Im Saurer-Museum offenbart sich die Technologieorientierung

AUSFLUGSTIPP Ein Besuch im Saurer-Museum Arbon offenbart die geniale Ingenieurskunst, mit der die Marke bis Mitte des letzten Jahrhunderts den Weltmarkt für Web- und Stickmaschinen dominiert und zeitlich überschneidend die zeitweise besten LKW der Epoche gebaut hatte.

Der «Caminhao» (portugiesisch für Lastwagen) wurde 1911 nach Brasilien exportiert, 2002 in die Schweiz zurückgeholt und restauriert.
Der «Caminhao» (portugiesisch für Lastwagen) wurde 1911 nach Brasilien exportiert, 2002 in die Schweiz zurückgeholt und restauriert.

Das Museum in einer ehemaligen Saurer-Werkhalle direkt am Bodensee zeigt Nutzfahrzeuge, Motoren sowie Stick- und Webmaschinen aller Generationen, die in Arbon hergestellt wurden. Zu sehen sind rund 20 historische Fahrzeuge aller Kategorien, der älteste Saurer-Lastwagen überhaupt, wie auch der berühmte «Caminhao 1911» aus Brasilien, bis zu Fahrzeugen der D-Generation sowie eine umfassende Motorenausstellung. Im Bereich Textilmaschinen finden sich Stickmaschinen der drei Pioniergenerationen, ebenso Webmaschinen verschiedener Bautypen. Die Textilmaschinen sind alle betriebsbereit aufgerüstet und werden selektiv bei Führungen in Betrieb genommen.

Vorführung einer Pantograph-Handstickmaschine aus dem vorletzten Jahrhundert.
Vorführung einer Pantograph-Handstickmaschine aus dem vorletzten Jahrhundert.

Und das ist nur einer von mehreren Gründen, die für das Buchen eines «Tour Guides» sprechen. Ein anderer ist, dass, obwohl viel zur Saurer-Geschichte in Büchern und im Internet zu finden ist, diese nicht die lebhaften Erzählungen etwa von Ernst Kugler ersetzen können, der selbst lange bei Saurer gearbeitet hatte und uns durch die Ausstellung begleitete. Wenn er beschreibt, wie jährlich 100 Lernende neu eingestellt und dadurch jedes Jahr insgesamt 400 Lernende auf dem Areal geschult wurden, und diese vom Personalwesen gar separat organisiert waren, so kann man sich das ein wenig vorstellen.

Unser Tourguide Ernst Kugler (links) mit Museumsdirektor Christoph Wolleb.
Unser Tourguide Ernst Kugler (links) mit Museumsdirektor Christoph Wolleb.

Innovationskraft und Geschäftssinn

«Saurer war absolut technologieorientiert», erzählt Kugler und führt von Web- zu Stickmaschine, erklärt die betriebswirtschaftlichen Hintergründe, die zu dieser und jener Entwicklung und Innovation geführt hatten.

Etwa, dass der erste Saurer-LKW aus der Notwendigkeit des Werkverkehrs heraus entstand. Der junge Ingenieur Hippolyt Saurer, Enkel des Firmengründers Franz Saurer, entwickelte den Lastwagen Nummer eins, eine technologische Meisterleistung, mit Kardanwelle und Differenzialgetriebe, «Over Engineered», wie man heute sagen würde, und viel zu schwer. Der im Saurer-Museum ausgestellte Prototyp bleibt ein Einzelstück, war aber der Startschuss für eine über 80-jährige Erfolgsgeschichte mit zahlreichen Innovationen, wie der ersten und lange Zeit einzigen funktionierenden Dieseldirekteinspritzung.

Bereits der erste von 1910 bis 1919 produzierte Serien-Kettenwagen Typ 5 TK wurde mit fast 700 ausgelieferten Exemplaren ein weltweiter Erfolg. Der 2002 aus Brasilien in die Schweiz zurückgeholte «Caminhao» war eines jener Fahrzeuge. Und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Saurer zu den wenigen, die den Hunger nach Transportfahrzeugen im zerstörten Europa stillen konnten. Der letzte zivile Saurer verliess seinen Geburtsort 1983, der letzte Omnibus wurde 1985 abgeliefert und die Schweizer Armee nahm 1986 den letzten 10DM entgegen. Seit 1904 waren rund 44 800 Chassis abgeliefert worden.

Im 2017 eröffneten Saurer Museum Depot sind Fahrzeuge, Maschinen und Motoren untergebracht, die in der Ausstellung keinen Platz mehr fanden.
Im 2017 eröffneten Saurer Museum Depot sind Fahrzeuge, Maschinen und Motoren untergebracht, die in der Ausstellung keinen Platz mehr fanden.

Saurer prägte die Industrie

Es war eine andere Zeit, als 1821 der 15-jährige Bauernsohn Franz Saurer, aufgewachsen mit 17 Geschwistern im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen, in Laufen am Rheinfall eine Lehre als Schmied und Schlosser beginnt. Nach Zwischenstationen landet er in der Maschinenwerkstätte von Michael Weniger in St. Georgen bei St. Gallen, heiratet 1834 und zeugt sechs Knaben. 1848 verlässt Saurer aus Protest gegen einen Lohnabbau die Maschinenfabrik, lebt zunächst von der Fuhrhalterei und eröffnet 1853 eine eigene Eisengiesserei. 1854 erhält er das Schweizer Bürgerrecht. 1861 stirbt seine erst 48-jährige Ehefrau Maria, doch bereits 1862 verheiratet sich Franz Saurer wieder, und zwar mit Maria Paulina Theresia Stoffel, Witwe und Universalerbin einer mechanischen Werkstätte für Bau und Reparaturen von Apparaten für Webstühle nördlich des Schlosses Arbon. Im Januar 1863 verlegt Saurer den Betrieb nach Arbon, wo er nun unter der Bezeichnung «Mechanische Werkstätte & Eisengiesserei Franz Saurer-Stoffel, Arbon» firmiert.

Der anfänglich erst wenige Arbeiter beschäftigende Betrieb weist bald ein beeindruckendes, vielseitiges Fabrikationsprogramm auf. Erst mit dem Eintritt der Söhne entwickelt sich der Betrieb zu einem wachsenden Unternehmen im Bereich des Stickmaschinenbaus. Franz Saurer stirbt am 28. November 1882 nach kurzer Krankheit im Alter von 76 Jahren.

Adolph Saurer erkennt 1888 nach den grossen Krisen in der Stickerei, dass seine Firma nur mit weiteren Standbeinen überlebensfähig ist, und beginnt mit dem Bau von stationären Petrolverbrennungsmotoren nach dem Otto-Prinzip in Lizenz. Dem jungen, scharfsinnigen Ingenieur Hippolyt Saurer bleiben die Motorenentwicklungen von Daimler, Benz und Maybach auf der anderen Seite des Bodensees nicht verborgen. Während seiner Studienzeit sieht er zudem erste Lastwagen über die Strassen in der Stadt Zürich rumpeln. Im Gegensatz zu seinem Vater Adolph prophezeit er dieser neuen Traktionsart eine grosse Zukunft. Im November 1902 beginnen in Arbon die Konstruktionsarbeiten und am 10. Mai 1904 geht der erste vollständig in Arbon konstruierte und fabrizierte Versuchs-Lastwagen von Saurer auf seine erste Probefahrt. Die Automobilmarke ist geboren und die Fabrikation von motorisch angetriebenen Strassenfahrzeugen nimmt ihren Anfang.

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