X 350 d: Der Kraftsportler im Holzfällerhemd

MERCEDES-BENZ X-KLASSE Nach den 2017 lancierten X-Klasse 220 d und 250 d, in denen derselbe Antriebsstrang und 4×4 verbaut ist wie im Nissan Navara, hat Merce­des-Benz nun auch das Modell 350 d 4Matic mit V6-Diesel, Automatik und permanentem Allradsystem aus dem Konzernregal nachgeschoben. Spätestens jetzt ist der Pick-up ein echter Mercedes.

Mercedes-Benz X-Klasse 350 d TIR transNews
Anfahren an der Steigung: Hier spielt der Allrad des X 350 d seine Vorteile klar aus.

Mit einem unaufdringlichen Brummen schiesst der dunkelgraue Pick-up hinter dem Schneehügel hervor. Die Crew des Drivingcenters EventSeelisberg hat auf ihrem Gelände in Uri auf dem frisch gefallenen Schnee eine Piste präpariert, auf der Geschäftsführer und Rennfahrer Joshua Reynolds die 258 Pferdestärken aus dem rund 2,3 Tonnen schweren Nutzfahrzeug kitzelt. Spektakulär driftet die X-Klasse 350 d mit ausgeschalteter Traktionskontrolle souverän fast im rechten Winkel ums Eck, ein Heidenspass.

Der Pick-up wurde natürlich nicht für den Sporteinsatz konstruiert, doch wie Reynolds beweist, kann man auch mit diesem Mercedes dynamisch unterwegs sein. Die Basis der hohen Onroad-Performance bilden die breite Spur, der lange Radstand und das aufwendig konstruierte Komfortfahrwerk. Es besteht aus Leiterrahmen, Einzelradaufhängung in Doppelquerlenkerausführung vorne, Fünflenkerachse mit starrem Achsanteil hinten und Schraubenfedern an beiden Achsen. Die 550 Nm des 2987-cm³-Turbodiesels mit Common-Rail-Direkteinspritzung liegen schon bei niedrigen 1400 Umdrehungen an – wie geschaffen, um schwere Anhänger über die anspruchsvolle Schweizer Topografie zu ziehen. Die zulässige Anhängelast liegt bei 3500/750 kg (gebremst/ungebremst). Der einstufige Abgasturbolader arbeitet mit variabler Turbinengeometrie. Das permanente Allradsystem mit heckbetonter Momentenverteilung 40:60 lässt sich per Drehregler auf Automatik (4Matic), 4 High und 4 Low schalten. Letztere Einstellung aktiviert das Untersetzungsgetriebe, mit dem der Anhänger auch über ungepflasterte Wege sicher ans Ziel kommt. Bei ganz prekären Verhältnissen kann per Tastendruck die optionale Differenzialsperre an der Hinterachse aktiviert werden.

X 350 d 4Matic erster Mercedes-Pick-up mit Fahrmodi

Der 2298-cm³-­Reihenvierzylinder der 2017 eingeführten Modelle X 220 d und X 250 d mit 120 kW (163 PS) und 140 kW (190 PS) Leistung stammt von Renault und ist auch im Nissan Navara und im Renault Alaskan verbaut. Mit dem V6-Dieselmotor aus der Mercedes-Motorenpalette mit 190 kW (258 PS) unterscheidet sich der 350 d nun deutlicher von seinen japanisch-französischen Brüdern und liegt leistungsmässig exakt auf der Höhe der Topversion des VW Amarok. Auch beim Volks­wagen liegt das maximale, allerdings um 30 Nm höhere Drehmoment von 580 Nm bereits ab 1400 Umdrehungen an, wird hier aber von einer 8-Gang-Automatik übersetzt. In der X-Klasse 350 d ist dafür eine 7-Gang-Automatik zuständig – die seit Jahren bewährte 7G-Tronic Plus – und die verrichtet ihre Aufgabe hervorragend. Es sind keine Schaltvorgänge spürbar. Sie arbeitet nämlich sehr schnell und praktisch ohne Zugkraftunterbrechung.

