«Der Frontlenker ist ­momentan unser Hauptfokus»

RALLYE DAKAR Der Russe Andrey Karginov hat die Lastwagenkategorie der Rallye Dakar 2020 für sich entschieden. Im Interview äussert er sich zu seinem grossen Triumph, aber auch zur Zukunft seiner Rallye-­Trucks bei Kamaz.

Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov Kamaz TIR transNews
Der Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov mit persön­licher Grussbotschaft an die Jury Truck of the Year.

Die 42. Rallye Dakar wurde nach dem langen Ausritt nach Südamerika erstmals wieder in der Nähe ihres Ursprungs durchgeführt. In Saudi-Arabien führte das Rennen in zwölf Etappen über knapp 7900 knallharte Stein-, Schotter- und Sandkilometer. Zum vierten Mal in Folge ging der Gesamtsieg an den LKW-Hersteller Kamaz, allerdings nicht mit dem Titelverteidiger Eduard Nikolaev, sondern mit dem ebenfalls langjährigen Dakar-Piloten Andrey Karginov. Der 44-jährige Russe war 2010 das erste Mal an der Dakar dabei und startete ausser 2017 und 2018 jedes Jahr zur wohl härtesten Motorsportveranstaltung weltweit. Wir trafen den diesjährigen Gewinner zum Gespräch.

TIR: Zwei Kamaz-Mannschaften auf den ersten beiden Podiumsplätzen und ein weiterer Kamaz auf dem vierten Schlussrang. Haben Sie vor dem Rennen mit einem solchen Resultat gerechnet – speziell mit Blick auf die Ungewissheit der ersten Austragung auf der Arabischen Halbinsel?

Andrey Karginov: Jedes Mal, wenn wir an ein Rennen gehen, haben wir spezifische Ziele, speziell an der Dakar, dem härtesten Rennen des Jahres. Jeder geht mit Ambitionen, jeder will ein möglichst gutes Resultat herausholen. Unser Team hatte das Ziel, zu gewinnen. Wir belegten den ersten, den zweiten und den vierten Rang – wir können daher behaupten, das Resultat war exzellent. Aber das Rennen war schwierig. Den Takt, den unsere Konkurrenten und den wir uns selber auf­erlegten, weckte Bedenken, ob Fahrzeuge und Mannschaften das verkraften würden. Doch wir haben es bewiesen, wir sind ein starkes Team und können gewinnen.

Wie würden Sie die Dakar in Südamerika und in Saudi-­Arabien vergleichen? War die Rallye in diesem Jahr schwieriger als letztes Jahr? Und weshalb?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede. Während der Dakar ist es Sommer in Südamerika und Winter in Saudi-Arabien. Einerseits ist Saudi-Arabien etwas besser, weil keine wahnsinnige Hitze herrscht. Andererseits wird es nachts sehr kühl, ja kalt. Bei beinahe null Grad mussten sich die Mechaniker warm anziehen, um bei ihrem Job nicht zu frieren. Ein zweiter Punkt ist die Höhe. In Saudi-­Arabien fuhren wir nie auf grosser Höhe über Meer. Das ist einfacher für den Körper, komfortabler für die Fahrzeuge und auch die Motoren fühlten sich besser an. Weitere Pluspunkte dieses Jahr waren die kürzeren Anreisezeiten und die leichtere Anpassung an die Rennkonditionen. Gleichwohl ist zu sagen, dass die Etappen sehr variantenreich waren. Es gab Highspeed-Sektionen, wo wir mit Vollgas unterwegs sein konnten. Es gab Sandstrecken mit komplexen Dünenvarianten. Und es gab steinige Abschnitte mit riesigen Felsen und engen, verwinkelten Flussbetten. Diese Abwechslung lieben wir im Rallye-Sport.

Können Sie den Hauptgrund nennen, weshalb Sie dieses Jahr gewonnen haben? Waren es die vielen Tests, die Fähigkeiten Ihres Kamaz-43509-LKW, das Teamwork, die Taktik Ihres Teammanagers Vladimir Chagin oder gar die Zuverlässigkeit des 13-Liter-Dongfeng-Cummins?

