Actros mit grossem Paket an technischen Innovationen

MERCEDES-BENZ In diesen Tagen rollt der neue Actros auf die Strasse. Augenfälligste Neuerung sind die MirrorCam-Aussenrückspiegel. Erst unterwegs ­jedoch erkennt man die Innovationen in Sachen Fahrerassistenz. Stellt sich also die Frage, wie viel Assistenz der Mensch denn braucht.

Mercedes-Benz Actros TIR transNews
Mercedes sah keine Notwendigkeit, das noch immer modern ­wirkende Äussere des mit einem grossen Paket an technischen Innovationen aufgewerteten Actros zu verändern. Doch anhand der schmalen Kameraarme anstelle der Aussenspiegel gibt sich der Neue klar zu erkennen.

Zur IAA im letzten Herbst hat Mercedes-Benz Trucks die neue Generation des Actros vorgestellt (TIR 10/2018). Dabei wurde das Flaggschiff mit allerlei neuer Technologie ausgerüstet, die den Treibstoffverbrauch verringern helfen und den Truck noch einmal deutlich sicherer werden lassen sollen. Im Zentrum steht ein komplett neues Innenraumkonzept, bei dem hochauflösende Displays eine Hauptrolle spielen. «Gimmicks waren nicht gefragt», erklärte Christian Lazik aus dem Produktmanagement letzten Herbst. Jede Massnahme müsse vor dem Hintergrund eines echten Mehrwerts für den Kunden gesehen werden.

Und um gleich zur Leitfrage zurückzukommen: Von solcher Assistenz, wie sie neu im Actros eingebaut ist, kann es eigentlich nicht genug geben. Zu diesem Schluss kommen wir nach einer ersten, längeren Kontaktnahme mit dem Lastwagen. Die wesentlichen Systeme sind:

  1. teilautomatisiertes Fahren auf dem sogenannten Level 2, also nicht nur Längs-, sondern auch Querführung
  2. situationsgerechte, automatische Temporegulierung im Überlandverkehr (Predictive Powertrain Control PPC)
  3. verbesserte Sichtverhältnisse dank MirrorCam und
  4. nochmals verbesserte Sicherheitssysteme und Konnek­tivitätslösungen.

Paket an technischen Innovationen beginnt mit Lenkunterstützung

Die elektrisch unterstützte hydraulische Lenkung ist im Actros jetzt so weit, dass sie auch bei höheren Tempi gewisse Querführungsaufgaben wahrnehmen kann. Das System orientiert sich mittels einer Multipurpose-Kamera an den Fahrbahnmarkierungen und hält den Lastwagen in der Spur. Somit kann der Actros nicht mehr nur die Geschwindigkeit regulieren (Abstandstempomat, PPC), sondern auch bis zu einem gewissen Grad die Kurvenfahrt übernehmen. Mit einer gesunden Portion Skepsis haben wir diese teilautomatisierte Fahrt auf den Autobahnen im Raum Barcelona eingeschaltet. Das System funktionierte überraschend sanft und zuverlässig, wobei der Chauffeur stets die Hand am Lenkrad haben muss, da sonst der Actros mit dem Abbruch der Funktion «drohte».

Der Lenkeingriff lässt sich auch mit dem Spurhalteassistenten kombinieren. Dieser erkennt das unbeabsichtigte Verlassen der Spur wie bis anhin, doch kann neben der akustischen Warnung jetzt eine automatische Rückführung in die Spur aktiviert werden, die ihre Aufgabe zwar bestimmt, aber für einen 40-Tonner sanft genug umsetzt. Diese Art der Lenkunterstützung erscheint uns vor allem im Fernverkehr und bei nur mässig intensivem Verkehrsgeschehen als sinnvoll und sie hat einen positiven Eindruck hinterlassen.

