Der Mercedes-Benz eCitaro fährt elektrisch

ELEKTROMOBILITÄT Er fährt lokal abgasfrei und fast geräuschlos. Er kombiniert die tausendfach bewährte Plattform des Mercedes-Benz Stadtbusses mit neuen technologischen Lösungen – der neue eCitaro.

Mercedes-Benz eCitaro TIR transNews
Der neue Mercedes-Benz eCitaro fährt lokal abgasfrei und fast geräuschlos.

«Endlich», ist man geneigt zu sagen – endlich kommt der erste, rein elektrisch betriebene Stadtbus aus dem Hause eines der zwei grossen deutschen Bushersteller. Auf der IAA in Hannover stand der eCitaro direkt neben dem mit dem Prädikat «Bus of the Year 2019» ausgezeichneten Citaro hybrid und erlebte so seine Premiere vor grossem Publikum. Auch die Schweiz hat der eCitaro bereits besucht, bestaunen konnte man das Fahrzeug an der EvoBus-Hausausstellung im November.

Plattform des neuen eCitaro ist der Bestseller Citaro mit mehr als 50 000 verkauften Einheiten weltweit. Er liefert mit seiner grossen Bandbreite an emissionsarmen und jetzt auch lokal emissionsfreien Stadtbussen die passenden Antworten auf die Fragen nach einem umweltschonenden ÖV. Der vollelektrisch angetriebene eCitaro absolviert nun den Schritt vom Niedrig-Emissionsbus zum lokalen Null-Emissionsbus.

maSSgeschneidertes exklusives Exterieur Der neue eCita­ro basiert auf der bekannten Optik des Citaro, nimmt jedoch Elemente aus der Formensprache des Mercedes-Benz Future Bus auf. Deutlich wird dies vor allem an der Frontpartie. Zentraler Punkt ist der Mercedes-Stern. Vom Stern strahlen Zierelemente nach links und rechts aus. Die drei­dimensionalen Elemente bestehen aus transparentem Material und sind rückseitig chrombedampft. Daraus resultieren attraktive Lichteffekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln und bei wechselnder Sonneneinstrahlung. Dezent und gleichzeitig unübersehbar weist der Modellschriftzug mit einem blauen «e» auf die vollelektrische Antriebstechnik hin.

Insgesamt tritt der eCitaro mit klar gezeichneten Konturen auf. Er übernimmt unverändert die Struktur des aktuel­len Modells, ein wesentlicher Punkt zum Beispiel für eine möglichst einfache Reparatur von Unfallschäden. Die gewölbte Windschutzscheibe stammt vom Citaro Ü und ist damit ein gängiges Ersatzteil. Die seitliche Dachranderhöhung ist nicht nur zweiteilig, sondern auch segmentiert.

Im Fahrgastraum läutet der eCitaro ein generelles Facelift des Interieurs der gesamten Modellfamilie ein. Hervorstechend ist die neue Design-Innendecke mit einer Kassettendecke über dem Mittelgang und geschwungenen Dach­randklappen. Hinter ihnen verbirgt sich eine neue Luft­führung mit Textilkanälen anstelle der bisherigen Luftkanäle aus Kunststoff. Sie sind leichter und einfacher zu verarbeiten. Beachtung verdienen vor allem die Technikmodule als Verbindung der einzelnen Kassettenelemente. Sie vereinen sowohl die Innenbeleuchtung als auch die Lautsprecher in einem Element. Die Innenbeleuchtung wird mit diesem Schritt serienmässig auf LED umgestellt.

elektrische Achse, Modulkonzept der Batterien Der An­trieb des eCitaro stützt sich auf die bewährte und optimierte Elektroportalachse ZF AVE 130 mit Elektromotoren an den Radnaben. Die Peakleistung der Motoren beläuft sich auf 2×125 kW, das Drehmoment auf 2×485 Nm. Es steht technologiebedingt vom Start weg voll zur Verfügung und sichert eine angemessene Dynamik, selbst bei voller Besetzung. Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtkapazität von bis zu 243 kWh übernehmen die Stromversorgung. Die Batterien teilen sich in maximal zehn Module mit jeweils etwa 25 kWh. Neben zwei Batteriemodulen auf dem Fahrzeugdach gehören vier Batteriemodule im Heck zur Grundausstattung. Hinzu kommen, je nach Kundenwunsch, zwei oder vier weitere Batteriemodule auf dem Dach. Bei Voll­bestückung wiegt der eCitaro in Serienausführung etwa 13,44 Tonnen. Das entspricht bei einem zulässigen Gesamt­gewicht von 19,5 Tonnen einer Zuladung von mehr als sechs Tonnen oder rund 88 Fahrgastplätzen – praxisgerecht auch in Hauptverkehrszeiten.

