Die Schweiz hatte eine ­unbekannte Markenvielfalt

GESCHICHTE Bei der Gründung unserer Fachzeitschrift vor 49 Jahren – heute TIR transNews – war die Markenvielfalt bei Nutzfahrzeugen aller Art enorm und beinahe unübersichtlich. Wir blicken in mehreren Teilen zurück auf eine Epoche des Aufbruchs.

Saurer 4-Zylinder-Diesel 62 PS 1958 Flugplatz Basel Luftfracht Markenvielfalt TIR transNews
Markenvielfalt auch Dank Schweizer Namen: Ein Saurer 4-Zylinder-Diesel mit 62 PS brachte um 1958 auf dem Flugplatz Basel Luftfracht zu einer DC-3 der Swissair. Die Maschine flog zwei Mal täglich nach Zürich und zurück und wurde von den Baslern liebevoll «Trämmli» genannt. Saurer beherrschte damals noch das Strassenbild. Archiv Bruno Wagner

Die Motorisierung in der Schweiz war eine zähe Angelegenheit. Noch im Jahr 1925 waren Autos im Kanton Graubünden verboten. Einheitliche Regeln für Motorfahrzeuge gab es damals auch nicht. Vielmehr kochte jeder Kanton sein eigenes Süppchen. 1940, ein Jahr nach Beginn des 2. Weltkrieges, verkehrten auf schweizerischen Strassen 102 077 Motorfahrzeuge aller Art. Viele davon wurden durch die Armee requiriert und nach Beendigung der Feindseligkeiten im Mai 1945 aus Altersgründen oder infolge übermässigen Verschleisses verschrottet, sodass sich die Anzahl der noch brauchbaren Autos und Nutzfahrzeuge mit 46 212 Einheiten mehr als halbierte. Wer in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts etwas von Autos verstand oder gar eine Automechanikerlehre absolviert hatte, verbrachte beinahe die gesamten Kriegsjahre als Motor- oder Panzerfahrer im Aktivdienst. In dieser Epoche verfügte die schweizerische Armee übrigens über die stattliche Anzahl von 20 tschechischen Praga Panzerwagen. Die übrigen 100 bestellten und bezahlten Einheiten wurden nach der Okkupation der Tschechoslowakei 1938 vom Deutschen Reich beschlagnahmt.

Nach dem Krieg Zahlreiche Automechaniker mussten sich nach 1945 einige Zeit, bedingt durch den geringen Motorfahrzeugbestand, mit berufsfremden Aktivitäten über Wasser halten. Andere wiederum machten sich selbstständig und begannen in Hinterhöfen, ehemaligen Stallungen oder anderen Gebäuden mit Autogaragen. Bald einmal ergänzten Tanksäulen diese Gewerbebetriebe. Ausgeschenkt wurde bleihaltiges Benzin mit etwa 93 Oktan. Tankstellen im heutigen Sinne kamen erst im Laufe der 50er-Jahre hinzu und Diesel wurde noch nicht überall verkauft. Tankwart war bis weit in die 60er-Jahre ein Beruf. Scheiben reinigen, Ölstand kontrollieren und Reifendruck prüfen waren selbstverständliche Dienstleistungen. Auch nach 1945 wurden noch einige Zeit Personenwagen als Chassis mit Motor importiert und in der Schweiz mit Karosserien versehen. König in Basel, Lauber in Nyon, Gangloff in Bern oder Tüscher in Zürich waren kurz nach Kriegsende mit solchen Arbeiten beschäftigt.

Unmittelbar nach 1945 gab es nur sehr wenige Länder in Europa, die über eine intakte Automobil- oder Nutzfahrzeugindustrie verfügten. Deutschland war zerstört und die Fahrzeugproduktion kam nur langsam wieder in die Gänge. So wurden beispielsweise die ersten Büssing Lastwagen 1946 noch unter freiem Himmel zusammengebaut und Mercedes lieferte den nur wenig ansehnlichen Kriegstyp L4500 bis 1949 mit einem Holzfahrerhaus aus. Eine Motorisierung mit über 150 PS wurde Deutschland von den Alliierten bis 1950 verboten. Erst 1951 konnten auf der IAA ein Kaelble mit 200 PS und ein Henschel mit zwei Motoren mit jeweils 95 PS gezeigt werden. Mangels Fahrzeugen durfte in Deutschland einige Jahre sogar mit zwei Anhängern gefahren werden. Auch die französische Autoproduktion musste erst wieder in Schwung gebracht werden, da viele Anlagen (etwa beim Abzug der Wehrmacht mutwillig) zerstört worden waren. Dasselbe traf auch auf Italien zu. Verschiedene Teile von Österreich waren von den Russen besetzt, die wie im Osten Deutschlands komplette Fabriken demontierten und in die UdSSR abtransportierten. Einzig das Vereinigte Königreich, die USA, Schweden und die Schweiz hatten nach 1945 eine leistungsfähige Nutzfahrzeugindustrie.

