TUM-Allradstromer für grobe Aufgaben und kleines Geld
ELEKTROMOBILITÄT Die Technische Universität München TUM hat einen robusten Kleintransporter entwickelt, der ursprünglich auf ländliche Regionen in Afrika zielte. In Europa oder anderen sogenannten Erstweltländern dürfte er aber für Werkhöfe, Weingüter und beispielsweise fürs Forstwesen interessant sein.
Was als Forschungsprojekt im Jahr 2013 begann, steht nun vor der industriellen Umsetzung. Mit «aCar mobility» hatte die Technische Universität München TUM die Mobilitätsbedürfnisse in ländlichen Gebieten südlich der Sahara zu ergründen versucht. Aus den Erkenntnissen heraus war ein Elektro-Kleinlastwagen entwickelt worden, der nun vor der Serienproduktion steht. Diese wird natürlich nicht von der TUM umgesetzt, vielmehr wurde von den federführenden Entwicklungsingenieuren zu diesem Zweck die Firma EVUM Motors GmbH gegründet. Der «aCar» soll ein attraktives und wirtschaftlich realisierbares Mobilitätskonzept sein, das dazu beiträgt, die Landflucht in Entwicklungsländern zu vermeiden und ländliche Regionen selbstbestimmt zu stärken.
Aus dieser Zielsetzung heraus ergeben sich ein paar grundlegende Bedingungen. So müssen sich die Menschen vor Ort das Fahrzeug finanziell leisten können – der langfristig anvisierte Preis in Afrika soll unter 10’000 Euro liegen, in Europa jedoch werden es ab rund 22’000 Euro sein, beim aktuellen Eurokurs also etwa 25’000 Schweizerfranken. Alsdann muss das Fahrzeug geländegängig sein – dafür sorgen der Allradantrieb mit zwei Elektromotoren und die hohe Bodenfreiheit. Und schliesslich muss der Wagen grosse Lasten transportieren können – die Nutzlast ist auf eine Tonne ausgelegt, die Ladebrücke auf die afrikanischen Standardmasse von zwei Reissäcken. Natürlich lässt sich dieses Mass problemlos auf die Standardmasse anderer Regionen abändern, beispielsweise auf die Grösse von Europaletten.
Idee und initiale Entwicklung lagen beim Lehrstuhl für Automobile Technologie der TUM. Doch für die Umsetzung wurden weitere Lehrstühle der TUM und ausgewiesene Berater beigezogen. So wurde TUM-Know-how zur Fahrzeugproduktion und zum Fahrzeugdesign angezapft, aber auch externe Spezialisten für die Verbindungen und fürs Networking nach Afrika oder in die Automobilindustrie.
Wertschöpfung bleibt im Land Die robuste, aber schlichte Bauweise ist dazu prädestiniert, dass die Fahrzeuge dereinst lokal gefertigt werden können, was die Wertschöpfung in den Ländern vergrössert. Dazu wird aktuell im süddeutschen Raum bei der Firma Spanner eine Modellfabrik eingerichtet, in der einerseits die für Europa geplanten Fahrzeuge gebaut werden sollen und andererseits die Abläufe optimiert werden, damit in dieser Fabrik die Mitarbeiter der künftigen Lizenznehmer an den Maschinen und Fahrzeugen ausgebildet werden können. «Unser Konzept ist keineswegs billig, aber es ist einfach, unkompliziert und robust», meint Projektleiter Martin Šoltés, der zusammen mit Sascha Koberstaedt auch die für die industrielle Umsetzung gegründete Firma EVUM Motors leitet.
Aktuell wird der aCar für die Serie fertig konstruiert, Kosten, Design und Gewicht werden finalisiert und zehn Prototypen des Serienfahrzeuges hergestellt. Diese werden in Europa, aber auch in Entwicklungsländern nochmals intensiv getestet. Der Start der eigentlichen Produktion wird im dritten Quartal 2019 erfolgen, wobei in einer ersten Tranche 1000 Fahrzeuge gebaut werden, die in Europa B2B, global jedoch über NGOs verkauft werden. Für die Zeit nach 2020 will EVUM zusätzlich zur weiterlaufenden Produktion in Europa lokale Lizenzen vergeben, damit der aCar von internationalen Partnern vor Ort produziert und verkauft werden kann. Im Fokus bei EVUM stehen grosse Märkte wie Brasilien und Mexiko, aber auch Ghana und Kenia, wo der Wagen und das Konzept in einer frühen Phase 2014 überhaupt zum ersten Mal getestet wurden. Weitere Lizenzverhandlungen werden in Namibia, Südafrika, Thailand und Indonesien geführt, ebenso in Ägypten und im Iran.
