Generationenwechsel bei H2 Mobilität Schweiz

GENERATIONENWECHSEL Während der vergangenen fünf Jahre hat der Förderverein H2 Mobilität Schweiz ein real funktionierendes Wasserstoff-Ökosystem auf die Beine gestellt. An der ordentlichen Generalversammlung Mitte Mai hat Jörg Ackermann das Präsidium an Martin Osterwalder übergeben.

Der Wasserstoffkreislauf in der Schweiz ist das Resultat einer sektorübergreifenden Zusammen­arbeit, an der Spitze ist es nun zum Generationenwechsel gekommen. Die erste neue H2-Tankstelle wurde im Juli 2020 eingeweiht, eine der jüngsten ging ­Anfang Mai 2023 am ­Genfersee in Puidoux (Bild) in Betrieb.

Mit einer wachsenden Produktion von grünem Wasserstoff, mit täglich eingesetzten 48 Wasserstoff-Elektro-Lastwagen und dem heute dichtesten Wasserstoff-Tankstellennetz der Welt, bestehend aus aktuell 16 Tankstellen auf den Achsen Bodensee–Genfersee und Basel–Luzern, verfügt die Schweiz über ein Wasserstoff-Ökosystem, das weltweit grosse Beachtung findet und von diversen neuen Playern als Grundlage fürs eigene System herangezogen wird. Möglich machten und machen dies die 21 Mitglieder des Fördervereins und die Partnerunternehmen, die sich die Dekarbonisierung des Strassenverkehrs als Ziel gesetzt haben. Mit der positiven Bilanz nach fünf Jahren stellten die Mitglieder an der Generalversammlung die ersten Weichen für die nächsten fünf Jahre mit einem neuen Präsidenten – Stichwort: Generationenwechsel –, dem Ausbau der Aktivitäten und der Erweiterung der Mitgliederbasis.

Generationenwechsel
„Es geschieht, weil wir es tun.“ Mit diesen Worten überreichte der bisherige Vereinspräsident Jörg Ackermann (65) fünf Jahre nach der Vereinsgründung den symbolischen Wasserstoff-Schlüssel an seinen Nachfolger Martin Osterwalder (37). Für den Verein steht fest, dass grüner Wasserstoff und die Wasserstoffmobilität einen wichtigen Platz im Umbau der Energiesysteme und der Mobilität einnehmen werden. „Wir sehen aber auch, dass politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich viel Arbeit vor uns liegt“, bekräftigt der neue Präsident. Das verstehe der Verein als Auftrag, damit die Kräfte und Ressourcen der Mitglieder für die Umwelt und die Gestaltung der Zukunft gebündelt würden.

Was sich heute als real funktionierendes Ökosystem darstellt, begann vor rund zehn Jahren im kleinen Kreis am runden Tisch, wo die Dekarbonisierung im Mittelpunkt stand, ohne vorgefasste Meinungen und mit einem weissen Blatt Papier. Jörg Ackermann: „Das führte am damals aufkommenden Batterie-Elektro-Hype vorbei in Richtung Wasserstoff-Elektromobilität, mit Fokus Schwerverkehr.“ Am 18. Mai 2018 gründeten darauf sieben namhafte Schweizer Unternehmen den Förderverein, heute gehören ihm 21 Firmen aus Detailhandel, Transport und Logistik, Tankstellen und Autoimport an.

„Wir wussten von Anfang an, dass wir das Henne-Ei-Problem lösen müssen“, blickt Ackermann zurück. Um das H2-Ökosystem in einem wirtschaftlich funktionierenden Kreislauf zu realisieren, mussten sowohl Tankstellen als auch Kunden aufgebaut werden. Heute besteht der Kreislauf neben dem Förderverein aus den Akteuren Hydrospider (H2-Produktion und Vertrieb), H2 Energy (Initiant) und Hyundai Hydrogen Mobility (LKW). „Wir können mit dem Ökosystem zwar die Welt nicht retten“, so Ackermann weiter, „aber wir können mit gutem Beispiel vorangehen und unsere Lösung in die Welt hinaustragen.“

Nachfolgend die ­Interviews mit dem bisherigen und dem neuen Präsidenten. Die Interviews hat TIR transNews im Juni 2023 geführt.

