Strom mischt den Rohstoffmarkt auf

ELEKTROMOBILITÄT Durch den Elektroboom macht sich die Auto­branche abhängig von einem unsicheren Rohstoffmarkt. Angeblich drohen schon Engpässe in der Batterieversorgung, aber immer mehr Player wollen mitmischen – und jetzt sogar Batteriezellfabriken in Europa aufbauen.

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Ob im LKW (Schema des eActros von Mercedes-Benz), im Lieferwagen oder im Personenwagen: Die Elektrifizierung geht mit der Batterie einher. Und bei der Batterie besteht in Europa ein enormer Nachholbedarf – mit Auswirkungen auf den Rohstoffmarkt.

Die deutsche und europäische Automobilindustrie satteln um auf Elektroantriebe – und schon stockt die Lieferung. Kaum einer der Hersteller gibt Genaues zu, aber bereits im April hiess es, Audi müsse die Produktionsziele für den elektrischen e-tron senken; bei Daimler werden nennenswerte Stückzahlen des neuen EQC erst im November lieferbar sein; und Volkswagen hat mit Samsung plötzlich einen der grossen Batteriehersteller aus seiner Lieferantenliste gestrichen. Nur Ralf Späth, Chef von Jaguar Land Rover, sagt offen, dass er mit Engpässen aufgrund der steigenden Nachfrage an Batteriezellen rechnet.

Dabei hat selbst die Politik das Thema aufgenommen. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagt, die Zukunft der deutschen Automobilindustrie hänge von Batterien ab und die Hersteller müssen «Weltmeister» werden im Bau von umweltfreundlichen Fahrzeugen, was aber nur gelingen könne, wenn die Wertschöpfungskette im Lande bleibe. Vor allem also die Batterieproduktion, denn die Batterie ist die teuerste Komponente beim Bau von Elektroautos. Fast 50 Prozent der Materialkosten entfallen auf sie.

Der Minister legt den Finger in eine Wunde, welche die deutsche Automobilindustrie sehr schmerzt. Denn Batterieforschung und -produktion gab es sehr wohl schon in Deutschland. «Daimler hatte in Kooperation mit Evonik schon beachtliche Erfolge mit Batteriezellen», sagt Günther Schuh, Professor für Produktionssystematik an der Technischen Uni in Aachen und Chef der e.GO Mobile AG. Aber die Unternehmen verkannten Chancen und Trends. 2015 sagte Daimler die Batteriewende ab. Und Volkswagens damaliger CEO Matthias Müller erklärte noch ein Jahr später, dass eine Batteriefabrik «Blödsinn» sei, die Zellenproduktion hoch­automatisiert und «schweineteuer».

Entscheide vertagt So liess sich die deutsche Automobilindustrie – jahrzehntelang führend in der Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren – das Heft aus der Hand reissen. Die Folge: Bei der Ausstattung ihrer E-­Auto-Flotten sind die Firmen von Konzernen aus Asien abhängig. «Hätten wir mehr Ahnung gehabt, hätten wir viele Entscheidungen nicht vertagt», sagt Schuh, der mit seiner Produktion eines elektrischen Kleinwagens und eines vollautomatischen Nahverkehrsbusses gerade die Branche aufwirbeln will.

Inzwischen aber wird Deutschland umzingelt von Batteriefabriken. Branchenriesen wie LG Chem und Samsung SGI aus Südkorea und CATL aus China haben anscheinend besser verstanden als die deutschen und europäischen Autokonzerne, was Fachleuten in der Branche längst klar ist: Die von der Europäischen Union vorgegebenen und mit hohen Strafen belegten Kohlendioxidziele werden die Hersteller nur mit dem Bau von mehr Elektroautos und von Elektronutzfahrzeugen erreichen.

So ist Ungarn zu einer Batteriehochburg geworden: Die südkoreanischen Konzerne Samsung SDI und SK Innovation wollen bis nächstes Jahr jeweils eine Fabrik eröffnen. Bei SK Innovation spricht man von einer jährlichen Kapazität von 60 GWh. Auch die japanische KK GS Yuasa Corporation will ab 2020 hier produzieren. Die LG Chem firmiert im polnischen Breslau, die zur chinesischen Envision Group gehörende AESC im englischen Sunderland. Gerade wurde auch das westfälische Münster als neuer Forschungsstandort ausgerufen.

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Zu den wenigen bestehenden Werken, wie hier dem Nissan-Batteriewerk in Grossbritannien, müssen für die Transportwende diverse weitere Werke entstehen. Doch der Hürden sind viele.

