Thomas Hilse: «Wir sind nicht zu stoppen»

IVECO Seit dem 1. November 2019 ist Thomas Hilse neuer Marken-Präsident bei Iveco. Der ehemalige Daimler-Mann folgte auf Pierre Lahutte und kann auf über 22 Jahre Erfahrungen im LKW- und Busgeschäft zurückblicken.

Thomas Hilse Brand President Iveco TIR transNews
Thomas Hilse ist seit November 2019 Brand President von Iveco. Er führt die vom Mutterkonzern CNH Industrial und von der Marke selber eingeleiteten Veränderungen mit Zuversicht fort.

Iveco ist Teil des Konzerns CNH Industrial, der vor einer grundlegenden Wandlung steht. Kern der Veränderung ist die Strategie «Transform2Win», welche eine Aufteilung in eine On-Highway- (Lastwagen, Feuerwehr usw.) und eine Off-Highway-Sparte (Baumaschinen, Landwirtschaft usw.) vorsieht. Die COVID-19-Pandemie wirkt sich natürlich auch auf die im Rahmen von Transform2Win geplante Abspaltung der On-Highway-Sparte aus. Eine anspruchsvolle ­Situation, in welcher sich Thomas Hilse nach nur wenigen ­Monaten als Brand President Iveco befindet.

TIR: Wie bereiten Sie sich auf die Umsetzung von Transform2Win und das Spin-off konkret vor?

Thomas Hilse: Der wohl wichtigste Punkt ist, dass wir an der Absplittungsstrategie festhalten – daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Die aktuelle Situation mag zwar die Zeitschiene etwas nach hinten und den Fokus etwas verschoben haben, aber CNH Industrial bereitet das neue Business schon länger vor und wir führen den Prozess weiter. Auch aus Iveco-Sicht ändert sich nichts an der Strategie. Unser Produktportfolio entwickelt sich schnell und wir haben diesbezüglich im letzten Jahr eine Menge erreicht.

  1. Im April 2019 haben wir den neuen Iveco Daily heraus­gebracht, haben ein hervorragendes Fahrzeug nochmals verbessert und mit Assistenzsystemen und neuer Konnektivität versehen.
  2. Im Juli haben wir den S-Way enthüllt und mit ihm die Industrie sowie die Kunden überrascht. Das Fahrzeug ist stark um die Kundenbedürfnisse herum entwickelt und hat uns extrem positives Feedback gebracht.
  3. Im Herbst haben wir die Kooperation mit Nikola bekannt gegeben, um gemeinsam Wasserstoff- und Elektrolast­wagen zu entwickeln und zu bauen. Auch das war ein Überraschungscoup in der Industrie.
  4. Damit sind wir aber noch nicht am Ende, denn dieses Jahr werden wir mit dem Iveco T-Way unsere Offroad-Linie erneuern, der unseren Trakker ersetzen wird. Entsprechend werden wir bis Ende Jahr das Portfolio unserer gesamten Palette erneuert haben.

Welche Pläne setzt Iveco neben der Neuauflage der Fahrzeuge noch um?

Unsere Strategie umfasst auch die Reorganisation unseres gesamten Servicestellennetzwerks, um es auf die Neupositionierung unserer schweren LKW anzupassen. Zudem konnten wir bereits die Fahrzeugqualität deutlich verbessern und wir haben mit dem Daily einen Quantensprung in Sachen Konnektivität gemacht. Die Konnektivität nimmt eine Schlüsselrolle ein, wenn es darum geht, den Kunden künftig die beste TCO und zukunftsfähige Flottenmanagement­lösungen zu bieten. Mit State-of-the-Art-Infrastruktur und -Produkten können wir den Kundennutzen kontinuierlich verbessern. Grundsätzlich wird Transform2Win ein neues On-Highway-Geschäft hervorbringen, welches auf Lastwagen und Antriebssysteme ausgerichtet ist und auf der soliden Iveco-Strategie des letzten Jahres fusst. Selbst die aktuelle Krise wird das nicht ändern, ganz nach unserem Marken-Claim «We Are Unstoppable» – auch COVID-19 wird uns nicht aufhalten.