Mit dem Dynamic Select System verfügt der X 350 d 4Matic serienmässig über einen im Pick-up-Segment bislang noch selten verfügbaren Fahrprogrammschalter. Mit fünf Modi lässt sich die Fahrcharakteristik per Fingertipp verändern – von entspannt-komfortabel bis sportlich-dynamisch. Sie variieren das Ansprechverhalten des Motors, die Schaltpunkte des Automatikgetriebes und die ECO Start-Stopp-Funktion:

  1. Comfort, automatisch beim Motorstart aktiviert, bietet eine komfortbetonte und harmonische Auslegung der Fahrpedalkennlinie sowie frühe Schaltpunkte.
  2. Eco: Die 7G-Tronic Plus wechselt die Fahrstufen bei besonders niedrigen Motordrehzahlen.
  3. Sport: Der Motor reagiert spontaner auf Gasgeben. Das Automatikgetriebe nutzt beim Wechsel der Fahrstufen den gesamten Drehzahlbereich des Motors aus und schaltet bei höheren Drehzahlen.
  4. Manuell: Das Automatikgetriebe lässt sich von Hand über die Schaltpaddles am Lenkrad bedienen. Dabei verkürzen sich die Schaltzeiten gegenüber den Programmen Comfort und Eco deutlich.
  5. Offroad: Dieses Programm eignet sich für Fahrten in schwierigerem Gelände. Es bietet höhere Schaltpunkte sowie eine flachere und damit eine weniger feinfühlige Gaspedalkennlinie.

Vorsicht bei leerer Ladebrücke

Wir besuchten das Drivingcenter EventSeelisberg, um zusammen mit TCR- und GT4-Rennfahrer Joshua Reynolds auf dem abgesperrten Fahrsicherheitsgelände herauszufinden, was Dynamik bei einem stark motorisierten Pick-up bedeutet.

Wie erwartet, war die Gasannahme in der Einstellung Sport direkter und das ESP musste mehr regeln. «Der Unterschied ist deutlich, das Fahrzeug verhält sich viel agiler», so unser 23-jähriger Testfahrer. Bei der 4Matic-Drehreglerstellung 4 High erhöhte sich die Traktion. «Beim sportlichen Fahren hat das Heck von hinten geschoben, die X-Klasse untersteuerte. Aber da es darum geht, die Kraft besser an alle vier Räder zu verteilen, und man normalerweise in dieser Einstellung nicht sportlich fährt, ist das ein gutes Zeichen.» Tatsächlich ist der Modus Offroad nicht dafür gemacht, eine möglichst schnelle Runde zu schaffen, sondern um die Traktion zu verteilen. «Das Heck ist spürbar leicht. Da wir unbeladen fahren, liegt relativ wenig Gewicht auf der Hinterachse. So spürt man im Sportmodus beim Ausweichen die leichte, entlastete Hinterachse. Wichtig: Wer sein Fahrzeug nur beladen kennt, muss berücksichtigen, dass es sich unbeladen gerade in Extremsituationen anders verhält.»

Joshua Reynolds Drivingcenter EventSeelisberg X-Klasse 350 d TIR transNews
Unser Profifahrer: Joshua Reynolds vom Drivingcenter EventSeelisberg.

Ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt: In der Stellung 4 Low darf man maximal 40 km/h schnell fahren und mit aktivierter Hinterachssperre ist das ABS ausser Betrieb (durch eine Warnleuchte angezeigt). Das bedeutet, dass bei rutschigem Untergrund beim Bremsen kaum gelenkt werden kann. «Im Vergleich zum Vierzylinder ist der V6-Motor träge, hat aber mehr Kraft. Wenn das Drehmoment kommt, hat er Zug. Die Kraft ist auch das, was den Anhänger zieht.» Zum Schluss lobt Reynolds die Gesamtabstimmung der X-Klasse 350 d: «Man merkt nicht, dass das Fahrzeug gross und 2,3 Tonnen schwer ist. Das Handling ist kompakt und übersichtlich.»

Der X 350 d 4Matic ist in zwei Ausstattungslinien erhältlich, die sich in Design, Ausstattungsniveau und Funktionalität unterscheiden. In beiden Linien ist das X-Klasse-Topmodell serienmässig mit schlüssellosem Zugangssystem und 2-Zonen-Klimanlage ausgestattet. Zur weiteren Individualisierung steht eine Vielzahl von Sonderausstattungen zur Verfügung, wie beispielsweise ein elektrisch zu öffnendes Heckfenster. In der Schweiz startet der X 350 d 4Matic ab 49’990 Franken (exkl. MwSt.).

Hier geht es zum Fahrbericht Mercedes-Benz X-Klasse 250 d.

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