Fragen an Jörg Ackermann

Jörg Ackermann, bisheriger Präsident Förderverein H2 Mobilität Schweiz.

TIR transNews: Sie haben ein ambitioniertes Projekt präsidiert, das ­einerseits erfolgreich angelaufen ist, aber mit vielen ­unverschuldeten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Welche persönliche Bilanz ziehen Sie nach fünf Jahren, wo Sie das Zepter weitergeben?

Jörg Ackermann: Wir haben ein Wasserstoff-Ökosystem realisiert, das in dieser Form weltweit einzigartig ist. Das Mobilitätssystem im geschlossenen Wasserstoffkreislauf ist mit 48 Brennstoffzellen-LKW und aktuell 16 Tankstellen real und es funktioniert im gewerblichen Einsatz tagtäglich. Gesamthaft legen die LKW wöchentlich rund 70’000 km zurück. Das heisst, dass wir trotz allen Hürden zeigen können, dass es funktioniert. Das bedeutet für mich persönlich, dass sich das Engagement gelohnt hat.

Die Herausforderungen des Fördervereins waren zu Beginn im 2018 anders als heute – wie hat sich der ­Verein dabei über die letzten fünf Jahre verändert?

Ackermann: Der Verein und dessen Ziele haben sich nicht verändert. Aufgrund der Ereignisse in der Ukraine haben sich die Wasserstoffpreise derart erhöht, dass in der weiteren Skalierung von H2-LKW aus wirtschaftlichen Gründen bewusst Tempo herausgenommen wurde. Hingegen haben wir unbeirrt am Ausbau der H2-Tankstellen und -Produktionsstätten und im Speziellen an deren Redundanz weiter­gearbeitet.

Welches war aus Ihrer Sicht das wichtigste Ereignis rund um die Arbeit des Fördervereins und um den gesamten H2-Kreislauf?

Ackermann: Es war technisch anspruchsvoll, in dieser kurzen Zeit ein derart komplexes Thema zu realisieren. Dazu braucht es Menschen, die entschlossen vorangehen und tun.

Tankinfrastruktur und H2-Produktion wachsen unbeirrt und haben ein beachtliches Ausmass erreicht. Gleichwohl laufen noch immer erst knapp 50 Lastwagen statt der ursprünglich angesagten 1000. Was entgegnen Sie jenen Stimmen, die das Projekt am liebsten für ­gescheitert erklären würden?

Ackermann: Die haben schlicht nicht verstanden, worum es hier geht. Es geht übergeordnet um Klimaschutz, aber gleichzeitig entwickeln die Mitglieder ein Werkzeug für die Zukunft, um ihre Geschäftsmodelle auf die Herausforderungen der ­Mobilität von morgen auszurichten und ihre eigene Wett­bewerbsfähigkeit zu stärken – so quasi den Fünfer und das Weggli.

Welches sehen Sie als die grösste Herausforderung für Ihren Nachfolger Martin Osterwalder?

Ackermann: Der Aufbau funktioniert auf der Grundlage, dass sich Mitbewerber an einen Tisch setzten, um gemeinsam ein Mobilitätssystem zu realisieren, wozu jeder, für sich allein genommen, nicht in der Lage ist. Dazu braucht es eine Auflösung von Grenzen zwischen Branchen und den einzelnen Unternehmen. Diese Solidarität und schrittweise Öffnung des Ökosystems ist eine wichtige Aufgabe meines Nachfolgers.

Mit Blick nach vorne, welchen Wunsch haben Sie an die Schweizer Politik betreffend den H2-Kreislauf, aber auch generell mit Blick auf die Dekarbonisierung des Gütertransportes?

Ackermann: Vorerst ist es wichtig, dass die besondere privatwirtschaftliche Leistung in der Ausgestaltung der LSVA entsprechend gewürdigt wird. Ohne moderate Tarife ist die Initiative gefährdet. In erster Linie geht es um Investitionssicherheit.

