Es ist noch etwas eng für die E-Lastwagen

FAHRBERICHT Auf dem von uns hinter dem Lenkrad gefahrenen Streckenabschnitt zeigte das Mercedes-Benz eActros 600 Prototypen-Fahrzeug seine hohe Praxistauglichkeit. Das öffentliche Ladenetz hingegen offenbarte seine noch grosse Unzulänglichkeit für den Umgang mit E-LKW.

Auf der Europatour wurden die zwei eActros 600 stets an öffentlichen Ladesäulen «aufgefüllt».
Auf der Europatour wurden die zwei eActros 600 stets an öffentlichen Ladesäulen «aufgefüllt».

Ende Jahr startet Daimler Truck die Produktion seines neuen Elektro-Flaggschiffs eActros 600. Wie der bereits erhältliche eActros 300/400 verfügt der neue E-Lastwagen über ein in der Achse integriertes 4-Gang-Getriebe und über zwei Elektromotoren, die jedoch auf den Langstreckenverkehr ausgelegt sind, auf der effizienteren und leistungsfähigeren 800-Volt-Technik aufbauen und 400 kW (544 PS) Leistung abgeben können (Peak 600 kW/816 PS). Auch die Zelltechnologie der Batterie ist mit Lithium-Eisenphosphat LFP anders als beim weiterhin erhältlichen, ersten eActros. Diesen Batterietyp verwendet Daimler Truck bereits im Fuso eCanter. Er wird lediglich noch von Mitbewerber DAF eingesetzt (Seite 27), alle anderen OEM, setzen generell auf unter Lithium-Ionen fallende Technik.

Als Teil der Abschlussentwicklung und auch als eine Art Proof of Concept führte Daimler Truck mit zwei Prototypen des eActros 600 im Frühsommer eine grosse Europatour durch. Mit Start am 11. Juni in Frankfurt führte sie unter anderem an die nördlichsten und südlichsten Punkte Europas, das Nordkap und Tarifa in Spanien, und endete nach 45 Tagen und über 15 000 Kilometern beim eigenen Entwicklungszentrum in Wörth. Die Erkenntnisse aus der Tour wird Mercedes auf der IAA in Hannover (Seite 32) veröffentlichen.

Leise zieht im E-Truck die Landschaft vorbei. Auf der Adour-Brücke sind am Horizont die Eglise Saint-André und die Kathedrale von Bayonne zu erkennen.
Leise zieht im E-Truck die Landschaft vorbei. Auf der Adour-Brücke sind am Horizont die Eglise Saint-André und die Kathedrale von Bayonne zu erkennen.

Auf dem kurvigen und hügeligen Baskenland-Abschnitt von Bilbao, Spanien, nach Bayonne, Frankreich, sassen wir am Lenkrad des einen Tour-Trucks. Der Lastwagen bestätigt die Eindrücke, die wir während des Vergleichs gemacht haben, mit leiser, kultivierter Fahrt und ansprechendem, manchmal etwas zögerlichem Vorwärtsdrang beim Anfahren. Insgesamt aber mit einer überzeugenden Leistung, die auch in der hohen Reichweite mit einer Batterieladung von mindestens 500 Kilometern liegt. An diesem Wert orientierten sich die Organisatoren der Europatour und fanden sie täglich bestätigt. Auch auf unserem Abschnitt lag ein Durchschnittsverbrauch von gut 107 kWh/100 km an, sodass mit der Netto-Kapazität von 600 kWh (brutto 621 kWh) über 550 Kilometer möglich gewesen wären. Die Zahl 600 in der Modellbezeichnung drückt übrigens die Batteriekapazität aus.

Hindernislauf im E-Lastwagen zur Ladesäule

Geladen wurde auf der Tour ausschliesslich im öffentlichen Schnellladenetz. Es war Teil der Touridee, hier die Möglichkeiten und gegebenenfalls Limitierungen aufzuzeigen. Unsere Etappe endet auf einem grossen Rastplatz auf der Autobahn A63, die Bayonne mit Bordeaux verbindet. Die vier Ionity-Ladesäulen befinden sich im Pw-Bereich, dessen beide Zufahrten gegen ein Zuparkieren durch Lieferwagen und Lastwagen geschützt sind. Bei der einen Zufahrt ist es eine hohe Metallschranke, welche die Durchfahrt in der Höhe limitiert. Bei der anderen Zufahrt verhindert eine schmale, eng angelegte Kurve die Einfahrt für grosse Fahrzeuge, also auch unsere E-Lastwagen. Da heisst es Abkuppeln und solo durch die Schikane. Was den versierten Testfahrern mit Unterstützung von Helfern auch gelingt – beide Trucks schaffen es an die Säulen.

Die Pw-Bereiche werden oft gegen die Einfahrt von LKW geschützt. Hier zirkelt der eine Tour-LKW durch die Schikane.
Die Pw-Bereiche werden oft gegen die Einfahrt von LKW geschützt. Hier zirkelt der eine Tour-LKW durch die Schikane.

Ladesäulen auf dem grosszügig angelegten LKW-Parkierbereich des Rastplatzes fehlen gänzlich. Doch genau da müssten bald welche stehen. Mit Blick darauf, dass viele Transportunternehmen sukzessive auf alternative Antriebe umstellen, braucht es auch ausserhalb von OEM und Transporteuren rasch ein Umdenken und die Investition in die Infrastruktur. Entsprechend gespannt sind wir auf die Resultate der Europatour. Denn sie sollte nach den Worten von Stina Fagerman, Leiterin Marketing, Vertrieb und Services bei Mercedes-Benz Trucks, nicht nur Aufschluss geben im Hinblick auf Verbrauch und Einsatzmöglichkeiten des E-LKW in unterschiedlichsten Gegebenheiten: «Auch eine breite Öffentlichkeit, Politik und die Energiebranche wollen wir über den batterieelektrischen Antrieb im Fernverkehr informieren und so das Momentum für den Aufbau der nötigen Infrastruktur weiter erhöhen.»

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