Kompetenz für die Geschäftsentwicklung liegt, keine übereilten Schritte vornehmen. «Die Nachfrage aus Europa ist viel grösser als erhofft», sagt zwar Rolf Huber. Doch müsse für jedes Land ein eigener Business Case gefunden werden, der sinnvolle ökonomische Rahmenbedingungen ergebe und in welchem eine langfristige Absatzperspektive vorhanden sei. Neben dem bekannten Projekt in der Schweiz konnte H2 Energy kurz vor Weihnachten bereits ein zweites Feld eröffnen. Dazu wurde in Norwegen ein weiterer Vertrag unterzeichnet. Das Joint Venture Green H2 Norway setzt sich aus H2 Energy, Nel Fuel AS, Greenstat AS und Akerhus Energi zusammen und hat, wie Hydrospider in der Schweiz, zum Ziel, eine erneuerbare Wasserstoff­produktion in Norwegen zu errichten, um damit Hyundai-Lastwagen zu versorgen.

In Norwegen und in der Schweiz geben unterschied­liche Rahmenbedingungen den Ausschlag für einen Business­ Case. In der Schweiz sind es die Befreiung der LSVA bei Wasserstoff-LKWs und die relativ hohen Dieselpreise, welche die TCO auf Augenhöhe mit einem Diesel-Truck bringen. In Norwegen ist es zum einen der noch höhere Dieselpreis, zum anderen der extrem niedrige Strompreis aus Wasserkraft. Als Zusatzpunkt kann Norwegen für sich verbuchen, dass auch die Abfallprodukte der Wasserstoffproduktion (Sauerstoff und Wärme) Gewinn abwerfen. Die Fisch­farmen (Lachs) setzen den Sauerstoff und die Wärme zur Anreicherung und Erwärmung jenes Wassers ein, das aus den Tiefen der Fjorde hochgepumpt wird, das aber für die Fische der Zuchtfarm zu kalt und zu sauerstoffarm ist.

Anhand der beiden Länder zeigt sich exemplarisch, wie unterschiedlich die geschäftlichen Bedingungen sind. Aktuell ist H2 Energy in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und auch Frankreich in Abklärungen und Verhandlungen. «Ziel ist es, pro Land einen starken Partner respektive ein effizientes Ökosystem zu etablieren und uns nicht in vielen kleinen Lösungen zu verzetteln», so Huber. «Wenn uns schliesslich der Business Case überzeugt und wir die Finanzierung für eine ökonomische Lösung gefunden haben, verhandeln wir mit Hyundai, damit sie die nötige Fabrikationskapazität bereitstellen.»

Doch das hat noch etwas Zeit, denn noch steht der erste Lastwagen erst kurz vor unseren Toren. Ab Mitte Februar heisst es dann die Augen offenhalten, damit man den revolutionären Truck auf der Strasse auch nicht verpasst.

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