Schweizer Protektionismus Die Schweizer Hersteller Sau­rer, Berna und FBW konnten den heimischen Bedarf an Lastwagen und Cars jedoch zu keiner Zeit decken. Entsprechend bunt war nach dem Krieg das Strassenbild in der Schweiz. Fahrzeuge aus der Vorkriegszeit, Nutzfahrzeuge aus amerikanischen Armeebeständen und leichte und mittelschwere Lastwagen aus England waren noch bis weit in die 50er-Jahre alltäglich. Wer weiss heute noch, dass Austin früher auch Lastwagen baute oder De Soto leichte Trucks herstellte? Sogar Pferdefuhrwerke waren keine Seltenheit. So transportierte der offizielle Basler Bahn-Camionneur Fritz Meyer die Waren noch mit einem PS von Haus zu Haus. Ab 1950 lief die Produktion von Nutzfahrzeugen in Europa wieder auf vollen Touren. Lieferwagen von Go­liath (Borgward Bremen) oder Tempo (Vidal Werke Hamburg-Harburg), Kleinbusse wie der Taunus Transit oder VW Transporter, Lastwagen von Bedford (GM Luton, ab 1954 Dunstable) beherrschten das Strassenbild immer mehr. Einzig bei den schweren Nutzfahrzeugen waren die ei­n­heimischen Marken Saurer, Berna und FBW noch in der Überzahl, da in diesem Segment eine Einfuhrbewilligung benötigt wurde. Dazu eine kurze Episode aus dem Bundesrat aus dem Jahr 1963:

«Herr Präsident, hochgeehrte Herren (Damenquote Fehlanzeige), wir beehren uns, Ihnen nachstehend von den weiteren Massnahmen Kenntnis zu geben, die wir auf Grund des Bundesbeschlusses vom 28. September 1956 über die wirtschaftlichen Massnahmen gegenüber dem Ausland getroffen haben. Gleichzeitig orientieren wir Sie über eine Reihe anderer handelspolitischer Fragen. In Weiterführung der durch Verfügung Nr. 7 des Eidgenössischen Volkswirtschafts­departementes vom 21. November 1962 über die Wareneinfuhr vorgenommenen Erleichterungen für die Einfuhr von schweren Lastwagen. In Verfügung Nr. 8 vom 10. Dezember 1968 wird die Bewilligungspflicht für die Einfuhr von Gesellschaftswagen und Warentransportwagen im Stückgewichte von über 2800 kg sowie von Chassis mit Motor im Stück­gewichte von 1600 kg aufgehoben. Das bedeutet, dass die Einfuhr die durch Bundesratsbeschluss Nr. 1 vom 17. Dezember 1956 über die Wareneinfuhr vorgeschriebene besondere Bewilligung nicht mehr vorzulegen ist. Die Einfuhr ist damit für die genannten Fahrzeuge und Teile bis auf weiteres völlig frei».

Die Schweizer Nutzfahrzeugindustrie wurde durch protektionistische Massnahmen geschützt, obwohl Lastwagen unter 12 Tonnen Gesamtgewicht nur noch in Ausnahmefällen produziert wurden. Einzig Mowag Kreuzlingen stellte in der Schweiz grössere Serien mit leichten und mittelschweren Fahrzeugen für Feuerwehren, Armee, Zivilschutz, aber auch Paketwagen und Fourgons für die Post her. Bereits während der Einfuhrbeschränkungen wurden schwere gebrauchte und neue Nutzfahrzeuge importiert, da die Wartezeiten auf Schweizer Fabrikate unzumutbar waren und deshalb Ausnahmebewilligungen erteilt werden mussten. Ab 1960 kamen immer mehr ausländische Nutzfahrzeuge in die Schweiz. Bei den Importeuren herrschte eine Art Goldgräberstimmung. Vor 50 Jahren waren in der Schweiz über 30 Fahrzeugmarken im mittleren und schweren Segment erhältlich.

Nachfolgend die erste Serie LKW-Marken in alphabetischer Reihenfolge. Die Marken ab dem Buchstaben «F» folgen in einer späteren Ausgabe.

Austin-Personenwagen waren in der Schweiz bis in die 70er-Jahre sehr populär. Beispielsweise die Typen A40, 1100 sowie die Modelle Mini 850, Mini Cooper und Mini Clubman prägten das Strassenbild in hohem Masse. Importeur war Emil Frey. Das Programm umfasste auch Lastwagen. Zahlreich vertreten war das Modell K2, ein Fahrzeug im Bereich von 1,5 bis 5 Tonnen Nutzlast. 1964 erschien mit dem J4 das erste englische Modell mit Kippkabine. Baugleiche Modelle gab es von Morris. Beide Marken kamen 1970 zu Leyland und waren in der Schweiz fortan nur noch vereinzelt vertreten.

