eTGM: Neun Löwen stehen jetzt unter Strom

MAN TRUCK & BUS ETGM Mit dem Handout von neun elektrifizierten TGM in Steyr an österreichische Kunden zur Praxiserprobung begann bei MAN Truck & Bus nach dem eTGE das elektrische Zeit­alter auch beim schweren Lastwagen.

Elektro-LKW eTGM MAN Truck & Bus AG Steyr TIR transNews
Übergabe der ersten Elektro-LKW an neun Kunden des österreichischen Firmenkonsortiums CNL mit Joachim Drees (ganz links), Vorsitzender des Vorstands der MAN Truck & Bus AG, und Dr. Ulrich Dilling (ganz rechts), Vorstand Produktion und Logistik MAN Truck & Bus AG.

«Es ist ein erhebender Moment und wir sind extrem stolz, dass wir es gemeinsam mit allen Beteiligten so weit gebracht haben», begann Joachim Drees, Vorsitzender des Vorstands der MAN Truck & Bus AG, seine Rede. «Wir sind der erste europäische OEM, der einen seriennahen E-Truck in den Verkehr bringt.» Hier würde zwar Renault Trucks vehement widersprechen (Seite 28), gleichwohl war dies ein grosser Tag, nicht nur für MAN Truck & Bus, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Österreich, als am 13. September im MAN-Werk in Steyr die neun batterieelektrischen Lastwagen in einer Zeremonie im neuen Produktionsbereich für Elektro-LKW an die stolzen Kunden überreicht wurden.

Bei den neun Elektrofahrzeugen handelt es sich um vier 6×2-Fahrgestelle mit Kühlkoffer plus Hebebühne (Ladebordwand) für den Einsatz bei den Unternehmen Hofer, Metro, Rewe und Spar, drei 6×2-Fahrgestelle mit Wechselbrückenaufbau für die Speditionen Gebrüder Weiss, Quehenberger Logistics und Schachinger Logistik, ein 6×2-Fahrgestell für den Getränketransport der Stiegl­brauerei sowie eine 4×2-Sattelzugmaschine für die Werkslogistik bei Magna Steyr. Die Fahrzeuge bilden damit ­einen repräsentativen Querschnitt der gängigsten Verteiler-Transportaufgaben in der urbanen Logistik ab.

MAN-Werk in Steyr wird zum E-Kompetenzzentrum Die Kun­den, mit denen die Praxistests durchgeführt werden, sind alles Mitgliedsunternehmen des österreichischen Council für nach­haltige Logistik (CNL). Das CNL ist eine europaweit einzigartige Initiative: 18 der grössten österreichischen Firmen aus den Bereichen Handel, Logistikdienstleister und Produktion haben sich unter der Leitung von Max Schachinger zusammengeschlossen, um gemeinsam Schritte im Bereich nachhaltiger Logistik voranzugehen. Die gemeinsamen Praxistests sind Teil der eMobility Road Map von MAN. In deren Rahmen wird MAN Ende 2018 den Prototyp seines Batteriebusses (BEV) Lion’s City E der Öffentlichkeit präsentieren. Der Markteintritt folgt 2020 mit der entsprechenden Anlaufkurve. Die nun gestarteten Praxistests stellen die Basis für eTruck-Folgeprojekte und die daraus folgende Serienentwicklung dar. «E-Mobilität können wir nur im täglichen Einsatz erproben», so Drees. Bereits 2019 soll eine Kleinserie von 50 bis 100 Fahrzeugen folgen und ab 2022 sei eine grössere Serienfertigung denkbar. Dann soll auch die Total Cost of Ownership (TCO) gegenüber einem Diesel-­LKW tiefer liegen.

Spezifisch auf die Anwendungsfälle, die bei den neun Unternehmen des CNL zum Alltag gehören, hat MAN diese ersten neun eTrucks entwickelt. Die Fertigung der Fahrzeuge erfolgte im MAN-Werk in Steyr. Zum einen findet hier die Produktion der konventionellen Baureihen MAN TGM und TGL statt. Zum anderen ist das hier ansässige Truck Modification Center auf die Fertigung von Kleinserien und Einzelanfertigungen spezialisiert. Die Bedeutung des Stand­ortes für die Entwicklung von E-LKW verdeutlichte im Rahmen der Übergabe Dr. Ulrich Dilling, Vorstand für Produktion und Logistik bei MAN Truck & Bus: «Unsere Mitarbeiter wurden für Hochvolt-Systeme geschult, erforderliches Equip­ment wurde beschafft und Sicherheitsbereiche eingerichtet. Auch das angepasste Wartungskonzept für eTrucks haben wir hier entwickelt und Servicepersonal aus Wien, Graz und Salzburg geschult. Mit diesen Massnahmen machen wir unseren Standort Steyr elektro-fit.» Laut Drees wurden dafür Investitionen «im zweistelligen Millionen­bereich» getätigt. Die nun ausgelieferten Fahrzeuge wurden alle vorerprobt. Oder wie Dilling bildhaft sagte: «Wir geben keine grünen Bananen an die Kunden.»

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Der eTGM fährt sich flüsterleise. Die Verzögerung dient auch zur Energie­rückgewinnung.

