Vom Oldie zum E-Mobil: 30 Jahre Evolution
FAHRBERICHT Was unterscheidet den 30-jährigen FH 520 16 Classic, den Urahn der FH-Baureihe, von den aktuellen FH 500 I-Save mit Dieselaggregat, FH 500 LNG mit Gasmotor und FH Electric mit 100 Prozent Elektropower? Das versuchten wir auf der Strasse und im Cockpit herauszufinden.
Das 30-Jahre-Jubiläum der Baureihe FH nutzte Volvo zu Vergleichsfahrten im bayerischen Eschenlohe. Alle vier Fahrzeuge – der 30-jährige Oldie und je ein I-Save, LNG und Electric – standen uns mit einem jeweiligen Betriebsgewicht von 36 Tonnen zur Verfügung, um über die 86 Kilometer lange, hügelige Autobahnstrecke, inkl. langer Baustelle, von Eschenlohe nach Wolfratshausen zu fahren.
Volvo FH 500 I-Save
Den Anfang machten wir mit dem I-Save. Der erste Gedanke beim Befahren der Teststrecke: ein ganz normaler Truck mit Dieselantrieb. Dem ist aber bei Weitem nicht so. Gegenüber seinem «normalen» Vorgänger bietet das D13TC-Dieselaggregat dank Turbocompound 300 Nm mehr Drehmoment bei niedrigeren Drehzahlen. Das machte sich vor allem auf der Autobahn bemerkbar. Die Nadel der Drehzahlanzeige blieb konstant auf tiefer Stellung, Gangwechsel waren trotzdem selten vonnöten. Diese zwei Faktoren kommen dem Verbrauch und demzufolge der Firmenkasse zugute. Aber auch der Chauffeur profitiert von der niedrigen Tourenzahl, denn dank ihr herrscht angenehme Ruhe im Fahrerhaus. Ein Gespräch mit dem Beifahrer ist in normaler Lautstärke möglich.
Volvo FH 500 LNG
«Der Gasantrieb liefert die gleiche Leistung und das gleiche Drehmoment wie die Dieselmotoren», erklärt uns der Volvo-Werksfahrer, der die Fahrt begleitet. Der Antriebsstrang basiert auf der Dieselmotortechnologie. Für eine maximale Reichweite werden die Fahrzeuge mit LNG betankt, das bei einem Druck von 4 bis 10 bar und einer Temperatur von –140 bis –125 °C gebunkert wird. Die grösste LNG-Tankoption ermöglicht eine Reichweite von bis zu 1000 Kilometern. Der Tankvorgang in Schutzkleidung dauert ungefähr gleich lang wie mit klassischem Diesel. Während der Fahrt wird der Treibstoff erwärmt, mit Druck beaufschlagt und in Gas umgewandelt; erst danach erfolgt die Einspritzung in den Motor. Um das Gas zu zünden, wird bei der Treibstoffeinspritzung eine kleine Menge Diesel beigemischt. Für eine Senkung der CO₂-Emissionen um 100 Prozent muss der fossile Dieseltreibstoff durch HVO (hydrierte Pflanzenöle) ersetzt und mit Bio-LNG kombiniert werden.
Während der Testfahrt ist kaum ein Unterschied zum FH 500 I-Shift auszumachen. Ruhe herrscht in der Kabine. Auch hier konnte das spannende Gespräch über die Entwicklung in Richtung Nullemissionen in normaler Lautstärke mit unserem Beifahrer geführt werden.
30 Jahre Evolution begannen mit dem Volvo FH16 520 Classic
Mit Chassis Nr. 01 steht der ehemalige Demo-Truck normalerweise im Volvo-Museum in Göteborg. Heute wird der FH16 mit seinem Dreiachsauflieger und 36 Tonnen Betriebsgewicht auf der Fahrt von Schweden nach Eschenlohe wieder mal gefordert. Nach dem Erklimmen der Fahrerkabine muss zuerst die Diagrammscheibe ausgefüllt und in den Tachografen eingelegt werden, dem Vorgängersystem der heutigen Digitalfahrtenschreiber und Fahrerkarte. Rechts vom Fahrersitz thront der mächtige Ganghebel mit seinen typischen zwei Kippschaltern. In der Kabine fühlt man sich sofort wohl und wir staunen, wie komfortabel wir vor 30 Jahren bereits unterwegs waren. Nur: In Sachen Bedienerfreundlichkeit hat sich bei den aktuellen Fahrzeugen vieles getan. Im Oldie fragen wir uns: Welcher Schalter löst hier welche Reaktion aus? Unser Volvo-Werksfahrer hat darauf stets die passende Antwort.