Bedford war in den Nachkriegsjahren in der Schweiz aus­serordentlich stark vertreten. Vor allem die von 1960 bis 1984 gebauten und modernen TK-Frontlenker-Modelle wurden in grossen Stückzahlen verkauft. 1925 übernahm General Motors die Vauxhall-Automobilwerke und baute in Luton Chevrolet-Lastwagen mit kräftigen 6-Zylinder-Benzinmotoren. Diese wurden schnell einmal als Chevrolet Bedford bezeichnet, was auf dem britischen Markt sehr gut aufgenommen wurde. In der Schweiz war GM in Biel für den Import verantwortlich.

Berliet hatte in der Schweiz einen schweren Stand. Auch die ab 1959 sehr modernen Frontlenker mit Relax-Kabinen sah man nur selten auf eidgenössischen Strassen. Vor allem das Modell mit 5-Zylinder-Motor und 150 PS galt als unzuverlässig und anfällig für Kolbenschäden. Der 180 PS starke 6-Zylinder-Motor bewährte sich hingegen sehr gut. Berliet hatte in den 60er-Jahren keinen Importeur, sondern einen Vertreter, der die Kunden betreute. Zu Beginn der 70er-Jahre wurde die Nubag AG Pratteln Berliet-Importeur. 1967 erfolgte die Übernahme von Berliet durch Citroën und 1974 die Fusion mit Saviem, da der französische Staat eine ausländische Űbernahme befürchtete. Saviem wiederum entstand 1955 durch die Fusion mit Renault, Latil und Somua. Durch verschiedene Reorganisationen verschwand die Marke Berliet 1980 aus der LKW-Welt (vgl. TIR 5-18).

Büssing wurde zu einer Zeit gegründet, als der Auto­mobilbau noch in den Kinderschuhen steckte. 1903 baute Hein­rich Büssing den ersten Lastwagen mit 2 Tonnen Nutzlast. Bereits 1935 kam ein Modell mit Unterflurmotor auf den Markt. 1962 wurde die Borgward-Fabrik in Osterholz-Scharmbeck übernommen, die später an Faun verkauft wurde. 1969 begann die Zusammenarbeit mit MAN, die bereits zwei Jahre später zur Űbernahme von Büssing führte. In Lyss gab es einen Importeur. Der Standort wurde nach der Fusion als Lastwagenwerkstätte weiter betrieben.

Commer geht als Markenname auf das Jahr 1926 zurück, als die bis dahin unter dem Namen Commercial Car Company durch die Humber Automobilfabrik übernommen wurde. Bereits zwei Jahre später übernahm Rootes die Fabrik. Nach dem 2. Weltkrieg befand sich die Produktion in Dunstable. Ab 1967 hatte Chrysler die Mehrheit bei Rootes. 1976 verschwand der Name Commer und firmierte nunmehr unter Dodge. Sowohl Commer wie auch Dodge wurden von der Nubag AG in Pratteln importiert.

DAF feierte im vergangenen Jahr sein 90-Jahr-Jubiläum (vgl. TIR 5-18). Bereits vor dem 2. Weltkrieg waren DAF-Auflieger in der Transportwelt ein Begriff. Nach 1945 war das Land nicht nur von Kriegsschäden gezeichnet, sondern hatte auch einen grossen Nachholbedarf an Transportmitteln. 1950 erschien der erste DAF-5-Tonnen-Frontlenker mit Hercules-Benzinmotor. Auch ein Perkins Dieselmotor war lieferbar. Ab 1953 verwendete DAF Leyland-Dieselmotoren, die ab 1956 in Lizenz gebaut wurden. Ende der 50er-Jahre erschienen die ersten DAF-Lastwagen in der Schweiz, die von der Firma Franz AG Zürich importiert wurden. Zu den ersten Kunden zählten Euler in Zürich, Lustenberger in Luzern und Geisseler in Basel. DAF Trucks Schweiz übernahm später die Importeurfunktion und wurde unter Direktor Charles von Ballmoos zu einem wichtigen Faktor im schweizerischen Lastwagenmarkt. Nach verschiedenen Zwischenstationen (IHC und andere Partner) sowie einem Konkurs wurde DAF 1996 ein Tochterunternehmen von Paccar Inc.

De Soto wurde 1928 von Chrysler gegründet. Namens­geber war der spanische Konquistador de Soto, der im 16. Jahrhundert Expeditionen in Mittelamerika anführte. De-Soto-Automobile waren in einem günstigeren Marktsegment als Chrysler positioniert. De-Soto-Lastwagen wurden nach 1945 als Chassis/Motor in die Schweiz eingeführt. Die Aufbauten fertigten Schweizer Carrossiers. Die Produktion wurde 1960 eingestellt und die Marke aufgegeben.

ERF Edwin Richard Foden war ursprünglich ein Unternehmen, das ab 1856 Dampflastwagen herstellte. 1933 wurde mit der Produktion von modernen 6-Tonnen-Frontlenkern begonnen, die mit Gardner-Motoren versehen waren. Nach dem 2. Weltkrieg verwendete ERF unter anderem Rolls-Royce- und Cummins-Dieselmotoren. 1996 wurde ERF von Western Star Kanada übernommen, im 2000 von MAN. Die Firma Erfim AG in Wallisellen importierte während einer kurzen Periode ERF-Lastwagen.

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