Interesse aus der Schweiz Aber die Lizenzen für Afrika, Asien und Südamerika sind längst nicht mehr der einzige Fokus von EVUM Motors. Spätestens seit der aCar 2017 auf der IAA in Frankfurt gezeigt wurde, erlebt das Fahrzeug ein grosses Interesse aus Europa. Vor allem Kommunen, Touristiker oder Winzer haben am robusten, vielseitig einsetzbaren und geländetauglichen Gefährt Gefallen gefunden. Auch aus der Schweiz sind etliche Anfragen eingegangen und Šoltés wäre an einem Vertriebspartner durchaus interessiert.
Wir sind den Elektrotransporter auf einer Motocrosspiste kurz gefahren. Der 800 kg wiegende, zweisitzige Wagen ist 3,70 Meter lang, 1,50 Meter breit und 2,00 Meter hoch. Die zwei 8-kW-Elektromotoren bringen den Wagen zügig in Fahrt und die Elektronik regelt ihn bei 70 km/h ab; mit Blick auf die vorgesehenen Einsätze in eher schwierigem Gelände reichen 70 km/h vollkommen aus. Der Lithium-Ionen-Akku bietet aktuell eine Kapazität von 20 kWh, doch hat EVUM eine grössere Kapazität bis zum Serienanlauf in Aussicht gestellt. Je nach Zuladung und Einsatz sind damit zwischen 100 und 200 km Reichweite möglich, ein optionales Solarpanel auf dem Dach kann die Reichweite zusätzlich vergrössern. Das Antriebssystem arbeitet mit einer Betriebsspannung von 48 Volt. Und dieser einfach und robust ausgelegte Antriebsstrang wird komplett von Bosch geliefert, womit eine hohe Zuverlässigkeit gegeben ist.
Für den gewerblichen Einsatz ist eine Steckdose als «Nebenantrieb» vorgesehen, die beispielsweise für den Betrieb einer Wasserpumpe, für einen Laubbläser oder für ein Kühlaggregat genutzt werden kann. Als echtes Multi Purpose Vehicle lassen sich die unterschiedlichsten Aufbauten realisieren, von der einfachen Ladebrücke über medizinische Transportkästen bis hin zu Kommunalgeräteträgern. Hier dürften der Fantasie der künftigen Lizenznehmer kaum Grenzen gesetzt werden.
Optimistisch In Zweit- und Drittweltländern wird EVUM ein Gesamtkonzept mit Energieversorgern anbieten, da dort nicht nur die Mobilität, sondern auch eine stabile Stromversorgung mitunter ein grosses Problem darstellen. In Europa jedoch reicht die Haushaltssteckdose für den Betrieb aus, sodass Werkhöfe, Gärtnereien, Winzer oder Bauern den aCar ohne grosse Aufwände in Betrieb nehmen können.
Für die Beteiligung an der vorläufigen Finanzierung des aCar haben sich bei EVUM Motors viele unterschiedlich grosse Firmen interessiert. Um jedoch bei Bedarf rasch und unkompliziert reagieren zu können, hat man die Angebote von Grossfirmen (auch Automobilhersteller waren darunter) abgelehnt und sich auf deutsche KMU respektive mittelständische Firmen konzentriert. Entsprechend hat EVUM Motors mit der Glatthaar Holding, der Franz Schwabmüller Firmengruppe und der Spanner Gruppe Investitionsverträge abgeschlossen. Spanner ist zudem die Firma, bei der aktuell die Produktion aufgebaut wird und welche die Serienfahrzeuge ab der zweiten Hälfte des kommenden Jahres herstellen wird. Diese Investoren haben sich vorerst für die Zeit bis zum Serienstart verpflichtet, danach werden neue Verhandlungen nötig werden, die jedoch stark vom Fortschritt der diversen Lizenzverhandlungen abhängen werden.
Die Produktionskapazität von EVUM Motors wird bei Spanner sukzessive erhöht werden und soll ab 2021 bei jährlich 5000 aCar liegen. Dazu sollen dann auch die diversen Lizenzproduktionen kommen, sodass die optimistische Prognose von EVUM bis 2025 eine Jahresproduktion in 11 Märkten von über 100’000 Fahrzeugen beträgt.
Der 3,70 m kurze Leicht-LKW kann eine Tonne zuladen und er lässt sich mit den unterschiedlichsten Aufbauten ausstatten. Je nach Land kommen die weit öffnenden Türen auch ohne Seitenscheiben aus. Für Europa dürften sie aber im Bestellvolumen dabei sein. Das Solarpanel kann die Reichweite zusätzlich erhöhen. Der schlichte Arbeitsplatz ist komplett ausgestattet. Bis zur Serienreife wird auch die Rekuperation integriert sein. Zwei Plätze, als einfache Sitze ausgestaltet. Der Antriebsstrang mit je einem E-Motor pro Achse und die Batterie stammen von Bosch. Sascha Koberstaedt und Martin Šoltés haben das Projekt an der TUM entwickelt und leiten nun zusammen auch EVUM Motors.