Staatsförderungen in Europa Wirtschaftsminister Altmaier sorgt mit einer Milliarde Euro Staatsförderung für die Batterieproduktion für Beschleunigung im Lande. Parallel spendiert Staatspräsident Macron in Frankreich 700 Millionen Euro. Das ist sogar für Volkswagen genug Anreiz, umzudenken: Der Konzern will sich an die Spitze eines Unternehmensverbundes setzen, um das Wissen um die Batterie zurück nach Deutschland zu holen. Diese «European Battery Union» soll eine Forschungsfabrik aufbauen, um die gesamte Wertschöpfungskette zu verstehen, ganz nach dem Wunsch von Altmaier. Genaue Angaben über Verlauf und Aufbau des Geschäfts will man aber bei VW nicht machen. Angeblich wird erst abgewartet, wie hoch die Finanzierung vom Staat tatsächlich ausfällt. Grundsatzbeschlüsse dazu sind Ende September im Klimakabinett der deutschen Bundesregierung gefällt worden.

Gesichert ist bereits das Joint Venture von Volkswagen mit dem schwedischen Start-up Northvolt, um bis 2023 eine Fabrik in Salzgitter mit einer Kapazität von 16 GWh pro Jahr in Betrieb nehmen zu können. Northvolt hat ausserdem eine Milliarde Dollar für die Finanzierung seiner eigenen Fabrik im schwedischen Skellefteå eingesammelt – unter anderem von Volkswagen, BMW, Siemens und Vattenfall. Nach Produktionsstart im Jahr 2023 sollen dort Zellen mit einem Energiewert von 32 GWh pro Jahr entstehen.

Für den französischen Fonds hat sich die Groupe PSA mit Peugeot, Citroën und Opel zusammen mit der Total-Tochter Saft zur Förderung von zwei Fabriken angemeldet. Einer der Standorte könnte das Opel-Werk in Kaiserslautern werden.

Geld fürs Laden Auch in Infrastruktur wird investiert: Rund 15 300 Ladesäulen gibt es laut Chargemap.de mittlerweile in Deutschland: Das ist innerhalb eines Jahres beinahe eine Verdopplung (im Q2 2018 gab es erst 8800 Ladesäulen). 12,5 Prozent davon stehen auf öffentlichen Stras­sen, rund 19,3 Prozent bei Händlern und Unternehmen, beinahe 10 Prozent an Restaurants und Hotels und 2,8 Prozent an Autobahnen; alles in allem sind das 448 Säulen. 25 Prozent oder 4000 Zapfsäulen stehen in Parkhäusern und auf Parkplätzen, nur 1,6 Prozent in Privathaushalten; das sind 258 Häuser – bei 17 Prozent ist der Standort allerdings unbekannt.

Der Haken: Von allen Ladesäulen eignen sich mit einer Mindestleistung von 150 kW nur ganze 25 Säulen zum Aufladen von E-LKW – 0,16 Prozent der Infrastruktur sind also in Deutschland für den Güterverkehr ausgelegt. Die durchschnittliche Leistung aller Ladepunkte liegt übrigens bei lediglich 23 kW. Zudem gibt es nach Verlautbarung des Verbandes der europäischen Automobilhersteller (ACEA) keinen klaren Plan in der EU, wie deren Ausbau vorangetrieben werden könnte. Beim ACEA schätzt man, dass innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre mindestens 6000 Hochleistungsstationen (mit mehr als 500 kW) alleine auf Autobahnen notwendig werden. «Für den Aufbau der Infrastruktur benötigen wir den Staat», ist auch Schuh überzeugt.

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Ein Knackpunkt ist die Ladeinfrastruktur. Sie wächst momentan stark bei Personenwagen, doch hat man das Gefühl, dass dabei die Bedürfnisse des wirtschaft­lichen Rückgrats, der Transportbranche, komplett vergessen gehen.

Lastwagen mit Batterie Batterie-LKW seien ein noch unterschätzter Markt, analysiert Andreas Radics, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Berylls Strategy Advisors. Aber «es wird bereits signifikant in Forschung und Entwicklung investiert, und bald sollten erste alltagstaugliche Fahrzeugmodelle auf den Markt kommen». Damit greift Radics’ Analyse in der sich rasch wandelnden Zeit etwas kurz, denn erste Serien e-LKW sind von Volvo und Renault Trucks auf dem Markt; DAF, MAN und Mercedes sind mit seriennahen Fahrzeugen in Erprobung. Und in der Schweiz elektrifizieren Firmen wie E-Force, Futuricum und Ceekon Diesel-LKW in Elektrotrucks um. Bei Bussen ist die Lage noch weiter fortgeschritten, wo dank klarer Bedarfs­regelung der Linienbetrieb vielenorts aufgenommen wurde.

