Gute Planung ist die halbe Räumung
WINTERDIENST Eine sorgfältige Planung und ein cleverer Einsatz der Mittel im Winterdienst bergen für Gemeinden beträchtliche Sparpotenziale, wie eine Weiterbildungsveranstaltung der «sanu» zeigte.
Schwarz sollen Strasse und Trottoir sein – so lässt sich der allgemeine Wunsch der Bevölkerung zusammenfassen, wenn sich Eis und Schnee ankündigen. Doch das Bedürfnis, mit Auto, Velo, im Bus oder zu Fuss jederzeit ungehindert zum Ziel zu kommen, hat seinen Preis: Eine Million Franken lässt sich allein der Bund die Räumung der Nationalstrassen an einem schneereichen Wintertag kosten. Das Beispiel verdeutlicht die finanzielle Dimension des Kampfs um Sicherheit auf den winterlichen Verkehrswegen. Dass es Möglichkeiten gibt, diese Kostenstelle effizienter zu bewirtschaften und dabei gleichzeitig den Anliegen des Umweltschutzes noch stärker Rechnung zu tragen, zeigte eine Weiterbildung der «sanu future learning ag» von Ende Oktober in Dübendorf ZH.
Gute Planung als zentraler Hebel
«Ein vorausschauender Winterdienst beginnt nicht mit der ersten Frostwarnung, sondern schon in der warmen Jahreszeit», macht Daniel Schneeberger, früherer Winterdienstverantwortlicher der Stadt Chur und heute selbständiger Berater, deutlich. Beispielsweise gilt es, Private schon im Sommer hartnäckig auf die Pflicht aufmerksam zu machen, ihre in die Fahrbahn ragenden Sträucher und Bäume zurückzuschneiden, damit in den Wintermonaten die Räumfahrzeuge ungehindert zirkulieren können. Im Herbst steht sodann das Markieren von Schlammsammlern und Einlaufschächten an, die später prioritär von Schnee befreit werden müssen. Schliesslich muss das Werkhofpersonal Montage und Demontage der spezifischen Gerätschaften an den Fahrzeuge üben und allenfalls die Routen einmal in schneefreiem Zustand abfahren. Auf diese Weise lassen sich bauliche Veränderungen und andere Hindernisse identifizieren, die man später beim Schneeräumen berücksichtigen muss. Gefordert ist aber vor allem der Strasseninspektor selbst: An ihm liegt es, für ein eigentliches Winterdienstkonzept zu sorgen. Und ist die kalte Jahreszeit vorbei, sollte nicht nur das Gerät gewartet und korrekt eingelagert werden, sondern es gilt auch, die Mitarbeiter um ihre Rückmeldungen zu bitten – um aus Fehlern gemeinsam zu lernen und den nächstjährigen Winterdienst noch besser zu gestalten.
Pikett und lange Arbeitszeiten
Materialpark hin oder her, immer sind auch Menschen im Einsatz – und diesem Humankapital gilt es Sorge zu tragen. So empfiehlt es sich, in Verträgen mit beigezogenen Drittfirmen die maximale tägliche Arbeitszeit klar zu definieren. Ein oft zu wenig thematisierter Punkt ist die Pikettfrage. Denn gemäss Arbeitsgesetz darf eine Person maximal eine Woche pro Monat Pikettdienst verrichten. «Gerade in kleinen Gemeinden wird diese Einschränkung während der Winterzeit zur Farce», so Schneeberger. Abhilfe schaffen kann, wer sich in der Pikettfrage mit Nachbargemeinden zusammentut oder mit der Kantons-, Stadt- oder Gemeindepolizei abspricht. Einzelne Gemeinden haben die Aufgabe gar an die Securitas delegiert. Gelegentlich widersetzen sich aber die Pikettleistenden einer solchen Neuorganisation. Denn Pikettstunden sind in der Regel gut bezahlt oder werden in der warmen Jahreszeit als Überzeit bezogen.Geld sparen lässt sich auch, indem man von liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied nimmt. Schneeberger: «Zufahrtstrassen zu abgelegenen Bauernhöfen müssen nicht sofort schneefrei sein. Allerdings braucht es für eine solche Änderung oft viel Überzeugungsarbeit.» Der Vergleich von einem Dutzend Gemeinden zeigt Bandbreiten im Winterdienstaufwand von 0,23 bis 2,77 Franken pro Quadratmeter geräumter Fläche und Winter. «Gerade Landwirte, die man bloss gelegentlich engagiert, um in prekären Lagen auszuhelfen, müssen klar angewiesen werden, was sie genau in wie vielen Stunden zu erledigen haben», so Schneeberger. Ein klarer Vertrag verhindere überrissene Rechnungen.
