Historische Technik wird neu aufgebaut

OLDTIMER Derzeit restauriert das Verkehrshaus der Schweiz einen Kehrichtlastwagen von 1939. Das historische Kommunalfahrzeug soll ab Ende 2019 wieder fahrtüchtig sein und das berühmte «Patent Ochsner» demonstrieren.

Historische Technik zum Anfassen Saurer Patent Ochsner TIR transNews
Historische Technik zum Anfassen: Bei der Restaurierung helfen auch Lernende der Maxon Motor tatkräftig mit (Foto: Maxon Motor).

Im Strassenbild sind die Saurer-Lastwagen selten geworden. Doch der Eindruck täuscht: Vor einigen Jahren hat die Schweizer Armee mehrere Hundert dieser Oldtimer ausgemustert. Seither sind die Preise am Boden, und mancher Sammler, der sich den teuren Unterhalt nicht mehr leisten kann, sucht händeringend nach einem guten Plätzchen. «Jede Woche erhalte ich zwei, drei Anrufe von Personen, die ihren Laster unserem Museum übertragen möchten», sagt Daniel Geissmann, Leiter Ausstellung & Sammlung beim Verkehrshaus der Schweiz (VHS). Regelmässig muss er diese Angebote ablehnen: Dem VHS fehlen Platz und Geld, um derart viele Fahrzeuge zu übernehmen. «Vor allem suchen wir nicht Objekte, die es zu Dutzenden gibt, sondern die Exoten und Einzelstücke», sagt Geissmann. Ein solcher Exot steht im Sammlungszentrum des Museums in Rain LU. Es handelt sich um einen Saurer 2c mit Baujahr 1939, der bei der «Nettezza Urbana», dem Abfuhrwesen der Stadt Bellinzona, im Einsatz stand.

Derzeit macht das Fahrzeug den Eindruck eines gigantischen Modellbaukastens: Kabine, Aufbau, Chassis und Räder sind demontiert und säuberlich auf Paletten gelagert. Bis der 1939 erbaute Kehrichtlastwagen wieder fahrtüchtig wird, ist noch viel Arbeit nötig. «Bis Ende 2019 ist das Projekt abgeschlossen. Wir werden den Laster beim Strassenverkehrsamt vorführen, damit wir mit ihm auf Tour gehen können – quasi als Museum zu Besuch bei den Leuten», sagt Geissmann. Denn mit dem Lastwagen, der untrennbar mit dem berühmten Ochsner-Kehrichteimer verbunden ist, könne man der Bevölkerung ein wichtiges Stück Alltagsgeschichte näherbringen. Direkt am Strassenrand will Geissmann vorführen, wie das «System Ochsner» funktioniert hat. So sollen neue Besucher angesprochen werden, denn für teure Werbekampagnen gibt es im VHS nur wenig Budget.

Handarbeit und Geduld
Markus Vonwiller leitet als Saurer-­Experte das zeitintensive Restaurierungsprojekt. Er ist als Berufsschullehrer tätig und amtet daneben als Fahrzeugexperte und Vorstandsmitglied des Saurer Museum Arbon. Die Arbeitsschritte seien überschaubar, meint der Fachmann: «Zuerst werden wir Motor, Getriebe und Hinterachse vollständig zerlegen und prüfen. Sofern nötig, werden die Einzelteile aufgearbeitet. Ebenso werden am Chassis die Leitungen, Federaufhängungspunkte, Treibstoff- und Hydraulikleitungen revidiert. Einzelne Komponenten werden wir aus Sicherheitsgründen neu anfertigen.» Auch die Kabine, die zu grossen Teilen aus Holz aufgebaut ist, werde man demontieren und einzelne Teile davon neu anfertigen. Dasselbe beim Kehricht­aufbau: «Einzelne Teile fehlen zwar, sind aber einfach anzufertigen oder zu beschaffen», sagt Vonwiller.

Bei den Restaurierungsarbeiten helfen auch verschiedene Lernende der Maxon Motor AG aus Sachseln OW mit. Thomas Müller, Leiter Berufsbildung bei Maxon, hält fest: «Bei unseren Lernenden stösst der Lastwagen als Ausbildungsobjekt auf grosses Interesse. Das System Ochsner gehört zu den unzähligen genialen Erfindungen des frühen 20. Jahrhunderts. Das ist anschauliche, erlebbare Technik, eine ideale Ergänzung zu unserem Tagesgeschäft, das sich um Mikromotoren dreht.» Anhand alter Fotos und Patente sei man derzeit daran, die Ladevorrichtung des Aufbaus gleichsam nachzuerfinden. «Die Anlage bauen wir dann mit Materialien und Techniken von 1935 nach. So können wir mit ‹Reverse Engineering› sozusagen in die Vergangenheit reisen.»

Ochsner Segmentkasten System TIR transNews
Das «Patent Ochsner» erobert die Schweizer Haushalte. Hier ein 25-Liter-Eimer mit automa­tischem Deckelheber.

