Coronavirus: Die Carbranche trifft es besonders hart

EXISTENZEN GEFÄHRDET Die Carbranche wird von den Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie besonders hart getroffen. Carreisen werden storniert oder gar nicht erst gebucht. Die Lage ist ernst, die ASTAG fordert Massnahmen vom Bundesrat.

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Leere Busse – das ist heute die traurige Aktualität für Anbieter von Carreisen. Wie lange hält die Carbranche noch durch?

Die Schweizer Reisebusbranche ist von der rasanten Ausbreitung des Coronavirus in den umliegenden Ländern und in der Schweiz ausserordentlich stark betroffen. Bereits erteilte Aufträge werden annulliert, die Buchungszahlen gehen dramatisch zurück, mangels Kunden stehen ganze Fahrzeugflotten still. Die Folge sind Umsatzeinbussen und Ertragseinbrüche in nie gekanntem Ausmass. Es drohen Liquiditätsengpässe, die zum Verlust von wertvollen KMU-Arbeitsplätzen führen können. «Die Situation für die Branche ist prekär», warnt Adrian Amstutz, Zentralpräsident des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands ASTAG. Vor grossen Herausforderungen steht auch das Gütertransportgewerbe. Vor allem im grenzüberschreitenden Verkehr mit Italien besteht grosse Verunsicherung. Warentransporte sind zwar vorläufig weiterhin erlaubt. Jedoch führen die am 10. März verfügten Einschränkungen zu Wartezeiten, Verzögerungen und enormen Schwierigkeiten bei Anlieferung und Abholung. Die Konjunkturrisiken sind zudem stark gestiegen, die Prognosen wurden bereits nach unten korrigiert. Die Verunsicherung in der Branche nimmt daher zu.

Bereits am Montag (9. März 2020)  veröffentlichte der Internationale Bustouristik Verband e.V. RDA mit Sitz in Köln (D) erste Ergebnisse einer bundes- und branchenweiten Umfrage „zur Ermittlung der Schäden durch das Coronavirus“. Die entstandenen Schäden resultieren demzufolge aus ausbleibenden Buchungen (41,9 Prozent), gefolgt von stornierten und abgesagten Reisen (39,9 Prozent), stornierten Busanmietungen (10,8 Prozent) und verauslagten Vertriebsprovisionen und Reisevorleistungen ohne Rückerstattungsanspruch (7,4 Prozent). Aufgrund der vorläufigen Datenlage schätzt der RDA in seiner Hochrechnung vom 6. März 2020, dass der deutschlandweite Gesamtschaden innerhalb der Bus- und Gruppentouristik in Abhängigkeit zur Fortentwicklung der Corona-Krise zwischen 300 Mio. und 500 Mio. Euro liegen wird.

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Dr. André Kirchhofer, ASTAG Vizepräsident: „Eine seriöse Beurteilung der zukünftigen Entwicklung ist Stand heute nicht möglich. Fakt ist, dass der Umsatz in der Reisecarbranche für die Monate März und April aufgrund der Stornierungen grösstenteils verloren ist. Die weitere Entwicklung ist unter anderem stark abhängig von den Entscheiden des Bundesrates.“

TIR fragte bei ASTAG Vizedirektor Dr. André Kirchhofer nach, wie die Situation in der Schweiz aussehe. „Umfragen bei Mitgliedern wurden bisher nur auf qualitativer Ebene durchgeführt. Ein Vergleich mit den vom RDA erhobenen Zahlen ist daher nicht möglich“, so Kirchhofer zwar. Doch er umschreibt die Situation als sehr dramatisch: „Die grössten Herausforderungen stellen sich derzeit in der Carreisebranche. Hier muss von einer teilweise existenzbedrohenden Krisensituation gesprochen werden. Der Grund ist, dass es nebst einer Welle von Stornierungen zu einem regelrechten Einbruch bei Neuaufträgen gekommen ist. Die Kunden fürchten eine Ansteckung mit Coronavirus, zumal es oft ältere Personen sind, die zu den Risikogruppen gehören.“

