«Kaum Chinesische Budgetreifen in der Schweiz»

REIFEN Seit Juni 2017 leitet Marco Goebel (52) die Geschicke von Michelin Schweiz in Givisiez. Wir haben uns mit ihm über seine Aufgabe und die Herausforderungen der Branche unterhalten.

Marco Goebel Michelin TIR transNews
Seit 2017 leitet Marco Goebel Michelin Schweiz in Givisiez.

Wie erleben Sie die Unterschiede der DACH-Märkte?

Der Schweizer Reifenmarkt ist schon anders als zum Beispiel der deutsche Markt. Das zeigt sich vielleicht am besten am hohen Qualitätsanspruch der Reifenhändler. Da ich sowohl für den Personenwagen- wie auch für den Nutzfahrzeugreifen zuständig bin, kann ich das von beiden Bereichen sagen. Für Michelin ist das von grosser Bedeutung, denn wir sind ein Premiumhersteller und unsere Philosophie, unser Markendenken ist stark auf ein hohes Qualitätsniveau ausgerichtet.

Also brauchen Sie die Früchte nur noch zu ernten?

Natürlich nicht. Vor dem Ernten muss man schon einiges tun. Doch der hohe Qualitäts- und der Premiumanspruch der hiesigen Autofahrer und Händler, also unserer Kunden, deckt sich mit unserer eigenen Philosophie.

Reifen werden in Europa oft über den Preis gekauft. Wie passt das mit den Schweizer Ansprüchen zusammen?

Überhaupt nicht. Aus meiner Erfahrung mit der DACH-­Region kann ich bestätigen, dass in Österreich und Deutschland ein hoher Anteil an Reifen rein über den Preis gekauft wird, sogenannte chinesische Budgetreifen. Dieser Aspekt ist in der Schweiz praktisch überhaupt nicht vorhanden.

Wie das?

Die Billiganbieter versuchen verstärkt in Europa Fuss zu fassen. Die Händler in der Schweiz steigen jedoch nicht auf diese Preisfrage ein. Natürlich muss auch hier auf den Franken geschaut werden – man hat ja nichts zu verschenken –, doch der Schweizer hat das Bewusstsein, dass man für ein wertigeres Produkt mit besserer Performance mehr bezahlt. So verkaufen unsere Händler mit höherpreisigen Produkten auch den hohen Qualitätsanspruch, der dann mit im Preis berücksichtigt ist.

Beeinflusst die neue deutsche Winterreifen-Gesetz­gebung (siehe Seite 45) den Schweizer Markt?

Die Schweiz hat schon ein sehr hohes Winterreifenbewusstsein, insofern hat sich kaum etwas verändert. Zudem haben alle unsere wintertauglichen Produkte bereits die 3PMSF-Kennung, daher ist die Vorschrift für Michelin eher ein Vorteil als ein Nachteil. Ich selber bin froh, dass die neue Kennung vorangetrieben wurde, denn die bisherige M+S-Kennung war kein echtes Qualitätsmerkmal für Wintertauglichkeit. Nun werden wir an Vorgaben gemessen, die für alle gelten.

Gibt es aus Ihrer Sicht spezifischen Handlungsbedarf für Michelin in der Schweiz?

Die Schweiz ist ein anspruchsvoller Markt, der Wettbewerb ist gross. Meine Vorgänger haben das Geschäft bislang sehr gut hingekriegt. Ich habe eine gute Mannschaft und ein eingespieltes Team, die Leute wissen, wovon sie reden, und kennen den Schweizer Markt und ihre Kunden. Gleichwohl möchte ich natürlich auch eine gewisse persönliche Note hineinbringen. Ich möchte als Direktor nicht nur die Rechnungen und Rapporte unterschreiben. Einbringen kann ich mich natürlich nicht in der Produktentwicklung, aber in der Beziehung zum Kunden: ein offenes Ohr haben, den Kunden zuhören und umsetzen, was die Kunden wünschen. Zudem wollen wir im Markt weiterwachsen und natürlich auch Geld dabei verdienen.

Wie beurteilen Sie die allgemeine Marktsituation?

Die Schweiz und Europa sind ein gesättigter Markt. Wenn ich jetzt in der Schweiz wachsen will, muss ich jemand anderem ein Stück vom Kuchen wegnehmen, damit mein Stück grösser wird. Wir haben bereits einen hohen Markt­anteil dank unserer guten Produkte, und den wollen wir halten, mit neuen Produkten gar noch ausbauen.

Sie meinen dabei sicher auch die Konzernmarke ­BFGoodrich, die seit Anfang 2018 für Nutzfahrzeuge eben­falls in Europa angeboten wird. Wie wichtig ist der Einstieg von BFGoodrich für die Schweiz?

Er ist sehr wichtig. Wir bauen BFGoodrich zur zweiten Marke nach Michelin im Konzern auf. Es geht auch hier darum, die Bedürfnisse unserer Kunden bedienen zu können. Wenn jemand eine günstigere Alternative zu einem Michelin-Reifen sucht, dann ist es gut, einen weiteren Joker in der Hand zu halten. Mit unserer amerikanischen Marke BFGoodrich ist es möglich, dem Kunden, der gleichwohl ein gutes Produkt aus dem Hause Michelin erwartet, diverse Möglichkeiten anzubieten, und zwar in einer Bandbreite, die durchaus angemessen ist.

