Smart Cities so disruptiv wie damals das Automobil

SMART CITIES Die Urbanisierung gehört zu den transformativ­s­ten Trends des 21. Jahrhunderts. Bis 2050 soll sich die Weltstadtbevölkerung gegenüber heute fast verdoppeln. Im Rahmen des Formel-E-­Ren­nens in Zürich diskutierten Führungskräfte am FIA Smart Cities Forum über die Herausforderungen der vernetzten Mobilität.

FIA Smart Cities Forum TIR transNews
Podiumsgespräch zu Smart Cities mit starker Schweizer und internationaler Besetzung (v. l.): Moderatorin Marjorie Paillon, Philippe Crist, Norbert Rücker, Marc Langenbrinck, Rami-Johan Jokela und John Zanni.

Städte auf der ganzen Welt überdenken derzeit ihre Stadt­politik und legen dabei den Fokus auf Nachhaltigkeit. Mobilität spielt in diesem Prozess eine zentrale Rolle. Mit der Urbanisierung, also der raschen Verstädterung, steigen auch die Gefahren von Umweltverschmutzung und Staus und erwachsen der Verkehrssicherheit zusätzliche Gefahren. Die Initiative FIA Smart Cities wurde 2017 ins Leben gerufen, um an Rahmenveranstaltungen rund um die Formel-E-Rennen auf die Lücken in modernen Mobilitätssystemen aufmerksam zu machen.

Dazu werden jeweils am Vortag ausgewählter Formel-­E-Veranstaltungen Experten aus verschiedenen Bereichen der nachhaltigen Mobilität zusammengebracht, um neue Formen der Mobilität, effiziente Stadtplanung und ein System der Nachfragepolitik zu diskutieren. Die Referenten re­krutieren sich aus nationalen und lokalen Behörden, Forschungsinstituten, wichtigen Akteuren der Branche und FIA-Mitgliedern.

Starke Schweizer Beteiligung am Smart Cities Forum

Am 9. Juni fand das FIA Smart Cities Forum seinen Weg nach Zürich. Zu den Schweizer Referenten und Podiumsgesprächteilnehmern (resp. mit Schweizer Bezug) gehörten Peter Goetschi (Präsident TCS), Sébastien Buemi (Schweizer Profi-Rennfahrer), Norbert Rücker (Leiter Macro & Commodities Research, Julius Bär) und Marc Langenbrinck (CEO Mercedes-Benz Schweiz). Aus dem Ausland kamen Philippe Crist (Projektleiter International Transport Forum), Rami-Johan Jokela (Vizepräsident ABB Group), Alejandro Agag (CEO Formula E Holdings), David Zipper (German Marshall Fund), Karen Vancluysen (Generalsekretärin Polis) und John Zanni (Präsident Acronis).

Alejandro Agag nannte zwei Gründe, warum sich Hersteller in der Rennserie engagieren: «Die Entwicklung von Systemen und um den Menschen Elektromobilität näherzu- bringen. Deshalb wollen wir auch in die Herzen der Städte.» Man gehe ans Rennen, sehe die Elektroautos und im Kopf werde es dann einfacher, den Schritt zur E-Mobilität zu gehen. Doch noch müssen die Hersteller ihre Hausaufgaben machen: «Menschen kaufen dann Elektroautos, wenn sie einfacher, billiger und effizienter sind als solche mit Verbrennungsmotoren.»

Peter Goetschi ergänzte: «Emotionen werden auch künftig beim Autokauf eine grosse Rolle spielen.» Zufrieden zeigte er sich über die technischen Veränderungen der kommenden fünften Formel-E-Saison, bei der das Auto nicht mehr gewechselt werden muss, sondern die ganze Strecke mit nur einer Batterieladung fahren kann: «Es ist wichtig zu zeigen, dass das Auto so weit fahren kann.»