Abtrocknen lassen statt wegsalzen
Während vor zehn Jahren Schwarzräumung mit anschliessendem Ausbringen von Trockensalz Standard war, experimentieren heute verschiedene Gemeinden mit Alternativen. Dübendorf etwa setzt auf die etwas überraschende Losung «Schwarzräumung ohne Salz». Der scheinbare Widerspruch hat mit der geografischen Lage der Zürcher Gemeinde zu tun, wo häufig bloss ein paar Zentimeter Schnee fallen. Statt diesen mit Salz wegzuschmelzen, lässt Strassenmeister Mathias Klöti den Schnee morgens mit dem Schneepflug abstossen, ohne anschliessend zu salzen. In der Folge trocknet das Trottoir im Lauf des Tages von selbst ab. «Würden wir hingegen salzen, wäre die Fläche am Abend noch immer nass und wir müssten womöglich nochmals nachsalzen, um nächtliches Glatteis zu verhindern», erklärt Klöti. Er räumt aber ein, dass es viel Wissen und Erfahrung braucht – und auch einen beträchtlichen Zeitaufwand für Kontrollgänge; dafür spare man Arbeitszeit bei den Mitarbeitern. Die alljährliche Information der Anwohnerschaft, kombiniert mit 50 Warntafeln «Reduzierter Winterdienst» an allen Stadteinfahrten, hat bisher grössere Unfälle aufgrund von Eisglätte verhindert. Und Dübendorf halbierte mit der Umstellung den jährlichen Salzverbrauch auf 150 Tonnen.
Gute Erfahrungen mit Sole
Wieder eine andere Methode verfolgt seit 2013 die Nachbargemeinde Fällanden. Auch hier wird zuerst mechanisch geräumt, auf dem Trottoir wird trockener Schnee sogar mit Bürsten entfernt. Braucht es anschliessend trotzdem ein Abtaumittel, schickt Strassenmeister Sascha Conus die Sole-Sprühwagen los; das feste Salz bleibt dagegen seit drei Wintern im Depot. «Dank den verbesserten Vorhersagen können wir bereits ein paar Stunden vor Beginn des Schneefalls ausrücken und vermeiden so teure und unbeliebte Nachteinsätze.» Während als tiefste Einsatztemperatur von Sole allgemein minus acht bis zehn Grad genannt werden, hat Conus auch schon Einsätze bei minus 15 Grad gefahren – mit einwandfreiem Resultat. Neben dem tieferen Salzverbrauch hat Sole auch den Vorteil, dass die Flüssigkeit präziser und gleichmässiger dosiert werden kann als Trockensalz. Die Sole-Tanks werden in Fällanden im Sommer zum Wässern der Blumenrabatten und für den Hochdruckreiniger bei der Brunnenreinigung benutzt. Einzig wenn nach dem Sole-Einsatz erneut Schnee fällt und – etwa durch ein Aufklaren des nächtlichen Himmels – kurz darauf ein Temperatursturz erfolgt, kann die Sole zum Problem werden und sich Eis bilden.
Weisse Strassen dank Eigenkonstruktion
Ganz anders ist der Ansatz der Gebirgsgemeinde Engelberg OW mit ihren 4300 Einwohnerinnen und Einwohnern – die in Spitzenzeiten aber bis zu 30000 Personen beherbergt. Aufgrund einer Volksabstimmung bekennt sich der Luftkurort zur Weissräumung, denn die Gäste aus aller Welt schätzen die winterliche Atmosphäre inklusive Pferdeschlitten. «Wir präparieren deshalb eine zehn bis zwölf Zentimeter mächtige Schneeschicht und weisen an der Dorfgrenze viersprachig auf unseren weissen Winterdienst hin», erklärt Strassenmeister Reto Amhof. Um trotzdem die Sicherheit der Fussgänger zu gewährleisten, bringt man jährlich rund 150 Tonnen Splitt aus – die im Frühling allerdings aufwändig zusammengekehrt und als Sonderabfall deponiert werden müssen. Trotz weissen Strassen ist Engelberg nicht autofrei. Täglich besuchen 150 bis 200 Cars und mehrere Tausend Personenwagen die Obwaldner Gemeinde – und beschädigen dabei die Schneeschicht. Regelmässig hobelt Amhofs Team deshalb die Fahrrinnen an und ebnet sie neu ein. Eine zweite, täglich nötige Pflegemassnahme ist das Eiskratzen. Dabei kommt eine Eigenkonstruktion des gelernten Landmaschinenmechanikers Amhof zum Zug. Dieser Eiskratzer fräst feine Rillen in die harte Schneedecke, macht auf diese Weise das Begehen selbst mit Sommerschuhen möglich und holt erst noch einen Teil des Splitts wieder an die Oberfläche. Amhof: «Seit wir mit dem neuen Gerät arbeiten, konnten wir den Splittverbrauch auf einen Drittel senken.» Salz wird nur an neuralgischen Kreuzungen oder steilen Ausfallstrassen verwendet.