Wie ist das Geschäft mit BFGoodrich angelaufen?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für einen Rückblick noch zu früh. Mit dem BFGoodrich bieten wir für den Schweizer Markt ein stimmiges Produkt an. Weiter hilft uns die Tatsache, dass die über 80-jährige Marke in Europa längst im PW-Bereich ein Begriff und als eigentliche Offroad-Marke bekannt ist. Beim Nutzfahrzeug haben wir diese Spezialisierung nicht, sondern decken mit BFGoodrich in fünf Hauptanwendungen und gesamthaft 53 Reifenmodellen das ganze Einsatzgebiet des Strassentransports ab.

Welche Aufgabe sieht Michelin bei der Thematik der alternativen Antriebe?

Die ganze Thematik der Nachhaltigkeit ist sehr wichtig für uns. So sind wir seit 2014 der Reifenlieferant für die For­mula E, und ab diesem Jahr wird auch die Rennserie Moto-E mit Michelin ausgerüstet. Solche Themen weiterzuentwickeln liegt uns sehr am Herzen. Zudem legen wir sehr gros­sen Wert auf alternative Energien und haben beispielsweise alle deutschen Werke mit Photovoltaik-Dachanlagen ausgerüstet. Und natürlich haben wir spezifische Reifen für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im Angebot; diese sind schmaler und leichter, brauchen weniger Rohstoffe und haben weniger Rollwiderstand, was die Reichweite solcher Fahrzeuge verbessert.

Michelin ist ja längst kein reiner Reifenhersteller mehr. Wo sehen Sie denn noch die neuen Geschäftsfelder?

Unsere Bestrebungen gehen weit über den Reifen hinaus und wir machen uns viele Gedanken generell zur Mobilität. Wir haben bereits etliche Ansätze, das Stichwort dazu ist die Digitalisierung. Wir haben dieses Thema bereits in den letzten Jahren vorangetrieben und werden den Fokus darauf künftig noch verstärken. Mit «Michelin Solutions» (siehe Seite 45) haben wir den dafür zuständigen Partner, dessen Lösungen die Grossverbraucher interessieren könnten.

Also geht profitables Wachstum im gesättigten Markt über neue digitale Dienste und Konnektivität?

Digitalisierung und Konnektivität werden helfen, Mobilität beim Endverbraucher besser ankommen zu lassen. Hier steckt Potenzial, ist aber auch eine Herausforderung, denn «man muss ganz anders denken». Es geht nicht mehr um die Reifenentwicklung alleine, wir müssen darüber hinausblicken und Wege finden, um die Digitalisierung und Konnektivität mit dem Reifen zu verbinden. Man muss sich im Grunde mit Sachen auseinandersetzen, die man gar nicht für praktikabel hält. Es hätte ja vor 30 Jahren auch keiner gedacht, dass man einmal einen Chip im Reifen haben wird, der einem sagt, wie viele Kilometer der Reifen gelaufen ist.

Und was sollen die neuen digitalen Lösungen?

Sie sollen dem Gewerbetreibenden das Geschäft vereinfachen. Den Spediteur interessiert der Reifen nicht, aber er braucht ihn, um seine eigentliche Tätigkeit ausführen zu können. Unsere Aufgabe ist es, ihm den Rücken freizuhalten, damit er sich ganz auf sein Business konzentrieren kann.

Wie glaubhaft ist Michelin mit diesen neuen Geschäftsfeldern?

Unser Konzern hat den Vorteil, dass er durch die grosse Bekanntheit des Namens Michelin eine höhere Wahr­nehmung beim End- und Grossverbraucher hat. Der Kunde assoziiert mit Michelin immer schon mehr als nur Reifen.

Wie vermarkten Sie Michelin Solutions?

Die einfacheren Produkte werden u.a. über unseren normalen Aussendienst angeboten, wobei der Aussendienst darüber hinaus eine Vielzahl der umfangreicheren Michelin-Solutions-Lösungen im Kundenkontakt ebenfalls ansprechen kann. Bei Interesse und spezifischen Fragen kommen die Solutions-Spezialisten zum Kunden. Sie kennen sich mit den Lösungen am besten aus und sind daher in der Lage, dem Kunden auch zu sagen, ob die gewünschte Dienstleistung für ihn überhaupt Sinn ergibt. Denn wir wollen dem Kunden nichts verkaufen, was er nicht braucht, sondern ihm helfen, sein Geschäft zu optimieren.

Gegebenenfalls testen und werten wir ein Pilotprojekt mit dem Kunden aus. Pilotprojekte mit zwei, drei Fahrzeugen lassen beispielsweise eine aus buchhalterischer Sicht relevante Auswertung zu. So können wir den Nutzen – oder den ausbleibenden Nutzen – für den Kunden am eigenen Betrieb darstellen.

Wo steht abschliessend mit all diesen Punkten Ihr Partner, der Reifenhandel?

Es ist unsere Aufgabe, mit unseren Produkten dafür zu sorgen, dass unsere Partner auch in Zukunft ein Auskommen mit uns haben. Sie müssen Produkte verkaufen können, die ihr Bestehen am Markt ermöglichen.

Marco Goebel (52) leitet seit Juni 2017 die Geschicke von Michelin Schweiz in Givisiez. Der studierte Betriebswirt ist verheiratet und ­Vater eines Sohnes. Marco Goebel

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