Flexible Ladetechnik Mit seiner Ladetechnik passt sich der eCitaro ebenfalls an die individuellen Wünsche und Erfordernisse der Verkehrsbetriebe an. Zum Serienanlauf ist eine Ladung über Stecker vorgesehen. Hierfür verfügt der Stadtbus serienmässig über einen Anschluss für Combo-2-Stecker in Fahrtrichtung rechts über dem vorderen Radlauf. Ist zur Vergrösserung der Reichweite eine Zwischenladung gewünscht, kann der eCitaro optional per Dachstrom­abnehmer aufgeladen werden. Diese Option wird nach Serien­anlauf zeitversetzt zur Verfügung stehen. Zwei Varianten werden möglich sein: in der Stufe 1 ein fahrzeugfester Strom­abnehmer (Pantograf) auf dem Dach, in der Stufe 2 Ladeschienen auf dem Dach für eine Aufladung durch ortsfesten Stromabnehmer einer Ladestation.

Die Batteriekapazität allein aber sagt wenig über das Leistungsvermögen und vor allem die Reichweite eines vollelektrisch angetriebenen Stadtbusses aus – der wahre Massstab ist der Energieverbrauch. Er wird bei einem Stadtbus sehr stark durch die klimatischen Verhältnisse und damit durch die Kühlung und vor allem die Heizung des Innenraums beeinflusst. Bei einer Aussentemperatur von minus zehn Grad Celsius verdoppelt sich der Energieverbrauch im Vergleich zu Fahrten, bei denen nicht geheizt werden muss. Daher wurde das Augenmerk auf das Thermomanagement gelegt. Im Vergleich zum Citaro mit Verbrennungsmotor sinkt der Energiebedarf für Heizung, Lüftung und Klimatisierung um rund 40 Prozent. Verwendet werden dabei innovative Komponenten, die erst zusammen mit dem eCitaro Marktreife erlangt haben.

Zunächst hält Mercedes-Benz die Batterien durch Kühlung auf Idealtemperatur, daraus resultiert ein Maximum an Ladefähigkeit, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer. Bei extrem hohen Aussentemperaturen unterstützt die Fahrgast­raum-Klimaanlage die Kühlung der Batterien. Der Fahrgastraum wird energiesparend durch eine Wärmepumpe beheizt. Für eine homogene Temperaturverteilung kommen die gewohnten Seitenwandheizer mit Gebläse zum Einsatz. Das übliche Frontheizgerät verfügt über einen doppelten Wärmetauscher. Sämtliche Wärme abgebenden Komponenten sind miteinander vernetzt, um den Energieaufwand für deren Kühlung auf ein Minimum zu reduzieren. Da der menschliche Körper Wärme abgibt, variiert Mercedes-Benz die Leistung von Heizung und Klimaanlage in Abhängigkeit von der Zahl der Fahrgäste. Die Dachklima­anlage wird in der kalten Jahreszeit zusätzlich als Wärmepumpe genutzt und stellt so eine effektive und effiziente Kli­matisierung des Fahrgastinnenraums sicher. Weitere Vorzüge bietet die Verwendung des Kältemittels CO₂. Es überzeugt durch einen besonders effizienten Einsatz der Wärmepumpe auch bei sehr niedrigen Temperaturen. Ein weiteres Plus: Bereits während der Ladung der Batterien im Depot kann der Innenraum auf die gewünschte Temperatur vor- und sogar überkonditioniert werden. Somit startet der Bus je nach Jahreszeit bereits geheizt oder gekühlt in den Einsatz.

Reichweitenangaben von vollelektrisch angetriebenen Stadtbussen sind häufig schwer vergleichbar. Mercedes-Benz bevorzugt ein Worst-Case-Szenario, orientiert sich am anspruchsvollen normierten Stadtfahrzyklus SORT2 und rechnet sogar erschwerend den Energiebedarf der Nebenverbraucher ein. Danach erzielt der Citaro eine Reichweite von rund 150 Kilometern im Sommer. Damit deckt er bereits jetzt ohne Zwischenladung etwa ein Drittel aller möglichen Strecken ab. Unter Idealbedingungen fährt der eCitaro sogar rund 250 Kilometer ohne Zwischenladung.

gewohntes Cockpit Vorteil für den Fahrer des eCitaro: Cockpit und Bedienkonzept entsprechen weitgehend dem gewohnten Bild. Allein an die Stelle des Drehzahlmessers tritt ein Powermeter. Es zeigt die aktuelle Leistungsabforderung bzw. Rekuperation an. Der Fahrer erhält ausserdem Informationen über den Ladezustand der Batterien. Über das Zentraldisplay kann er Reichweite, Leistungsverfügbarkeit und Ladeanzeige abrufen. Generell ist das Fahrverhalten auf maximale Effizienz optimiert, ohne dass der Fahrer grosse Unterschiede zum Citaro mit Verbrennungsmotor zu beachten hat. Zum Beispiel rollt der Bus in der Grundeinstellung energieeffizient, wenn der Fahrer den Fuss vom Fahrpedal nimmt, er «segelt». Alternativ kann der Fahrer eine Grundverzögerung – ähnlich dem Motorschleppmoment oder der Retarder-Wirkung aus dem Dieselbus – als Rekuperationsrate mittels eines E-Bremshebels mehrstufig einstellen.