Frühprognose dank Thermal Mapping
Unterstützung für einen differenzierten Winterdienst erhalten die Gemeinden von der immer ausgefeilteren Technik. Da ist einmal der meteorologische Frühwarnungsdienst, wie ihn etwa die Meteogroup AG auch für kleine Gemeinden anbietet. Dabei wird ein statistisches Verfahren angewendet, das Messdaten aus der Vergangenheit mit historischen Prognosen verknüpft. Mit diesen Informationen wird die Prognose für einen definierten Punkt, etwa eine Strasse oder eine Brücke, optimiert. Die Prognosen werden einfach verständlich auf einem webbasierten Portal hinterlegt, auf das auch mit mobilen Geräten zugegriffen werden kann. Basis sind neben den Wetterstationen von Meteoschweiz das firmeneigene Messnetz mit über 375 Messstellen sowie 150 Strassensensoren des Bundesamts für Strassen. Aufgrund der Prognose, die je nach Wetterentwicklung mit verschiedenen Farben markiert wird, ergibt sich eine Art Warnsystem, das im Voraus anzeigt, wann im untersuchten Punkt mit Strassenglätte zu rechnen ist. Der Meteorologe Joachim Schug stellte zudem das neue Meteogroup-Instrument «Thermal Mapping» vor. Dabei wird das Strassennetz einer Gemeinde abgefahren und das thermische Profil der Strasse vermessen. «Voraussetzung ist eine klare, windstille Nacht, um unverfälschte Messwerte zu erhalten», so Schug. Um den Einfluss der Abkühlung zu korrigieren, wird jede Strasse ein zweites Mal in der Gegenrichtung abgefahren, seitliche Hindernisse wie Wald oder Gebäude, die zusätzlich zu Kältelöchern führen können, werden unter Einbezug von Google Earth aufgespürt. Die Infrarotmessung deckt besonders kalte Stellen auf, wo Strassenwetterstationen Sinn machen können: «Lösen diese dann keinen Alarm aus, sind auch die weniger heiklen Teile des Streckennetzes in Sachen Glätte unproblematisch», erklärt Schug.
Aktive Sensoren machen Kontrollfahrt überflüssig
Die dafür benötigte Hardware bieten die deutsche G. Lufft Mess- und Regeltechnik GmbH im süddeutschen Fellbach, die Kelag Künzli Elektronik AG in Schwerzenbach ZH oder die Boschung Mecatronic AG in Granges-Paccot FR an. Die Firmen setzen für ihre Glatteisfrühwarnsysteme unter anderem Sensoren zur Messung von Niederschlag sowie Lufttemperatur und -feuchtigkeit ein, dazu kommen Sensoren in der Fahrbahn zur Detektion des Fahrbahnzustands und Gefriertemperatur. Die Messstellen können mit Taumittelsprühanlagen gekoppelt werden, die beispielsweise Brückenbauwerke oder glätteanfällige Strassenabschnitte wie Tunneleingänge, aus denen feuchte Luft entweicht, automatisch mit Sole besprühen, unmittelbar bevor auf der Fahrbahn Glätte entsteht. Auch bei Busbahnhöfen, Rampen und wichtigen Kreuzungen ist eine permanente Überwachung womöglich angezeigt. Erfahrungen der Werkhofleiter zeigen, dass manchmal nach der Ausführung von Massnahmen wie etwa einer Belagserneuerung sich ein solcher «Cold Spot» im Strassennetz verschieben kann. Wem die Anschaffung der Sensormasten zu teuer ist, dem offeriert die Boschung Mecatronic AG, die Messstellen auch in Form von Miet- oder Dienstleistungsverträgen zu beschaffen. Wird die Installation mit einer Webcam ausgerüstet, kann der Winterdienstverantwortliche sich zusätzlich ein Bild von der gesamten Fahrbahnsituation machen. Glatteisfrühwarnsysteme unterstützen den Winterdienst mit Daten und Alarmen, so dass auf die bisher üblichen Kontrollfahrten zum entsprechenden neuralgischen Punkt ganz oder teilweise verzichtet werden kann. Weitere Online-Tools erlauben es, dass gefährliche Situationen bei einer so überwachten Stelle rechtzeitig einen Alarm auslösen oder dass die Einsatzfahrzeuge in die Wetterüberwachung integriert werden. Dann wird aufgezeichnet, wann welches Einsatzfahrzeug wo unterwegs war und welche Geräte im Einsatz waren. «Es lohnt sich bei diesen Neuerungen, vorgängig alle Beteiligten zu integrieren und den Kontakt mit der kantonalen Datenschutzfachstelle zu suchen», empfiehlt Thorsten Cypra, Geschäftsleiter der Boschung Mecatronic AG. Doch in der Regel ziehe die Belegschaft mit. Denn die so gewonnenen Daten dienten weniger der Kontrolle des Einsatzteams als dem Schutz vor unberechtigten Schadenersatzforderungen durch Dritte, so Cypra: «Wenn es Klagen über einen angeblich nicht geräumten Strassenabschnitt gibt oder ein Räumfahrzeug beschuldigt wird, einen parkierten PW beschädigt zu haben, existieren Aufzeichnungen, welche Arbeiten ausgeführt wurden und ob der Winterdienst zur fraglichen Zeit überhaupt am Ort des Unfalls war.»