Es gibt nicht einen Grund alleine, sondern es ist ein Mechanismus, der nur als Ganzes funktioniert. Das Team hat riesige Erfahrung und wir überprüfen die Taktik des Teams täglich. Wir trainieren ausgiebig übers Jahr, und die Rennen, an denen wir übers Jahr teilnehmen, haben ebenfalls zum Resultat an der Dakar beigetragen. Der Lastwagen und die Motoren sind zuverlässig. Nur mit all diesen Faktoren vereint haben wir das gute Resultat erzielen können.

Sie sind dieses Jahr mit einer Automatikschaltung ­gefahren. Warum? Und wie war Ihre Erfahrung damit?

Letztes Jahr hatten nur zwei Mannschaften eine Automatik, zwei Fahrer – ich eingeschlossen – fuhren «manuell», 2020 waren alle vier Lastwagen mit einer Automatik bestückt. Erstmals mit der Automatik gefahren bin ich im Juli 2019 auf der Silk Way Rallye. Vor allem in den Dünen und im schweren Sand spielt die Automatik ihre Trümpfe aus, wenn wir andauernd schalten müssen. Mit einer Handschaltung ist das deutlich anspruchsvoller und man verliert höchstwahrscheinlich mehr Zeit. Klare Vorteile hat die Automatik auf weichem Untergrund, wenn die Räder durchdrehen.

Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov Kamaz TIR transNews
Dünen und Sand sind eine Spezialität des Russen. Da ist nicht Speed allein gefragt, vielmehr heisst es «überwinden, ohne stecken zu bleiben».

Können Sie uns in Stichworten die diesjährige Dakar beschreiben? Was hat sie geprägt?

Die Organisatoren der Dakar arbeiten stets daran, die Rallye zu einem unvergesslichen Abenteuer zu machen, und versuchen, die Teilnehmer zu überraschen. Dieses Jahr haben sie dies auch wirklich geschafft. Die Strecken waren sehr unterschiedlich und sie waren auch sehr komplex. Die Pisten waren gespickt mit scharfen Steinen, und ich war stets bemüht, Reifenschäden zu vermeiden. Die letzten 100 Kilometer hingegen waren gesäumt von grossen Felsblöcken. Die Herausforderung war es, den Felsen auszuweichen und gleichwohl schnell unterwegs zu sein. Das war sehr riskant, denn der Lastwagen könnte massiv beschädigt werden. Auf der Ziellinie haben etliche der Führenden der Autokategorie davon gesprochen, dass dies die schwierigsten 100 Kilometer in der Geschichte der Dakar gewesen seien.

Wer war Ihr stärkster Herausforderer in diesem Jahr? War es Viazovich?

Ich respektiere alle Konkurrenten. Jeder versucht, ein gutes Resultat zu erzielen oder gar den Sieg zu erringen. Die Teams von MAZ – mit Siarrhei Viazovich –, Tatra, Hino und Renault waren alle stark, ebenso Gerard De Rooy und Federico Villagra von Iveco. Sie alle hatten gute Teilresultate erzielt, doch dürfen wir sicher sagen, dass unsere Performance konstanter war, sodass wir, über alle Tage gesehen, die beste Zeit herausfuhren.

Wie würden Sie Ihren Fahrstil beschreiben? Sind Sie ­aggressiv, kühl oder ein Taktierer?

Ich nutze alle drei Stile. Manchmal, wenn ich schnell unterwegs bin, ist aggressives Fahren nötig, doch achte ich stets darauf, dass ich mich und meinen Lastwagen einem möglichst geringen Risiko aussetze; was nicht immer leicht ist. Ich habe auch immer die Teamtaktik im Hinterkopf. Diese Kombination ermöglicht mir die guten Resultate.

Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov Kamaz TIR transNews
Startpodium in Jeddah, Saudi Arabien. Danach folgen knapp 7900 knallharte Stein-, Schotter- und Sandkilometer.