Ist der neue S-Way das richtige Produkt für die Neupositionierung der schweren Lastwagen von Iveco?

Ja, der S-Way ist das richtige Produkt dazu. Das Feedback unserer Kunden bestätigt uns das, denn sie sehen den Fortschritt bei den Lastwagen. Zudem kommen Kunden, die von uns abgewandert waren, wieder zurück, und zwar vor allem aus zwei Gründen: Erstens, sie mögen den S-Way, sein Gesamtkonzept und seine Kabine, die zum Besten auf dem Markt gehört. Und zweitens sind wir führend in der Flüssiggastechnologie. Wir haben LNG-Lösungen über die vergangenen 20 Jahre vorangetrieben.

Auch die Chauffeure mögen den S-Way und sie sprechen viel darüber auf den sozialen Kanälen. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, bestätigt uns auch der Zugewinn bei den Marktanteilen in Europa im Vorfeld der Krise. In den ersten drei Monaten 2020 konnten wir den Anteil um bemerkenswerte zwei Prozent in einem hochkompetitiven Umfeld verbessern. Und wir befinden uns ja erst in der Einführungsphase. Mit den LNG-Modellen des S-Way verbessern wir zudem die Technologie gegenüber dem Stralis LNG, und wir werden bis Ende Jahr die ganze Way-Reihe neu aufgelegt haben. Glücklicherweise haben wir die Kundenlancierungen mit dem S-Way vor dem Corona-Ausbruch abgeschlossen, sodass sich unsere Kunden hinters Steuer setzen und den Truck spüren konnten. Wir hatten europaweit rund 130 Events organisiert und rund 20’000 Kunden damit erreicht. Und das Interesse wird beim Händler im Nachgang an die Krise nicht abnehmen.

Iveco glaubt, dass Bio-LNG die Energiewende von den Diesel- zu den Elektro- oder Brennstoffzellen-Trucks anführen wird. Weshalb?

Bio-LNG ist ein Treiber, der uns auch zum Mond bringen würde. Denn Bio-LNG ist die einzige Null-Emissions-Alternative, welche aktuell auf dem Markt ist. Grob 2,5 Prozent des schweren Lastwagenmarktes in Europa sind in den letzten zwei Jahren auf LNG umgeschwenkt. Ich bin davon überzeugt, dass mittelfristig fünf Prozent, in zehn Jahren bis zehn Prozent erreicht werden. Grundvoraussetzung ist eine europaweit wachsende Tankinfrastruktur. Heute haben wir rund 220 Tankstellen und es werden 450 bis 480 werden. In dem Zusammenhang begrüssen wir den Vorschlag des Bundestags-Verkehrsausschusses von Deutschland, die Mautbefreiung von LNG- und CNG-Trucks bis Ende 2023 zu verlängern. Ein positiver abschliessender Entscheid von Bundestag und Bundesrat im Juni wäre eine deutliche Anerkennung der ökologischen Vorteile der Technologie auf dem Weg zum Ziel von Zero Emission.

Es ist absolut klar, dass es bis in zehn Jahren eine grössere Vielfalt an Lösungen geben wird. Weder Diesel noch Wasserstoff noch LNG werden allein dastehen. Die Lösungen in Europa werden von den Kundenanwendungen und von den länderspezifischen Ansätzen der Energiewende abhängen. Reine Elektro-Trucks werden eine gewisse Rolle spielen, Wasserstoff eine grosse Rolle – das wird zweifelsfrei die Zukunft sein. Aber Bio-LNG wird weiter bestehen und nicht nur eine Übergangslösung sein. Das zeigen auch kürzliche Ankündigungen wie die von Shell, die ihren Bio-Anteil beim LNG auf bis zu 30 Prozent steigern will.

Interessanterweise haben etliche Kunden begonnen, ihr eignes Bio-LNG herzustellen. Dazu kommen Produzenten in Italien, Spanien und Deutschland, welche Transporteure mit Bio-LNG versorgen und ihnen damit einen Betrieb ihrer Lastwagen mit einem gegenüber Diesel um 95 Prozent reduzierten CO2-Ausstoss ermöglichen – bei gleichen Kosten.