Tempounterstützung

Bei den meisten Lastwagen heute ist neben dem Abstandstempomaten eine vorausschauende Funktion erhältlich, welche auf die Treibstoffersparnis ausgelegt ist. Bei Mercedes-Benz Trucks heisst das System Predictive Powertrain Control PPC und beeinflusst mittels hinterlegter topografischer Informationen unter anderem frühzeitige Gasrücknahme vor Kuppen oder das Ausnutzen der kinetischen Energie in Senken. Sogenanntes Eco-Roll und «Segeln» sind ebenfalls Teil solcher Systeme. Vor allem dank hochauflösendem Kartenmaterial in der Tomtom-­LKW-­Navi­gation kann das System jetzt nicht nur auf der Autobahn, sondern auch auf Landstrassen eingesetzt werden. Dabei erkennt der Truck frühzeitig enge Kurven oder andere Situationen und regelt die Geschwindigkeit aktiv auf das durch die Karteninformation als tauglich erachtete Tempo hinunter. Auch bevorstehende Tempolimiten werden so früh erkannt, was insgesamt eine ökologischere Fahrweise unterstützt und zusammen mit anderen Massnahmen, wie die aerodynamisch interessanten Spiegelkameras, zu Treibstoffeinsparungen im Überlandverkehr von bis zu fünf Prozent gegenüber dem Vorgänger führen soll.

Die Intensität der Reaktion des Systems auf die Top­o­grafie kann in vier Stufen reguliert werden, je nach Gewicht, Ladegut oder Wetterverhältnissen. Dazu kommt, dass die sehr detaillierten digitalen Kartendaten kurvige Berg-und-Tal-Strecken genau erkennen, aber auch Ortseinfahrten und Kreisverkehre, sodass der Lastwagen frühzeitig und treibstoffsparend seine Geschwindigkeit anpasst. Im Extremfall überlässt man mit aktiviertem PPC in kupiertem Gelände alles Bremsen und Gasgeben komplett dem Truck und konzentriert sich ganz aufs Lenken durch die engen Kehren. Spätestens jetzt ist unsere Skepsis verflogen; hier bietet Mercedes eine echte Bereicherung.

Im Display liegt die Zuversicht

Beim Actros verabschiedet sich Mercedes vom herkömmlichen Aussenspiegel und ersetzt ihn beidseitig durch je eine Kamera und einen hoch gestellten Bildschirm innen an der A-Säule. Wir haben uns sofort an diese Neuerung gewöhnt, zumal das Bild gestochen scharf ist und die gleichen Sichtfelder wie herkömmliche Spiegel dargestellt werden. Die Kameras befinden sich so hoch, dass sie ausserhalb des Spritzwasserbereichs sind und daher praktisch nicht mehr verschmutzt werden. Somit werden selbst bei widrigem Wetter optimale Sichtverhältnisse geboten, was direkt der Sicherheit des Fahrzeugs und der Fahrzeugumgebung zugute kommt.

Mit Kamera und Bildschirm eröffnen sich zudem zusätzliche Möglichkeiten. Das Kamerabild schwenkt in Kurven mit dem Anhänger mit, sodass man auch in engen Kehren die Trailerachsen stets im Blick hat und man Rempler am Randstein noch besser vermeiden kann. Beim Rückwärtsmanövrieren wiederum schwenkt das Bild nicht mit, sondern die obere und die untere Anzeige bilden die ganze rückwärtige Umgebung des LKW ab. Mit einstellbaren Hilfslinien auf dem Display kann das Ende des Lastzugs markiert werden. Sie verbessern die Präzision beim Manövrieren an einer Rampe oder lassen einen beim Überholen besser abschätzen, wann die Spur gefahrlos gewechselt werden kann.

Im Kameraarm untergebracht ist auch die Bildverarbeitung. Die Linse hat eine schmutzresistente Beschichtung und das ganze Bauteil ist beheizt. Übrigens wird bei den beschriebenen Funktionen nicht die Kamera geschwenkt, sondern nur der Bildausschnitt verändert, womit störungsanfällige mechanische Teile entfallen.