Daten könnten Verkehrs-Planung erleichtern

David Zip­per befasste sich mit Daten, die hilfreich sind, um die Mobilität besser zu steuern: «In den letzten zehn Jahren gab es grosse Veränderungen bezüglich der Möglichkeiten der Mobilität, etwa mit Sharing-Modellen oder Uber. Es gibt aber vieles, das wir über diese Dienstleistungen nicht wissen, was aber für die Verkehrsplanung wichtig wäre. Uber weiss nämlich zum Beispiel, wo besonders oft Passagiere aufgenommen werden. Die Stadt könnte an der Stelle eine Hop-on-/Drop-off-Zone errichten, damit der restliche Ver­kehr nicht gestört würde. Städte wissen oft nicht, welche Daten sie brauchen. Und wie können wir ohne Daten die Städte davon überzeugen, dass Systeme wie Dockless Bike Sharing (stationsloser Veloverleih­service wie LimeBike, Anm. d. Red.) die Situation verbessern?»

Karen Vancluysen ist Generalsekretärin von Polis, einem Zusammenschluss von Städten und Regionen, die in Sachen nachhaltiger Transportsysteme zusammenarbeiten. Im Umbruch der Mobilität stellen sich Gemeindeverwaltungen natürlich die Frage, welche Rolle sie bei den Transportsystemen der Zukunft spielen sollen. Die Erwartungen der Mobilitätskunden veränderten sich, Daten seien noch nicht standardisiert und auch nicht mehr im Besitz der lokalen Behörden, sondern bei den Privatdienstleistern. «Es gibt Städte, die Pioniere sind und Neues ausprobieren wollen», erklärte sie. «Aber der Grossteil folgt den Leadern und will das Risiko nicht eingehen, die Fehler selber zu machen.» Sie skizzierte das Flow-Projekt, mit dem der motorisierte Verkehr reduziert wird, indem für Fussgänger und Velofahrer bessere Bedingungen geschaffen werden. Zwei konkrete Städte in diesem Projekt sind Dublin, wo ein neuer öffentlicher Platz mehr Fussgängerkapazitäten bringt, und Lissabon, wo Fussgängerstreifen durch Verlängerung der Trottoirs verkürzt und so als Flaschenhals entschärft werden. Oder das Projekt «Ping if you care» in Brüssel, mit dem kritische Verkehrssituationen identifiziert werden: Velofahrer melden eine verkehrstechnisch schwierige Stelle über ihr am Lenker befestigtes Smartphone. Erhält eine Stelle besonders viele Pings, weiss die Verwaltung, dass hier ein Problem besteht und dass sie reagieren muss. Das Ziel ist in jedem Fall, dass Entscheidungen aufgrund von Daten und Fakten gemacht werden können.

Alte Menschen werden autonome Fahrzeuge lieben

In der Podiumsdiskussion erinnerte Marc Langenbrinck daran, dass vor 130 Jahren das Automobil selbst eine disruptive Technologie war. Norbert Rücker forderte auf, die Zukunft willkommen zu heissen: «Mobilität wird bezahlbarer. Autonomes Fahren wird für alte Menschen und Behinderte eine grosse Verbesserung.» Diskutiert wurde anschliessend die Frage, wem die Mobilitätsdaten eigentlich gehören. Langenbrinck wies auf die bereits heute gängige Praxis hin: «Wenn es Systeme für integrierte Mobilität gibt, wird der Nutzer seine Mobilitätsdaten freigeben müssen, um den Dienst nutzen zu können. Das wird er tun, denn er sieht den Vorteil darin.» Philippe Crist brachte eine fast schon philosophische Komponente in die Diskussion zum Thema Entscheidungsfindung: «Gesetze sind alle analog auf Papier, Entscheidungen werden aber immer öfter digital gefällt. Das Navigationsgerät sagt mir etwa, wo ich durchfahren muss, und autonome Fahrzeuge werden es auch tun. Die Lücke zwischen analog festgehaltenen Regeln und digitalem Alltag wächst.»

Mehr zum Forum gibt es hier.

Schweizer Rennfahrer Sébastien Buemi FIA SMart Cities Forum TIR transNews
Der Schweizer Rennfahrer Sébastien Buemi (Le-Mans-Sieger 2018, Formel-E-Weltmeister 2016) wurde etwas kalt erwischt mit der Frage, ob er denn privat auch ein Elektroauto fahre. Seine Antwort: «Nein. Aber ich bin ein grosser Fan und habe nur keines, weil ich oft lange Strecken fahren muss.»
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