carrosserie suisse: Ein Jahrhundert lang ­Transformation

CARROSSERIE SUISSE Der erst kürzlich zu carrosserie suisse umbenannte Branchenverband feierte in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag. Wechselnden Herausforderungen unterworfen, mussten sich die Schweizer Carrossiers immer wieder neu ­erfinden – was sie erfolgreich auch taten.

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Noch lange vor carrosserie suisse waren sie die ersten Carrossiers: Wagner und Schmiede. (Bild: Carrosserie Hess AG, 1905)

Als der Berufsverband am 22. Januar 1919 im Hotel Aarhof in Olten gegründet wurde, teilten sich der Chassisbauer und der Carrossier noch die Herstellung des Automobils. Während das Fahrgestell mit den Rädern, der Motor und das Getriebe sehr rasch industriell gefertigt wurden, bemühte sich der eigentliche Wagenbauer, der Carrossier, immer noch darum, mithilfe von Edelholz, Stahlblech und viel handwerklichem Geschick dem Auto ein individuelles Gesicht zu geben. Doch die grosse Umwälzung war nicht aufzuhalten, denn das wie aus einem Guss carrossierte Automobil wurde durch die Serien- und Laufbandfabrikation immer mehr zum Standard.

Als es wieder schick wurde, sich zu organisieren
Es waren die verheerenden wirtschaftlichen und sozialpolitischen Wirkungen des 1918 zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieges, die den Basler Wagenbauer Julius Kölz veranlassten, seine ortsansässigen Berufsangehörigen auf die Notwendigkeit des beruflichen Zusammenschlusses auf gesamtschweizerischem Boden hinzuweisen. Der von einer provisorischen Kommission aufgestellte Preistarif umfasste 18 Positionen und begann mit einem «offenen Zweiplätzer, einfache Form» für 4300 Franken und reichte bis zum «Phaeton-Landaulet 6-Plätzer, mit Conduit intérieur, Carrosserie ganz in Blech, Garnitur Leder» für 13 000 Franken. Mit der Preisliste wurden auch der Statutenentwurf und der Name «Verband der Schweizerischen Carrosserie-Industrie» («Union Suisse des industriels en Carrosserie») gutgeheissen. Damit war der VSCI gegründet. In der Praxis zeigte sich allerdings, dass die preisgestaltenden Grundsätze von Angebot und Nachfrage nicht durch eine blosse Preisliste zu regeln waren, insbesondere bei einem fabrikatorisch derart komplizierten Produkt wie der Autocarrosserie.

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Der Initiative von Julius Kölz, Basel, ist es zu verdanken, dass der Verband gegründet wurde. Kölz präsidierte den Verband von 1923 bis 1931.

Der Verband wirkt politisch – mit Erfolg
Die grosse Wirtschaftskrise Ende der Zwanzigerjahre erreichte auch die Schweiz: Ansteigende ausländische Konkurrenz, Zerfall fremder Währungen und dadurch bedingte Arbeitslosigkeit waren die Folge. Der Staat vergrösserte seine Einflussnahme, industrielle Militärbetriebe erhielten zur eigenen Arbeitsbeschaffung Carrosserieaufträge von der Postverwaltung und von Privaten. Der VSCI wurde bei den Bundesbehörden vorstellig, um diese seltsame Konkurrenz zu unterbinden. Diese Bestrebungen, von Post und Militär Aufträge zu erhalten, waren schliesslich erfolgreich.

Legendäre Zollregelung
Durch die anwachsenden Automobilimporte stand die Carrosseriebranche im harten Konkurrenzkampf mit der ausländischen, sehr spezialisierten und mit grossen Serien arbeitenden Automobilindustrie. Als Frucht der Bemühungen des VSCI konnte erreicht werden, dass der Bundesrat am 25. August 1931 eine Zollrückvergütung von 40 Prozent für alle in die Schweiz importierten und in der Schweiz carrossierten Chassis beschloss. Im Laufe der Jahre kamen Zollerleichterungen für den Import notwendiger Carrosseriebestandteile und Rohwaren hinzu. Als weiterer Erfolg des VSCI darf auch der Bundesbeschluss vom 15. Dezember 1933 angeführt werden, der eine Beschränkung und Kontingentierung der Einfuhr von Automobilen, Chassis, Carrosserien und Elektrokarren brachte. Währungskrisen ausländischer Staaten und dadurch bedingte Warenüberschwemmungen der Schweiz zwangen unsere Behörden auch auf anderen Gebieten zu solchen Abwehraktionen. Am 28. Juli 1939 erwirkte der VSCI einen weiteren Bundesratsbeschluss, wonach die Carrossiers für im Inland carrossierte Lieferwagen bis zu 800 kg Nutzlast 20 Prozent des Chassiszolles zurückbekamen. Diese Vergünstigung bestand bis Ende 1953.