Aber zurück zum eben erwähnten Ganghebel: Im Grunde genommen steht uns ein 3-Gang-Getriebe mit zwei Stufen und je einem Halbgang zur Verfügung, also total zwölf Übersetzungen. Nach einer Kürzestauffrischung durch den Volvo-Fahrer geht’s los auf die Teststrecke. Nach kurzem Anfahren wird der schwarze Kippschalter betätigt und so in die zweite (obere) Gangstufe gewechselt. Anders als im I-Save und in der Gas-Variante meldet sich nun das Power-Paket kräftig aus dem Untergeschoss. Das starke 520-PS-Diesel-Aggregat verlangt auf unserer Teststrecke selten einen (oder wenn, dann meistens nur einen halben) Gangwechsel. Die bei modernen Trucks üblichen elektronischen Helfer sucht man hier vergebens. Man muss oder darf bei diesem Fahrzeug noch (fast) alles selbst bestimmen. Nostalgie pur – oder zurück zu alten Zeiten.
Volvo FH Electric
Ein abrupter Wechsel vom FH 16 Classic – oder von der Vergangenheit in die Zukunft – zum Elektroantrieb steht als Nächstes bevor. Das Cockpit ist ausser ein paar Anzeigen, die beim E-Antrieb nötig werden, wieder dasselbe wie bei I-Save und LNG. Das Geräusch des kernigen Dieselmotors weicht fast gespenstiger Ruhe. Nur auf der Autobahn sind leise Abroll- und schwache Windgeräusche hörbar. Die drei PMS-Synchronmotoren erzeugen je 163 kW, eine Dauerleistung von 489 kW und ein maximales Drehmoment von 2400 Nm. Die Leistungsstärke ist somit mit jener des Diesel- und des LNG-Aggregats absolut vergleichbar. Mit der Wahl von zwei bis sechs Batteriepaketen lassen sich die E-LKW optimal auf ihren Kurz- oder Mittelstreckeneinsatz konfigurieren.
30 Jahre Evolution nährt persönliche Gedanken
«Was ist geblieben oder was hat sich seit dem FH 16 Classic bis zum heutigen Volvo-Flaggschiff verändert?», wurden wir nach der Oldie-Testfahrt gefragt. Unsere Antwort: Geblieben sind die zwei Buchstaben FH, ansonsten hat sich alles verändert. Damit das Fahrpersonal bei Fahrzeugwechseln sofort klarkommt, sind alle Anzeigen und Bedienelemente am selben Ort, nur beim Electric verändern sich ein paar Anzeigen. So wird aus dem Tankfüllstand der Ladezustand der Batterien. Mit dem Electric bietet Volvo zudem ein gegenüber den Modellen mit Verbrennungsmotoren absolut gleichwertiges Fahrzeug für die Kurz- oder Mittelstrecke und vor allem für den Verteilerverkehr in die Ballungszentren.
Eine andere Geschichte sind all die elektronischen Helfer, die einerseits zur Erhöhung der Sicherheit und andererseits zur Senkung des Verbrauchs eingebaut werden. Speziell den vorausschauenden Tempomat I-See muss man mögen, aber auch konsequent nutzen. Bei Autobahnsteigungen zeigte uns der Tacho kurz vor der Kuppe noch knapp 60 km/h an und auf Talfahrt im Rollmodus über 95 km/h. Dies bewirkt, dass bei Steigungen nachfolgende LKW-Fahrer zum Überholen ansetzen und bei gleicher Höhe einen kurzen, fragenden Blick zu uns hinüberwerfen. Sobald die Kuppe überfahren ist und das Fahrzeug in den Rollmodus übergeht, ist man als freundlicher Verkehrsteilnehmer gezwungen, das Tempo manuell tief zu halten, bis sich der überholende Truck wieder auf seiner Spur befindet.
Dass Volvo Trucks mit der Baureihe FH nun bereits vier Mal die Auszeichnung «International Truck of the Year» gewonnen hat, zeigt, dass man beim seit 30 Jahren produzierten Erfolgsmodell vieles richtig gemacht hat. Es war spannend, wieder mal mit dem Ur-FH auf Achse zu sein. Trotzdem hat sich fast alles am Fahrzeug und bei der Technik verändert. Zum Thema Nullemissionen wird in kürzeren Zeitabständen noch einiges passieren. Unsere letzte Frage zielt darauf ab: Wie oder mit welcher Technik werden die Güter verschoben, wenn nochmals 30 Jahre Evolution verstrichen sind?