«Sobald die TCO stimmt, kommt der Wandel ganz schnell»
INTERVIEW Seit Dezember 2021 leitet das Daimler-Truck- Vorstandsmitglied Karin Rådström die Marke Mercedes-Benz Trucks. Anlässlich der Premiere des eActros 600 stand sie Red und Antwort rund um die Elektrifizierungsstrategie der Marke und zur Bedeutung des neuen Flaggschiffs.
TIR transNews: Nach seiner Premiere im Oktober wird der eActros 600 gegen Ende des nächsten Jahres in Produktion gehen. Welche Bedeutung hat dieser LKW in der Elektrifizierungsstrategie von Daimler Truck?
Karin Rådström: Für uns bei Mercedes-Benz Trucks ist es ein riesiger Schritt, denn mit dem eActros 600 werden wir das Langstreckensegment elektrifizieren. Und dieses Segment ist am wichtigsten, sowohl was den Markt betrifft als auch was die zurückgelegten Kilometer der Fahrzeuge angeht. Somit ist es unsere wichtigste Gelegenheit, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und die Nachhaltigkeit des Strassengüterverkehrs zu verbessern. Natürlich hoffen wir auch, mit diesem innovativen Produkt neue Standards zu setzen. Die hohe Batteriekapazität von 600 kWh – daher auch die Modellbezeichnung 600 – und eine neue, inhouse entwickelte und besonders effiziente Antriebsachse sorgen dafür, dass der E-Truck eine Reichweite von 500 Kilometern erzielt ohne Zwischenladung.
Welchen Mix sehen Sie im Langstreckensektor zwischen LKW mit Batterie und solchen mit Brennstoffzelle?
Die Million-Dollar-Frage (lacht). Wie Sie wissen, arbeiten wir parallel auch am Brennstoffzellen-LKW. Wir beurteilen die Technologie aus heutiger Sicht als etwas weniger weit entwickelt und wir gehen davon aus, dass es etwas länger dauert, um die Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen, weshalb wir darauf aus sind, das Serienmodell des Mercedes GenH2 Truck in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts herauszubringen. Wir denken weiterhin, dass beide Technologien – Batterie und Brennstoffzelle – langfristig zusammenspielen werden. Zum einen spielen sie für unterschiedliche Anwendungen eine Rolle, abhängig von den Bedürfnissen unserer Kunden und der jeweiligen Infrastruktur. Zum anderen kann es sehr wohl sein, dass sich die Preise von Strom und Wasserstoff regional ganz unterschiedlich entwickeln und daher auch die TCO sich in den verschiedenen Regionen Europas unterscheiden wird. Und schliesslich muss die Infrastruktur für beide Technologien aufgebaut werden. Es hat nicht genügend grünen Strom für den gesamten Strassentransport, also benötigen wir auch Wasserstoff. Der Split zwischen Batterie- und Wasserstoff-LKW ist sehr schwer vorauszusagen, doch wir entwickeln beide parallel. So werden wir in der Lage sein, je nach Marktentwicklungen zwischen beiden auszugleichen.
Am Investorentag in den USA hiess es, dass man für Europa im schweren Sektor bis 2025 lediglich etwa 10 Prozent Null-Emissions-LKW erwartet, im Jahr 2030 hingegen bereits 60 Prozent …
Für diese Marktfolgerungen gehen wir von Annahmen aus, wann die TCOs von Null-Emissions-LKW besser sind als jene des herkömmlichen Diesel-Trucks. Das hängt natürlich auch sehr stark vom Aufbau der Infrastruktur ab. Die läuft offensichtlich weniger rasch, als wir es uns erhofft hätten, was erklärt, weshalb die Marktaufnahme von Elektro-Trucks langsamer läuft als von vielen gedacht. Wir beobachten aber auch viele Initiativen beim Infrastrukturausbau und ich bin guten Mutes, dass wir hier bald ein exponentielles Wachstum sehen können, denn unsere Kunden sind sehr TCO-getrieben. Sobald die TCO-Rechnung Sinn macht und sobald unsere Kunden das nötige Vertrauen in die Technologie aufgebaut haben, dass sie sich auf den E-Truck in gleichem Mass verlassen können wie auf die aktuelle Technologie, dann kann der Wandel plötzlich ganz schnell gehen.
Sie sagen, Sie gehen die Elektrifizierung ganzheitlich an, dass Sie also neben dem LKW auch spezifische Dienstleistungen, Infrastruktur und mehr anbieten. Können Sie damit die Kunden für Elektro- Trucks überzeugen?
Wir haben unser eConsulting-Angebot auf dem Markt, bei dem wir mit den Kunden zusammenarbeiten. Dabei finden wir heraus, welche Anwendungen Sinn machen für einen E-Truck, aber auch, wie bestehende Routen angepasst werden könnten, um von einem E-Truck abgedeckt zu werden. Unsere eConsultants helfen vor allem kleineren Kunden dabei, welche finanzielle Unterstützung es gibt und beim Bewerben dafür.