Iveco und FPT setzen seit 20 Jahren auf Erdgas. Wie wollen Sie die damit verbundene Technologieführerschaft und deren Vorteile Ihren Kunden näherbringen?

Ich beobachte ein komplettes Umdenken bei unseren Kunden: Wir brauchen sie nicht mehr von den ökologischen und ökonomischen Vorteilen von Erdgas zu überzeugen. Sie wissen es schon und sie kommen deshalb direkt zu uns. Dieses Umdenken wird sich in der Nach-COVID-19-Zeit noch verstärken. Daher müssen wir jetzt in die Realisierung der neuen Technologien investieren. Wir bei Iveco arbeiten intensiv mit der Fahrzeughersteller-Vereinigung ACEA und mit den Regierungen zusammen, damit diese Krise als Beschleuniger für die neuen Technologien wirken kann. Wir werden die Chance nutzen und beispielsweise Ende Jahr durch die Nikola-Partnerschaft unser Portfolio weiter vergrössern können.

Sie sind zufrieden mit dem Erfolg von Iveco im vergangenen Jahr. Was ist Ihre Prognose für 2020?

2019 haben wir 125’000 Fahrzeuge verkauft, davon rund 100 000 in Europa. Unser Erfolg hängt aber klar von der Performance von S-Way und dem kommenden T-Way ab. Wir haben in Europa rund sechs Prozent Marktanteil bei den Schweren und hatten diesen Februar die acht Prozent touchiert. 2019 war aus meiner Sicht der Wendepunkt für Iveco und 2020 wird hoffentlich in dem Stil weitergehen, wenn wir aus der Krise raus sind.

Wie sich der Markt aber erholt, hängt in erster Linie vom Verlauf der Infektionen ab. Ich gehe gegenüber letztem Jahr von einem Gesamtminus von 30 bis 35 Prozent aus und ich glaube, dass die Massnahmen der Regierungen zu einer raschen Markt­erholung führen werden. Zudem gehe ich nicht davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen heute so schlimm sein werden wie 2009 bei der Finanzkrise. Das Bankensystem ist in gutem Zustand und die Regierungen reagierten viel rascher. Auch als Firma ist Iveco gut aufgestellt und wir wissen, was zu tun ist. Daher bin ich ganz zuversichtlich.

Können Sie die Markteinführungen der Elektro- und Wasserstoff-Trucks aus der Iveco-Nikola-Partnerschaft etwas präzisieren?

COVID-19 wird uns diesbezüglich nicht bremsen. Wir arbeiten unter Hochdruck mit unseren amerikanischen Partnern. Wie geplant, erwarten wir den Start zu ersten Tests später im Jahr. Zudem haben wir ja kürzlich bekannt gegeben, dass wir den Nikola Tre in Ulm produzieren werden. Ich finde, das war ein weiser Schritt unsererseits, denn Ulm ist mitten im Herzen der europäischen Wasserstoff-Zulieferung und liegt in einem Land, das sehr offen ist für derartige technologische Investitionen. Ganz abgesehen von unserem gros­sen Entwicklungsstab in Ulm für schwere Nutzfahrzeuge.

Wir sind also noch in der Entwicklung, aber voll auf Kurs und wir werden mit dem elektrischen Nikola Tre 2021, mit der Brennstoffzellenversion 2023 bereit sein.

Elektro- und Brennstoffzellen-Trucks sollen unter der Marke Nikola vermarkt werden. Haben Sie keine Angst vor einer negativen Marktreaktion?

Nein, ich gehe von einer positiven Reaktion aus. Wir sind zwei Partner mit bemerkenswerten Synergien. Nikola ist führend in der Brennstoffzellentechnologie bei LKW, da sind wir zuversichtlich, den richtigen Partner für diese Technologie gefunden zu haben. Und wir bringen über 45 Jahre Erfahrung in Herstellung, Unterhalt und Test von schweren Lastwagen in Europa mit.

 

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