Der Stadtlöwe Lion’s City 10 E mutiert zum Berglöwen

FAHRBERICHT Kompaktere Linienbusse werden meist eingesetzt, um in engen Altstadtzentren oder Ortskernen einfacher unterwegs sein zu können. Wir bringen den Stadtlöwen in die Dolomiten, wo er sich auf rund 170 Bergkilometern beweisen muss.

Lion's City 10 E Testfahrt Dolomiten TIR transNews
Die kompakten Abmessungen des Lion’s City 10 E erleichtern das Kurven in den Dolomiten, E-Antrieb sowie Rekuperation sorgen für geschmeidiges und effizientes Fahren.

Eine Handvoll Fachjournalisten, ein Bus und die imposanten Dolomiten im Südtirol – das ist der Rahmen für diese aussergewöhnliche Fahrt, die uns an diesem sonnigen Sommertag bevorsteht. Im Zentrum steht der MAN-Midibus Lion’s City 10 E: 10,5 Meter lang, mit lediglich 4,4 Meter Radstand und entsprechendem Wendekreis von bescheidenen 17,2 Metern. E, das heisst elektrisch, im Prüfling mit 240-kW-Zentralantrieb (Spitzenleistung, entspricht 326 PS) und fünf auf dem Dach montierten Batteriepaketen mit gesamthaft 400 kWh Kapazität. Diese sind gut für bis zu 300 Kilometer Reichweite. Genug für unser Vorhaben an diesem Tag.

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Bus-Journalisten aus ganz Europa und ein ausgewähltes MAN-Team absolvieren den Bergtest des Stadtlöwen.

Kurven, Schlutzkrapfen und andere Spezialitäten

Start und Ziel liegen im beschaulichen Örtchen Klausen/Chiusa, das nördlich von Bozen im Eisacktal liegt und im «Club» der schönsten Städtchen Italiens aufgenommen worden ist. Noch relativ gemächlich steigt die Strasse zu den Skiorten St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein an. Die Gegend ist im Winter bekannt für die «Sellaronda», eine 40 Kilometer lange Skiroute, welche einmal ganz um das Sella-Bergmassiv herumführt. Kulinarische Spezialitäten der Region sind Schlutzkrapfen, Bombardino-Cocktail, Graukäse, Kartoffelplattln oder Weine der heimischen Traubensorte Lagrein (nicht für uns, denn wir fahren ja noch).

Ab Plan de Galbra sitzen wir dann selber hinter dem Steuer. Kaum losgefahren, beginnen die ersten wirklich engen und steilen Strassenabschnitte. Sie erinnern stark an Busrouten in die hintersten Ecken in der Surselva, wo wir am Steuer von Postauto und Ortsbus oft unterwegs sind. Der erste Eindruck mit dem elektrischen Löwen ist gut. Der Stadtbus erscheint wie gemacht für diese Bergstrassen. Präzise und angenehm leichtgängig erwächst umgehend ein sicheres Lenkgefühl. Und er fährt locker die zahlreichen Steigungen hoch – der Sattel des Grödnerjochs und damit 2121 m ü. M. sind bald erreicht.

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Unsere «Tankstelle» ausserhalb der Südtiroler Ortschaft Klausen/Chiusa.

Energierückgewinnen bei Talfahrt

Der Batteriestand ist inzwischen auf noch 40 Prozent gesunken; doch jetzt geht es wieder runter. Nach neun Kilometern Talfahrt erreichen wir die Ortschaft Corvara auf 1568 m ü. M. Durch Rekuperation ist der Batteriestand wieder auf 60 Prozent angestiegen. Rekuperieren wird übrigens leicht gemacht. Sobald der Fuss vom Gas-, respektive Fahrpedal genommen wird, beginnt die Energierückgewinnung. Dabei lässt sich steuern, ob er im Schiebebetrieb segelt oder wie stark die Rekuperation ausfallen soll. Der Rekuperationshebel, der dem Retarderhebel im Dieselbus gleichkommt, ermöglicht die Veränderung des Rückgewinnungsgrades und damit des Abbremsens. Selbst auf steilen und längeren Talfahrten und vor Kurven lässt sich der Lion’s City 10 E verschleisslos verlangsamen. Natürlich nutzt der Bus auch beim Einsatz der Fussbremse zuerst die Rekuperation.