Paket an technischen Innovationen erhöht Sicherheit

Neben den bereits erwähnten Lenk- und Spurhalteassistenten hat Mercedes den Notbremsas­sistenten weiterentwickelt. Dank des Zusammenspiels der neuen Multipurpose-Kamera und der Radarsensoren erkennt der Truck noch zuverlässiger, ob sich eine Gefahr anbahnt. Bisher schon konnte der Actros eine Crashsituation erkennen und führte gegebenenfalls eine Notbremsung bis zum Stillstand durch. Neu erkennt der Actros auch sich bewegende Personen so zuverlässig, dass die bislang durchgeführte Teil­bremsung neu ebenfalls in eine Vollbremsung umgesetzt wird. Damit erreicht der aktive Bremsassistent die fünfte Entwicklungsstufe, sodass ihn Mercedes ABA5 getauft hat.

Der seit 2016 erhältliche Abbiegeassistent, der durch spe­ziellen, seitlich angebrachten Radar Fussgänger, Velofahrer und selbst Ampelmasten im Abbiegebereich rechts ­erkennt, projiziert neu seine optische Warnung in den Bild­schirm der rechten MirrorCam, also genau dort, wo der Chauffeur beim Abbiegen den Kontrollblick hinwirft. Reagiert der Chauffeur nicht auf die Warnung, bremst der LKW wie bisher notfallmässig. Anlässlich der Fahrvorstellung des Actros versprach Sefan Buchner, Leiter von Mercedes-­Benz Trucks, dass in Kürze mit weiteren Systemen gerechnet werden darf. Über deren Aufgaben lässt Buchner sein Publikum jedoch noch im Unklaren.

Vereinfachte Bedienung

Im Cockpit hat Mercedes sowohl das gesamte Bedienkonzept verändert als auch die Vernetzung der Systeme deutlich erweitert und verbessert. Der Fahrerplatz besteht jetzt aus zwei grossen Bildschirmen, der eine fürs Hauptinstrument, der andere für Unterhaltung und Zusatzapplikationen. Dabei zeigte sich die Bedienung der Screens als intuitiv und logisch, so wie man es heute von Smartphones her kennt.

Beide Screens werden von Bedientasten im Lenkrad gesteuert, wobei der rechte Bildschirm auch ein Touchscreen ist, der sich aber nur im Stillstand sicher bedienen lässt. Übrigens lassen sich praktisch alle individualisierten Zusatzfunktionen, die es in einem Lastwagen geben kann, in die neue Bedien­struktur integrieren, was dem Wildwuchs in der Kabine ein Ende setzt. Zudem lassen sich ausgewählte Apps des App-­Portals von Mercedes Trucks per Touchscreen bedienen.

Als letzte Neuerung sei noch die elektronische Feststellbremse erwähnt. Sie ist an sich nicht sonderlich speziell, hingegen die Zusatzfunktion einer Anhänger-Streckbremse schon, und sie ist beim Actros jetzt auch gesetzlich wieder zulässig. Der Anhänger-Stabilitätsregel-Assistent der elektrischen Feststellbremse verzögert in kritischen Situationen mit einem Anhänger- oder einem Sattelzug den Trailer und das Fahrzeug und stabilisiert die Zugkombination.

Das Paket an technischen Innovationen beim Actros erhöht den Komfort und die Sicherheit substanziell. Zugleich aber bringt die Kombination von Systemen und Massnahmen eine Verringerung des Treibstoffkonsums im Fernverkehr von bis zu drei Prozent gegenüber dem Vorgänger, im Überlandverkehr nicht zuletzt dank des verbesserten PPC von bis zu fünf Prozent. Resultate, die sich direkt in der Kosteneffizienz widerspiegeln werden und den leicht erhöhten Anschaffungspreis kompensieren dürften.

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