Auftakt für eine Innovationsoffensive Der neue Mercedes-Benz eCitaro des Jahres 2018 ist der Auftakt für eine Innovationsoffensive mit einer klaren Strategie zur raschen und vor allem praxisgerechten Elektrifizierung des öV mit Linienbussen in Städten und Ballungsgebieten. Bereits in wenigen Jahren wird der eCitaro Stadtbusse mit Verbrennungsmotor nahezu vollständig ersetzen können.

Da die Entwicklung der Batterietechnik mit schnellen Schritten vorangeht, ist eine Umstellung auf die künftige Batterietechnik bereits konzeptionell vorgesehen. Das betrifft zum Beispiel die aktuell verwendeten Lithium-­Ionen-Batterien. Deren nächste Generation mit grösserer Kapazität und daher gesteigerter Reichweite wird den Kunden des eCitaro nach derzeitigem Stand bereits in zwei Jahren zur Verfügung gestellt. Mit einer Gesamtkapazität von bis zu 330 kWh werden dann rund 50 Prozent aller Einsätze abgedeckt. Mit dieser Batteriekapazität ist auch ein sinnvoller Einstieg für einen Gelenkbus eCitaro G möglich.

Parallel ist im gleichen Zeitraum ein weiterer Schritt vorgezeichnet, der optionale Einsatz künftiger Lithium-­Polymer-Batterien, auch als Feststoff- oder Festkörperbatterien bezeichnet. Sie zeichnen sich durch eine besonders lange Lebensdauer sowie eine hohe Energiedichte aus. Mit einer nominellen Batteriekapazität von rund 400 kWh im Solobus und einer nochmals darüberliegenden Kapazität im Gelenkbus deckt der Bus dann etwa 70 Prozent aller Anfor­derungen ohne Zwischenladung ab. Feststoffbatterien unterscheiden sich in ihrer Ausprägung deutlich von NMC-Batterien: Sie haben eine andere Form, sind voluminöser und nicht für eine Schnellladung geeignet. Somit decken damit ausgerüstete Stadtbusse andere Einsatzprofile ab. Deshalb wird der eCitaro künftig wahlweise mit NMC- und Feststoffbatterien angeboten. Im Anschluss wird die Reichweite nochmals durch einen Range-Extender in Form einer Brennstoffzelle zur Stromerzeugung gesteigert. Sie wird so ausgelegt, dass annähernd 100 Prozent aller An­forderungen an Stadtbusse abgedeckt werden. Mit dieser Technik sind Zwischenladungen und die dafür notwendige aufwendige Infrastruktur in nahezu allen Fällen überflüssig – der eCitaro kann Stadtbusse mit Verbrennungsmotor ­nahezu deckungsgleich ersetzen.

Fazit Man hat lange gewartet auf den elektrisch betriebenen Citaro. Das Warten hat sich aber gelohnt. Mercedes-Benz geht mit dem eCitaro keine Risiken ein und baut auf seinen bewährten Bestseller im Linienbusbereich. Auf unserer Rundstrecke durch Mannheim haben wir einen kurzen Eindruck des umweltfreundlichen «Neulings» erhalten. Der Fahrerarbeitsplatz ist fast identisch mit der Dieselvariante. Neu sind die Anzeigen auf dem Display. Statt der Tourenzahl wird neu analog der momentane Verbrauch angezeigt – beim Beschleunigen geht die Nadel nach rechts, bei Rekuperation nach links. Auch der aktuelle Ladezustand und die zur Verfügung stehende Reichweite sind wichtige Informationen, die angezeigt werden. Ein Fahrzeugwechsel vom Elektro- zum Dieselbus sollte für das Fahrpersonal kein Problem darstellen.

Auf unserer Testfahrt konnten wir keine riesigen Unterschiede zum Dieselmodell erkennen. Auffallend ist die gedrosselte, aber dennoch zügige Beschleunigung aus dem Stand – die Elektromotoren stellen aus dem Stand das volle Drehmoment zur Verfügung. Wird keine Leistung vom Triebwerk verlangt, schaltet das Fahrzeug in den «Segel­modus», bei Bremsbetätigung werden die Batterien durch Rekuperation wieder aufgeladen. Die grösste Differenz zum Diesel ist die, dass statt des Dröhnens des Diesels ein leichtes Pfeifen der Elektromotoren zu hören ist.

Die Produktion des eCitaro läuft, wir dürfen gespannt sein, auf welchen Schweizer Strassen das erste Fahrzeug anzutreffen ist.

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