Und nochmals mit Blick nach vorne, haben Sie auch ­einen Wunsch an die Mitglieder des Fördervereins?

Ackermann: Die Wasserstoff-Grossfahrzeuge sind die Grundlage einer privatwirtschaftlichen Skalierung im Tankstellenbau. Wenn es den Mitgliedern gelingt, dass sich weitere LKW-Hersteller zu H2 bekennen, dann wird das die Skalierung massiv beschleunigen.

Sie sind jetzt 65, ziehen Sie sich nun ganz aus dem ­Projekt zurück?

Ackermann: Nach zehn Jahren erfolgreicher Pionierarbeit mit viel Herzblut wird man das Thema wohl nicht los. Im Rahmen unserer Initiative habe ich formal keine Funktionen mehr inne. Mit 65 soll man Platz machen für neue Impulse und Ideen. Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich, dass Martin Osterwalder, Mitinitiant der ersten Stunde, weiterhin mit seinem persönlichen Engagement und seiner Erfahrung die Initiative voranbringen wird.

Fragen an Martin Osterwalder

Martin Osterwalder, Geschäftsführer Avia Osterwalder und neuer Präsident H2 Mobilität Schweiz.

TIR transNews: Sie sind nicht nur der neue Präsident des Fördervereins, sondern waren mit Avia Osterwalder von Beginn weg dabei. Worauf freuen Sie sich am meisten in Ihrer neuen Aufgabe und Verantwortung?

Martin Osterwalder: Wir sind ein Unternehmen, das mit viel Tradition, einem realistischen Bezug zum Alltag und einer Vision unterwegs ist. Wir denken aber nicht nur in Zahlen. Wir wollen der nächsten Generation auch eine intakte Welt übergeben. Im Förderverein sitzen Menschen am Tisch, die handeln, und die mit dem gleichen Spirit und der gleichen Energie unterwegs sind, um etwas zu verändern. In diesem Umfeld wirken zu können ist eine Aufgabe, auf die ich mich freue.

Wenn Sie zurückblicken: Welches Erlebnis im Förderverein ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Osterwalder: Wenn ich auf die fünf Jahre zurückblicke, sehe ich nicht ein Erlebnis, sondern eine Person. Jörg Ackermann hat diesen Verein mit einer Energie, einem Enthusiasmus, einer Entschlossenheit und einem Charisma aufgebaut und geführt, wie sie selten anzutreffen sind. Starke Momente waren für mich natürlich die Gründung im Jahr 2018. Dann folgte 2020 die Eröffnung der ersten neuen Wasserstofftankstelle in St. Gallen, zusammen mit Bertrand Piccard. Er ist der gleichen Überzeugung wie wir. Grüner Wasserstoff spielt eine entscheidende Rolle in der Energiewende.

Der Übergang von Jörg Ackermann (65) zu Ihnen (37) wird als Generationenwechsel bezeichnet. Setzt der neue Präsident andere Prioritäten als sein Vorgänger?

Osterwalder: Das grosse Ziel bleibt. Wir bauen in der Schweiz ein flächendeckendes Wasserstoff-Tankstellennetz auf, mit einem funktionierenden Wasserstoff-Ökosystem. Die Vorzeichen aber haben sich in den letzten fünf Jahren verändert. Wir haben alle erlebt, wie sich die Verwerfungen im Energie­sektor direkt und unmittelbar auf die Mobilität auswirkten – und dies in einem Moment, in dem Privat- und Güterverkehr den grössten Umbruch seit einem Jahrhundert vollziehen. Da braucht es jetzt ­rasche politische Weichenstellungen, in die wir unsere Erfahrungen und unser Know-how einbringen können.

Wo sehen Sie persönlich die grösste Herausforderung in ­Ihrer Arbeit?

Osterwalder: Am Tisch des Fördervereins sitzen heute 21 namhafte Unternehmen und wichtige Partner, die alle auch als Pioniere unterwegs sind. Uns allen ist klar, dass wir in eine Zukunft investieren und ein unternehmerisches Risiko eingehen müssen. Trotzdem erfordert es viel Motivation und Überzeugung, um dies gemeinsam und branchenübergreifend umzusetzen, während wir alle auch im Wettbewerb und mit beiden Füssen am Boden stehen müssen.