Wir haben eine sehr breite Spanne von Kunden. Ich kenne sehr progressive Kunden, die viele verschiedene Versionen von E-Trucks möchten, denn sie sind bereit für den Wechsel ihrer ganzen Flotte. Und dann sind da jene, die noch immer nicht an die Elektrifizierung glauben. Sie bewegen sich überhaupt nicht und versuchen, möglichst lang mit dem Diesel durchzukommen. Diese Breite macht es irgendwie sehr interessant.
Ein Haupthindernis für die Einführung von E-Trucks ist aus meiner Sicht, dass über ganz Europa total unterschiedliche Systeme für die Kaufunterstützung vorhanden sind. Würde ein einheitliches System wirklich etwas bringen?
Wir sehen das auch als ein Hindernis. Selbst der Schwierigkeitsgrad beim Anmeldeprozess für die finanzielle Unterstützung variiert je nach Land. Beispielsweise im einen Land ist die Anfrage für finanzielle Mittel eine Art Lotterie und so warten selbst Firmen, die investitionsbereit wären, auf die nächste Lotterieziehung. Es kann also auch kontraproduktiv sein, wenn Länder finanzielle Unterstützung anbieten. In Deutschland meldet sich der Kunde für Unterstützungsgelder an, wartet dann aber eine lange Zeit, bis er überhaupt weiss, ob sein Bescheid positiv oder negativ ausfällt. Das bremst den Prozess stark ab. Deutschland hätte einen weniger zögerlichen Weg wählen können. Einerseits sind Unterstützungsprogramme gut, um Kunden zum ersten Schritt zu bewegen, andererseits ist der Verwaltungsaufwand in den meisten Märkten sehr gross. Dies ist mit ein Grund, weshalb es nicht rascher vorwärtsgeht.
Beim eActros 600 kommt die neue LFP-Batterietechnologie zum Einsatz, die sich von jener der bereits vermark- teten eActros 300 und 400 unterscheidet. Werden Sie künftig ganz auf die neue Technologie umschwenken?
Ja, wir haben eine entsprechende Entscheidung bei der Batterietechnologie gefällt. Allerdings ist der eActros 600 nicht der erste E-Truck im Konzern, den Start mit der LFP-Batterie haben wir beim neuen Fuso eCanter gemacht. Wir glauben, dass sie die beste Technologie für den Nutzfahrzeugeinsatz ist. Gleichwohl beobachten wir die Entwicklungen im Markt andauernd und es können sich künftig Änderungen ergeben, denn es passiert aktuell so viel in der Batteriezellenentwicklung. Für den Moment aber sehen wir viele Vorteile in der LFP-Technik, weshalb wir in ihrer Richtung weiterentwickeln. LFP-Zellen haben eine längere Lebensdauer und sie bauen weniger rasch ab als andere Technologien. Wir sprechen bei LFP von 1,2 Mio. Kilometern oder zehn Jahren Lebensdauer.
Lohnt es sich für Daimler Truck, gewisse Technologien wie Batterie oder Brennstoffzelle inhouse zu halten?
Ja, es lohnt sich. Hierbei handelt es sich um das Herzstück der Zukunft, wie dies heute der Motor ist, und es ist ein wichtiger Teil, mit dem wir uns von anderen unterscheiden können. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass wir zwar künftig nicht alles selbst herstellen müssen, aber es ist sehr wichtig, dass wir uns die Kompetenz auch bei der Batterie, der Brennstoffzelle und bei der Wasserstoffverbrennung erarbeiten, denn wir müssen in der Lage sein, die Techniken effizienter in den Antriebsstrang zu integrieren als unsere Mitbewerber. Entsprechend bauen wir aktuell Kompetenz auch für jene Sachen auf, die wir nicht inhouse fertigen, damit wir die Technologien verstehen und in unseren Lastwagen zum Laufen bringen können. Unser Ziel ist es, unseren Kunden hoffentlich eine bessere TCO oder eine höhere Effizienz bieten zu können als einige unserer Mitbewerber.
Bewegen Sie sich mit dem Elektrifizierungsprozess in Richtung einer Pay-per-Use-Nutzung bei den LKW?
Natürlich schauen wir dies vermehrt an. Wir wollen den Kunden mehr Kostensicherheit vermitteln, was noch wichtiger wird, wenn wir neue Technologien zur Auslieferung bringen. Schon heute arbeiten viele Kunden mit Miet- und Leasing-Verträgen, entsprechend ist ein Pay-per-Use-Modell nichts grundsätzlich Neues. Aber wir sehen tatsächlich, dass der Trend in diese Richtung geht.
Karin Rådström
Seit 1. Dezember 2021 ist Karin Rådström (44) im Vorstand der Daimler Truck Holding AG und dort zuständig für Europa und Latein- amerika. Zeitgleich hat sie die Verantwortung für die Marke Mercedes-Benz Truck übernommen. Die Schwedin mit Ingenieur- Master in Industriemanagement startete ihre Nutzfahrzeugkarriere im Jahr 2004 als Trainee bei Scania. Ab 2007 hatte sie die unterschiedlichsten Managementaufgaben inne, auch ausserhalb von Schweden. Vor ihrem Eintritt bei Daimler Truck Ende 2021 war sie zuletzt bei Scania für Verkauf und Marketing zuständig.