Auf die Frage, wie schlimm der wirtschaftliche Schaden ist, antwortet Kirchhofer: „Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass nahezu alle 4000 ASTAG-Mitglieder von den wirtschaftlichen Konsequenzen betroffen sind. Das Ausmass der Betroffenheit kommt auf die Art des Unternehmens an. Reine Reisecarunternehmen haben nicht die Möglichkeit, auf andere Sparten auszuweichen wie gemischttätige Betriebe, die beispielsweise ihre Mitarbeitenden in anderen Bereichen einsetzen können.“ Zur Verdeutlichung der aktuellen Lage nennt er folgende Fakten aus mehreren Unternehmen in der Deutschschweiz und der Romandie:

  • In der ganzen Schweiz stehen ganze Flotten still, d.h. 25 von 28 Fahrzeugen (Fall 1) bzw. 12 von 14 Fahrzeugen (Fall 2).
  • Die Umsatzeinbussen erreichen, je nach Fall, bis zu 600’000 Franken pro Woche.
  • Bei den Buchungen ist ein dramatischer Rückgang gegenüber der Vorjahresperiode zu verzeichnen, konkret: minus 62 Prozent (Fall 1) bzw. minus 90 Prozent (Fall 2).

Betroffen seien sämtliche Angebote – von Auftragsfahrten (Firmen, Schulen usw.) über Badeferien, Kreuzfahrten und Flüge bis zu Pilgerreisen.

Die Informationssendung „Schweiz Aktuell“ (SRF) besuchte zu diesem Thema das Familienunternehmen Heggli aus Kriens. Auch hier ist der Umsatz eingebrochen. 50 Prozent der Buchungen seien annulliert worden, sagt die Geschäftsleiterin Brigitte Heggli. „Wir machen das schon lange und sind uns Krisen auch gewöhnt. Aber ein solches Ausmass erleben wir das erste Mal.“ Die Geschäftsleiterin sah sich nun gezwungen Kurzarbeit anzumelden. „Unsere Chauffeure wollen arbeiten und können nicht, während die Kunden nicht reisen dürfen“, erklärt Heggli. Sie gebe ihr bestes und versuche die Firma zu retten. Die finanziellen Folgen seien momentan noch nicht klar einzuschätzen. Klar ist jedoch: Die Konsequenzen für das Unternehmen sind drastisch.

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Das Familienunternehmen Heggli Reisen Kriens musste ebenfalls Kurzarbeit anmelden.

Neben der Familie Heggli sind Busunternehmen aus der ganzen Schweiz vom Coronavirus betroffen. Der komplette Markt für Carreisen sei zusammengebrochen, heisst es beim Carverband Bern-Solothurn. „Teilweise sind bis zu 90 Prozent der Aufträge weggefallen“, sagt Verbandspräsident Urs Gerber gegenüber SRF. ASTAG Zentralpräsident Adrian Amstutz stellt deshalb Forderungen an die Adresse des Bundes: „Carunternehmen sollten unbürokratisch und schnell für Kurzarbeit genehmigt werden. Vor allem auch Saisonal- und Aushilfsstellen sollten davon profitieren können.“ Die hohen Ausfälle führen bald zu Liquiditätsengpässen. Die Carunternehmen hätten in den Wintermonaten hohe Vorleistungen für Werbung, Hotelbuchungen und Versicherungen geleistet, sagt Amstutz. Verbände und Unternehmen fordern deshalb Notkredite des Bundes zur Überbrückung, bis sie wieder Einnahmen generieren können. Ein Entscheid ist noch nicht gefallen. Am Freitag wird der Bundesrat voraussichtlich über mögliche Massnahmen diskutieren.

„Entschädigungen für Kurzarbeit allein reichen nicht. Der Bund muss weitergehende Massnahmen ergreifen. Bereits jetzt muss von einer existentiellen Gefährdung der Reisebusbranche gesprochen werden. Ohne Gegenmassnahmen sind Firmenschliessungen zu erwarten“, warnt Kirchhofer.

Hier geht es zum Video von SRF.

 

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