Ursprünglich war noch eine zeitliche Limitierung der Arbeit des Fördervereins angedacht gewesen. Davon ist heute nicht mehr die Rede, es wurde gar eine Vergrösserung der Mitgliederbasis beschlossen. Was hat den ­Förderverein dazu bewogen?

Osterwalder: Der Förderverein entwickelte sich in den vergangenen fünf Jahren – zusammen mit den Mitgliedern und den Partnern – zu einer kompetenten Plattform, mit einer starken Stimme und einer grossen Kraft. Im gleichen Zeitraum bewegten und entwickelten sich der Energiesektor und die Mobilität in einem unglaublichen Tempo, mit allen Risiken und ­Nebenwirkungen. Wir stehen erst am Anfang der Energiewende und in der Mobilität findet gerade eine Revolution statt. Die weltweit einzigartige Konstellation unseres Fördervereins in diesem Moment aufzulösen wäre fast nicht zu verantworten. Da gibt es einfach noch zu viel zu tun.

Eigentlich hätten in diesem Jahr bis zu 1000 Wasserstoff-Lastwagen in Betrieb genommen werden sollen. Wird diese Zielsetzung nun noch weiterverfolgt? Und wenn ja, was erwarten Sie diesbezüglich von den ­Protagonisten, namentlich auch von den Fördervereins­mitgliedern?

Osterwalder: Die Gründe, warum diese angepeilte Zahl an Wasserstoff-­Lastwagen in diesem Zeitraum nicht realisierbar war, sind ebenso erklärbar wie plausibel. Für uns wichtig war und ist, dass wir die Machbarkeit in der Praxis beweisen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Hyundai geht da als Pionier in die Vorleistung. 48 Trucks haben bis heute mehr als 7 Millionen Kilometer zurückgelegt. Jetzt sehen wir links und rechts neue Hersteller, Unternehmen und Gruppen, die sich am Schweizer Projekt orientieren und dieses ausbreiten, in Europa und auch in den USA. Damit haben wir viel bewirkt und bewegt. Der Förderverein selbst ist ja kein Unternehmen. Unsere Mitglieder entscheiden selbst, wo, wie und wann sie investieren. Da spielt der freie Markt.

Welchen Wunsch haben Sie an die Schweizer Politik betreffend den H2-Kreislauf, aber auch generell mit Blick auf die Dekarbonisierung des Gütertransports?

Osterwalder: Es geht da weniger um Wünsche als um unbedingt erforderliche Weichenstellungen. Die Realwirtschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen, um investieren zu können. Es ist für uns wichtig, dass die LSVA die privaten Inves­titionen in die nachhaltige Mobilität berücksichtigt und dementsprechend ausgestaltet wird. Die Investitionssicherheit auf viele Jahre hinaus ist ein entscheidender Faktor. Zudem brauchen wir raschere Prozesse für die Genehmigung von Tankstellen und Wasserstoff-Produktionsanlagen. Wichtig ist uns auch, dass Politik und Behörden in diesen Zeiten des Umbruchs technologieoffen unterwegs sind und allen Entwicklungen eine Chance einräumen.

Wagen Sie einen Ausblick und sagen Sie uns, wie Sie den Förderverein und den Schweizer H2-Kreislauf nach weiteren fünf Jahren sehen …

Osterwalder: Der berühmte Blick in die Glaskugel… Die Sektorenkopplung zwischen Energie, Mobilität und der digitalen Welt wird sich rasch weiterentwickeln. Das ist absehbar. In diesem Umfeld wird sich die Basis des Fördervereins erweitern. Und wir werden zu einer noch stärkeren Stimme, um den grünen Wasserstoff in die nachhaltigen Energiesysteme der Zukunft einzubinden.

 

 

 

Visited 219 times, 1 visit(s) today

Weitere Beiträge zum Thema