Der Wunsch nach mehr Batteriekapazität ist gerechtfertigt: Die weltweite Nachfrage nach Batteriezellen soll bis 2025 auf bis eineinhalb Terawattstunden steigen. Alleine Volkswagen wird dann für seine geplante Elek­troflotte Kapazitäten von jährlich rund 150 GWh benötigen. Der Markt der Batteriezellen ist heiss umkämpft. Aber nicht nur wegen der Produktionskapazitäten – ein weiteres Nadelöhr ist die Rohstoffversorgung. «Natürlich erhöht sich die im Markt verfügbare Kapazität in Europa», sagt Radics, «aber der Engpass ist nicht die Packfertigung, sondern die Verfügbarkeit von geeigneten Zellen bzw. Rohstoffen zur Zellfertigung, und dieser Engpass besteht global, solange keine neuen Zelltechnologien industrialisiert werden können.»

Rohstoff Laut Hochrechnungen der Investmentbank Goldman Sachs beträgt etwa der Bedarf an Lithium 70’000 Tonnen für jedes einzelne Prozent an der weltweiten Autoproduktion, das elektrisch wird. 2017 wurde auf der ganzen Welt nur diese Menge abgebaut; die Automobil­industrie verbraucht davon rund 45 Prozent. Zur Illustration: Ein Auto wie der Tesla Model S benötigt rund 64 kg Lithium.

Noch schwieriger sieht es bei Kobalt aus. Dessen jährliche Gewinnung liegt bei knapp 94’000 Tonnen. Der wichtigste Rohstofflieferant ist die Demokratische Republik Kongo, eine politisch instabile und menschenrechtlich desolat entwickelte Region. «Dort sind zwei Drittel der bekannten Vorkommen», sagt Elmar Kades, Managing Director bei der Unternehmensberatung Alix Partners, «und die Wertschöpfungskette wird durch China kontrolliert. Das müssen die Europäer durchbrechen.» Wenn Bedarfe steigen, würden Verfügbarkeit und Kapazitäten massgebend, sagt der Analytiker und verweist auf die Ölknappheit in den 70er- und 80er-Jahren. Ab 2025 rechnen Fachleute mit einem weltweiten Bedarf von Batteriezellen mit einer Leistung von 1 TWh oder mehr. Schuh sieht das Problem weniger in der Versorgung mit Rohstoffen – Chemiefirmen wie BASF seien da gut im Geschäft –, sondern darin, «die Versorgung anständig zu kriegen», die Rohstoffe also menschenrechts- und umweltschutzkonform zu gewinnen und zu recyceln.

Unter diesem Gesichtspunkt bieten sich Brennstoffzellen als Alternative an, betrieben durch Wasserstoff, der im Wasser problemlos verfügbar wäre. Dass trotzdem Elektroantriebe das Rennen machen, sei vor allem ein Thema der fehlenden Infrastruktur, sagt Kades. Wasserstoff werde sich erst später durchsetzen. Dem pflichtet Schuh bei: Die Gewinnung von Wasserstoff sei noch zu teuer. «Aber ein Auto mit kleiner, günstiger Batterie und Brennstoffzelle als Range-Extender, das wäre eine tolle Variante.»

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Wasserstoff dürfte im Fernverkehr künftig eine Schlüsselrolle spielen. In Deutschland sind bis Ende Jahr 100 Tankstellen in Betrieb, wie hier in Hamburg.

Die Zukunft wird vielschichtig Den Sprung zur elektrischen Energie hält Schuh prinzipiell für richtig. «Aber darin das Allheilmittel zu sehen ist zu kurz gegriffen.» Seiner Meinung nach benötigt die Mobilität der Zukunft auch Brennstoffzellen. Und synthetische Kraftstoffe als klima­freund­liche Alternativen zum herkömmlichen Dieseltreibstoff für konventionelle Verbrenner. Nur so lassen sich auch lange Strecken überbrücken: mit einem Mix von Antrieben. Denn Schuh ist der Überzeugung, dass sich der reine Batterieantrieb nur für kurze Strecken finanziell lohnt.

Auch für Elektroantriebe bei LKW sei die sogenannte Last Mile Delivery am interessantesten, so Radics von Berylls Strategy Advisors: «Hier reden wir über Anwendungsfelder, die auf die technischen Rahmenbedingungen wie etwa Reichweite und Ladezyklen der E-Mobilität perfekt ausgelegt sind.» Und dort böten sich noch interessante Geschäftsfelder für OEM und Zulieferer.

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