Damals wurden in der Schweiz gegen 100 Carrosseriewerke mit rund 2000 Angestellten und Arbeitern gezählt. In dieser Zeit erliess der Verband auch Empfehlungen, dem Lehrlingsnachwuchs und der Ausbildung vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken.

carrosserie suisse 100 Jahre TIR transNews Alpenwagen
Die sogenannten Alpenwagen waren eine Schweizer Eigenheit des ein­setzenden Bergtourismus. Hier ein Saurer-­Alpenwagen AD1923.

Zweiter Weltkrieg und Demobilisierung
Während des Weltkrieges wurde der ganze Automobilverkehr und -import wegen Treibstoffmangels und staatlicher Kontingentierung der Einfuhr stark eingeschränkt. 1937 waren noch 120 844 Motorfahrzeuge in der Schweiz immatrikuliert, 1941 nur noch 30 633, und davon dienten rund 90 Prozent dem Personentransport. Im Vordergrund der Verbandstätigkeit während den Kriegsjahren standen die Beschaffung der benötigten Rohmaterialien und die Sicherung von Arbeitsmöglichkeiten.

Eine Branche im Wandel
In den Dreissigerjahren waren jährlich Hunderte von Personenwagenchassis in die Schweiz eingeführt und nach den Wünschen der Kundschaft carrossiert worden. 1960 war der Kreis solcher Besteller auf einige wenige Liebhaber zusammengeschmolzen. Die Neuarbeiten betrafen fast nur noch Nutzfahrzeuge und Anhänger. Viele Mitglieder waren aber auch mit Reparaturen beschäftigt und deren Zahl nahm aufgrund des stetig grösser werdenden Bestandes an Motorfahrzeugen laufend zu. 1969 hob der VSCI alle Preisvereinbarungen auf. 1974 wurde zum Geburtsjahr eines neuen VSCI mit neuen Statuten. Nun wurde der VSCI nicht mehr von den einzelnen Mitgliedern, sondern von Sektionen getragen. Auch der Name wurde geändert in «Schweizerischer Carrosserieverband». Die vertraute Abkürzung VSCI wurde beibehalten.

carrosserie suisse 100 Jahre TIR transNews Gygax
Carrosserie Gygax, Biel: Kastenmacher-­Werkstätte 1913

Die Konjunktur läuft heiss
Vor interessanten Herausforderungen sahen sich ausgangs der Siebziger- und in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre die Fahrzeughersteller gestellt: Für die Endmontage von 890 Armee-Pinzgauern, die 1978/79 bei Saurer in Arbon erfolgte, konnten verschiedene Komponenten von VSCI-­Mitgliedern geliefert werden. Im Jahre 1978 wurden einheimische Carrosseriefirmen mit der Erstellung von Prototypladebrücken in Stahl und Aluminium für Steyr- und Saurer-­Geländelastwagen beauftragt. Daraus resultierte vier Jahre später für die Firma Saurer ein Auftrag für die Lieferung von 800 Geländelastwagen 4×4 und 300 Geländelastwagen 6×6, an dessen Ausführung insgesamt 56 Unternehmen in 17 verschiedenen Kantonen beteiligt waren. Ein weiterer Grossauftrag der Armee war der Bucher Duro, für den die Carrosserie Hess ab 1994 Aufbauten anfertigen durfte. Es handelte sich um 1800 Mannschaftsfahrzeuge und 200 Kommandofahrzeuge. 1998 folgte dann die Anschlussbestellung über 550 Mannschaftswagen und 350 Kommandowagen.

Ein wichtiger Branchenzweig bis Anfang der Achtzigerjahre war das Carrossieren von Reise- und Linienbussen. Traditionsreiche Namen sind hier u.a. die Carrosserien E. Höhener, Gangloff, Hess, J. Kölz, Ramseier & Jenzer sowie Tüscher.

Ein nationaler Verband entsteht
Anfänglich hatte sich der Verband für eine bessere Markt- und Preisordnung eingesetzt, später wurde er Sprecher einer ganzen Industrie in der kriegswirtschaftlichen Zwangsorganisation des Zweiten Weltkrieges. Daraus ergab sich seine ständige Mitarbeit an der Gesetzgebung und am Bildungswesen seines Berufsnachwuchses. Heute vertritt er die Interessen seiner Mitglieder gegenüber der Automobilwirtschaft, der Transportwirtschaft überhaupt, gegenüber anderen Wirtschaftsgruppen wie Gewerkschaften und Versicherungen, gegenüber den Behörden und der Öffentlichkeit.

Unabhängig, vor allem in sozialpartnerschaftlichen Belangen, blieb stets die Fédération des Carrossiers romands (FCR). Nach mehrjährigen Fusionsgesprächen und Bemühungen wurde im November 2019 nun die letzte verbands­interne Abstimmung erfolgreich durchgeführt, sodass ab 1. Januar 2021 ein starker Gesamtschweizer Verband carrosserie suisse seine Interessen noch besser vertreten kann.

carrosserie suisse Kampagne 2019
Die Werbekampagne zum Namenswechsel zu carrosserie suisse war klein, aber fein und wurde über verschiedene Kanäle gestreut.
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