Weniger Dreck
Diese Vergangenheit hat es in sich. Noch vor 120 Jahren stank das Abfuhrwesen in vielen Schweizer Städten buchstäblich zum Himmel. Der Hauskehricht bestand zu grossen Teilen aus Asche und Schlacke, weil die meisten Gebäude noch mit Zimmeröfen beheizt wurden. Dazu gesellten sich Rüstabfälle, Knochen und dergleichen. Diese Abfälle wurden in offenen, nicht normierten Behältnissen bereitgestellt, ihr Einsammeln und Verbrennen war eine ausgesprochen schmutzige Arbeit. Zudem erkannte man zunehmend die Hygieneprobleme der ungedeckten Abfuhr. Als elegante Lösung bot sich das «Patent Ochsner» an, eine Kombination von Kehrichteimer und gedecktem Abfuhrfahrzeug. In seiner Patentschrift von 1903 schreibt Jakob Ochsner: «Allgemein wird in den Städten nach Mitteln gesucht, um den nicht nur lästigen, sondern geradezu gesundheitsschädlichen Staub, der beim Leeren der Kehrichtkübel in die Sammelwagen aufwirbelt, unschädlich zu machen.»

Ochsners normierter Kehrichtbehälter aus feuerverzinktem Blech ermöglichte nun die «staubfreie Entleerung»: Sein Deckel wurde erst beim Entleeren in den Abfuhrwagen automatisch geöffnet. So vermied man die Russ- und Staubwolken, die an Abfuhrtagen ganze Fassaden geschwärzt haben sollen. Nach ausgiebigen Versuchen machte die Stadt Zürich 1926 das «System Ochsner» obligatorisch. Bis 1972 war der «Ochsnerkübel» das Mass für den Haushaltskehricht, und das in drei Grössen von 25, 35 und 72 Litern. Auch Bern, Basel und St. Gallen stiegen auf das neue System um.

Modernes Aluminium
In den folgenden Jahren entwickelte die Firma Ochsner ihre Fahrzeuge weiter. 1931 wurde ein Ochsner-Aufbau für Seitenlader mit Füllkippung vorgestellt. Schon rein optisch markierte diese Lösung eine Zäsur. Der Aufbau bestand nicht mehr aus Holz, sondern Aluminium, und die Fahrzeuge rollten auf gummibereiften Rädern. Auch diese modernen Aufbauten wurden vielerorts noch von Pferden gezogen. Ihr Leergewicht betrug nur noch 1,4 Tonnen gegenüber dem 2,6 Tonnen schweren Vorgängermodell. Die neuen Abfuhrwagen müssen einen starken Eindruck hinterlassen haben, denn 1937 heisst es in einem Artikel der «Technischen Rundschau»: «Im Stras­senbild wird die Veraluminisierung der Fahrzeuge immer augenfälliger in blanken Kastenwagen aller Art, in Kehrichtwagen, Velos und sogar in Lastwagen.»

Einen solchen «veraluminisierten» Aufbau besitzt auch der Lastwagen des VHS. Dieser Aufbau kann über der Deponie gekippt werden, um den gesammelten Abfall rasch und vollständig zu entleeren. «Der Kehricht wurde damals noch nicht im Auffangbehälter wie heute üblich gepresst», erläutert Markus Vonwiller, «dies hätte die Nutzlast auch nicht zugelassen.» Der noch heute übliche Fahrzeugtyp, der sogenannte Rücklader mit hydraulischer Pressung, wurde von der Firma Ochsner im Lauf der 1930er-Jahre entwickelt. Damit steht das Fahrzeug des VHS in der Mitte zwischen der Kehrichtabfuhr alter Schule, die noch stark auf Handarbeit angewiesen war, und dem rationalisierten, in den 1960er-Jahren von Eimern auf Container übertragenen Arbeitsablauf.

Behutsame Restaurierung
An Nutzfahrzeugtreffen sind oftmals Lastwagen zu bestaunen, die mit enormem Aufwand in den Originalzustand versetzt wurden. Für das Verkehrshaus ist dies keine Option, wie Daniel Geissmann sagt: «Wir möchten den letzten Gebrauchszustand dokumentieren. Jedes Objekt hat ein eigenes Leben mit verschiedenen Abschnitten. Der letzte Zustand ist für uns der glaubwürdigste, darum streben wir ihn bei der Restaurierung an.» Die historische Substanz des Fahrzeugs wird wann immer möglich bewahrt. Doch wenn es sein muss, scheut man auch vor Eingriffen nicht zurück. «Es macht keinen Sinn, ein neues Blech einzuschweissen, wenn das alte Blech darum herum wieder zu rosten beginnt», sagt Geissmann. Das Ziel sei, am Ende einen «guten und gebrauchs­tüchtigen Zustand» zu erreichen. Also genau das, was das «Patent Ochsner» über Jahrzehnte zu einem Synonym für funktionierende und gute Lösungen machte.

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