Auf welchen Passagen fühlen Sie sich als Pilot am wohlsten? Sind es die steinigen Passagen, der weiche Wüstensand, die Dünen oder enge, kurvige Strecken?

In unserem Team heisst es immer wieder: «Je schlimmer, umso besser.» Dabei bezieht man sich auf die gewundenen, steinigen, trockenen Flussläufe. Und das sind die Situationen, die auch ich am meisten mag. Es ist nicht sonderlich angenehm, eine bergige Sonderprüfung zu fahren, wo du nicht abkürzen kannst, weil du auf einer festen Route fahren musst. Auf Bergprüfungen hast du normalerweise eine Felsbegrenzung auf der einen und einen Steilhang auf der anderen Seite, sodass du umkommst, wenn du eine Abkürzung versuchst. Hier musst du dich zusammennehmen. Aber ich liebe Dünen. Man muss nicht schnell fahren, doch du musst sie überwinden, ohne stecken zu bleiben.

Wie sah bislang Ihre Karriere als Rallye-LKW-Pilot aus? Wo haben Sie begonnen, Rallye-Trucks zu fahren?

Meine Karriere startete mit Karting in Nabereschnyje Tschelny (Russische Teilrepublik Tatarstan). Auch wenn Karts im Grunde keine Autos sind, haben sie viel gemeinsam mit Lastwagen. Beispielsweise das Lenkgefühl, die Lenkreaktion, aber auch das Verlangen, zu gewinnen. Karting ist eine hervorragende Schule für einen Motorsport-Menschen. Und wenn du dann hinter dem Steuer eines Renntrucks sitzt, musst du das Gelernte anpassen und deine Fähigkeiten erweitern. Dabei hat mir mein Team extrem geholfen. Alles, was ich gelernt habe, und alle meine Erfolge als Pilot verdanke ich meinem Team.

Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov Kamaz TIR transNews
Die Tage waren weniger heiss als die Jahre zuvor in Südamerika, dafür waren die Nächte kalt, sodass die Mechaniker für ihre Nacht­arbeit warme Kleider anziehen mussten.

Planen Sie, in Zukunft auf einem Hauber-LKW Rennen zu fahren, statt wie bisher mit einem Frontlenker?

Ich bin einmal während einer Trainingseinheit mit einem Hauber unterwegs gewesen und ich habe seine Vorteile erfahren. Aber um die Vorteile richtig ausspielen zu können, reicht es nicht, einen solchen Truck während ein, zwei Rennen zu pilotieren, man muss ihn über die ganze Saison fahren. Ich bin überzeugt, dass unser Hauber in Zukunft ein würdiger Herausforderer werden wird. Für den Moment jedoch haben wir unseren Frontlenker so weit entwickelt, dass er extrem wettbewerbsfähig ist und gut funktioniert. Der Frontlenker ist momentan der Hauptfokus unseres Teams.

Können Sie uns abschliessend etwas über Ihre zukünftigen Projekte verraten?

Unser Hauptfokus ist unser Renntruck, dessen Modernisierung und die ständigen Verbesserungen. Als Pilot bin ich vor allem daran interessiert, dass der Truck seine Rennfähigkeiten verbessert. Ich möchte ihn einfach schneller machen. Die nötigen Tests laufen und wir werden an der Silk Way Rallye* Anfang Juli teilnehmen, welche uns erlaubt, den Lastwagen und unsere Fahrfähigkeiten zu testen. Die Rallye bietet eine Vielzahl von Strecken und die Konkurrenz ist hart. Wenn du auf der Silk Way Rallye erfolgreich bist, dann kannst du mit Zuversicht an der Dakar an den Start gehen.

* Für die Silk Way Rallye wurden wegen Covid-19 Mitte März geänderte Bedingungen festgelegt. Sie wird nicht mehr durch drei Länder geführt, sondern soll ausschliesslich auf russischem Boden statt finden.

Dakar-Gewinner 2020 Andrey Karginov Kamaz TIR transNews
Andrey Karginov, offizielles Dakar-Foto.
Visited 21 times, 1 visit(s) today

Weitere Beiträge zum Thema