Was schon beim herkömmlichen Dieselbus gilt, zählt beim E-Bus mit Rekuperation noch mehr: vorausschauendes Fahren. Denn während der Retarder im Diesel verschleissfrei Energie abbaut, wird sie beim Rekuperieren umgewandelt und wiedergewonnen. Zudem kann, wer die Energieanzeigen im Auge behält, durch frühes Tempoanpassen mehr Energie zurückgewinnen als jener, der spät und stark auf die Bremse tritt oder den Rekuperationshebel vehement betätigt. Soviel sei schon verraten: Zum Schluss des Testtages liegt die Batteriekapazität bei 47,6 Prozent und der Berglöwe erzielt einen Rekuperationsgrad von 50 Prozent.

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Die Infografik zur rund 170 km langen Testroute zeigt, wie Rekuperation die Reichweite erhöht.

Von Corvara geht es mit vielen Kurven wieder steil bergan, und auf dem Passo di Valparola erreichen wir mit 2168 m ü. M. den höchsten Punkt der Route. Die Aussicht auf die Südtiroler Berglandschaft ist atemberaubend. Und der dunkelrot lackierte Testbus hebt sich von den schroffen Felswänden positiv ab. Nach weiteren und vielen abwechslungsreichen Kilometern endet die Fahrt schliesslich am Ausgangsort in Klausen/Chiusa.

Und wie machte sich der Lion’s City 10 E in den Bergen?

Der positive erste Eindruck hat sich über den Verlauf der Fahrt nur bestätigt. Das Fahrwerk schafft agile Wendigkeit, sorgt aber gleichwohl für einen stabilen Lauf, der uns den Begriff «wie auf Schienen» als sehr zutreffend erscheinen lässt. Die Seitenstabilität ist trotz fünf Batterien auf dem Dach einwandfrei und nur bei hoher Geschwindigkeit ist leicht spürbar, dass zusätzliche drei Tonnen auf dem Dach mitgeführt werden. Verschleissloses Fahren und die gleichmässig kräftige Tempoaufnahme aus den Kurven heraus sind zwei weitere Stärken des Elektroantriebs, die speziell auf den anspruchsvollen Bergstrecken in einem Bus von Vorteil sind. So was würde uns auch auf unseren Postauto-Routen in Graubünden gut gefallen.

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Der Lion’s City 10 E entpuppt sich in den Dolomiten als veritabler Berglöwe.

Davon ist man auch bei MAN überzeugt. Die Testfahrt ist noch zwei weitere Tage lang fortgeführt worden und die Tagesetappen haben einen ähnlichen Energieverbrauch und Rekuperationswert ergeben. «Der durchschnittliche Energieverbrauch lag bei 0,77 kWh/km, was ein ausgezeichneter Wert ist», sagte Stephan Rudnitzky, Launch Manager für den kurzen Lion’s City 10 E. Die Eckwerte unseres Testtages waren: 165,6 Streckenkilometer, 3248 Meter überwundener Höhenunterschied, 127,9 kWh verbrauchte Energie (Schnitt 0,772 kWh/km) und eine Rekuperationsrate von 50 Prozent. Dabei habe sich gemäss MAN im Vergleich zu einer klassischen Linienbusrunde im Flachland dank hoher Rekuperation fast kein Unterschied beim Energieverbrauch ergeben. Noch ein Argument, weshalb wir den neuen Midi-Stadtlöwen im Einsatz als Berglöwen in der Surselva sehen würden.

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