Die Technik im Einsatz Die Fahrgestellbasis für die eTrucks ist der MAN TGM. Für den nötigen Komfort und die im städtischen Verteilerbetrieb oftmals nötigen Höhenniveauanpassungen ist das Fahrwerk der eTrucks mit Luftfederung vorn und hinten ausgestattet. Der zentral im Rahmen angeordnete Elektromotor leistet 264 kW und schickt maximal 3100 Nm Drehmoment an die Antriebsräder. Dabei kommt der Antriebsstrang ohne Getriebe aus und überträgt die Kraft via Direktantrieb. Die Lithium-Ionen-Batterien sind unter dem Fahrerhaus und seitlich am Rahmen untergebracht. In der Variante als 26-Tonnen-Solo-Fahrgestell (MAN TGM 6×2-4 LL) sind insgesamt zwölf Batterien verbaut, die je nach Aufbaukonfiguration, Einsatz und Fahrprofil eine Reich­­weite bis 200 Kilometer ermöglichen. Bei der zweiachsigen Variante als Sattelzugmaschine (MAN TGM 4×2 LL) können bis zu acht Batteriepakete zum Einsatz kommen, entsprechend liegt die Reichweite bei bis zu 130 Kilometern je nach Einsatzprofil und Art des Aufliegers.

Von aussen sehen die eTGM aus wie jeder andere MAN der gleichen Baureihe. Das liegt auch daran, dass der Platz des Verbrennungsmotors durch einen Teil der Batterien und der Leistungselektronik genutzt wird, wobei das Package der Einheiten so gewählt ist, dass es zur einfacheren Fabrikation dem Verbrennungsmotor entspricht. Um die Fahrzeuge in der Erprobung möglichst universell einsetzen zu können, sind die Aufbauten als Wechselbrücken konzipiert. Es sind Kühlkoffer, Wechselbehälter und Getränkeaufbauten, aber auch Abfallsammelbehälter. Dort wo nötig, beispielsweise beim Kühlkoffer, wird die nötige Energie ebenfalls durch die Fahrzeugbatterie abgegeben.

Ein paar Wochen vor der Übergabe der Testflotte an die Logistikpartner konnten wir die eTGM auf dem Testgelände von Magna Steyr fahren. Der steile Verlauf der Drehmomentkurve des Permanent-Synchron-Motors ist der Hauptgrund, weshalb sich der 26-Tönner angenehm leichtfüssig in Bewegung setzt. 265 kW und 3100 Nm sorgen zudem dafür, dass der Vorwärtsdrang nicht vorzeitig verlangsamt wird. Durch Rekuperation nutzt der eTGM die kinetische Energie und wandelt Bremsenergie in elektrischen Strom um, was grösstenteils allein durch Drücken und Lupfen des «Gaspedals» möglich ist. Erkenntnisse mit unterschiedlicher Zuladung haben gezeigt, dass sich viel Gewicht nicht notgedrungen durch kleinere Reichweiten auswirkt, sondern durch höheren Schub in längeren Rekuperationsphasen resultiert.

Wie bei anderen Elektrofahrzeugen überzeugt auch beim eTGM das Fehlen des Motorgeräusches und gefällt damit im niedrigeren Tempobereich mit seiner flüsterleisen Fahrt. Erste Erfahrungen mit elektrischen Nutzfahrzeugen zeigen, dass sich die Chauffeure rasch an das andere Fahren, das Pedalspiel und die Geräuscharmut gewöhnen und sich eine Rückkehr zum Diesel nur noch schwer vorstellen können. Für die Batterieladung stehen die heute üblichen Ladeleistungen bei Wechselstrom von 22 respektive 44 kW zur Verfügung, mit Gleichstrom bis 150 kW.

Transport Solutions «Die Elektrifizierung verlangt nach völlig neuen Ansätzen, da sie für Kunden viele Unbekannte birgt», erklärt Stefan Sahlmann. Sahlmann leitet die von MAN Ende des letzten Jahres neu gegründete Beratungsorganisation «MAN Transport Solutions». Sie betreut dabei nicht bloss Kunden mit Elektrolastwagen, sondern kümmert sich auch um die spezifischen Bedürfnisse beim Buseinsatz und bei den Lieferwagen; in allen drei Segmenten ist MAN aktuell ebenfalls mit Prototypen und Serienmodellen am Markt tätig. Die Experten der neuen Abteilung können die komplette Nutzung der Fahrzeuge mit Betrieb, Infrastruktur sowie Service und Wartung abdecken. Dazu gehört unter anderem die Verkehrs­planung mit Umlauf- und Routenplanung, das Batterie- und Lademanagement, die Energiebedarfsanalyse und -optimierung sowie Wartungskonzepte, Werkstattauslegung und -training. «Unser Ziel besteht darin, den Unternehmen einen durchgeplanten Einstieg und Betrieb von alternativen Antrieben in einer TCO-optimierten Auslegung zu ermöglichen», so Sahlmann.

Mit Blick auf die TCO des gesamten Lebenszyklus berät MAN Transport Solutions beispielsweise schon jetzt auch bei Fragen wie zum Batteriewechsel. Aktuell stellt laut Stefan Sahlmann die Planung und Installation der Infrastruktur die grösste Herausforderung dar. Dazu kommen als weitere Knackpunkte die Planung der Reichweiten unter Berücksichtigung der Heiz- und Klimatisierungsleistung, die Transport- und Beförderungskapazität und die Ladezeiten. Beim Thema Infrastruktur hängt viel davon, ob ein Fahrzeug beispielsweise nur über Nacht geladen oder ob unterwegs die Reichweite mittels Zwischenladungen verlängert werden muss.

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