Der lange Weg bis zur Zweitverwendung in Lviv
SPEZIALTRANSPORT Mit der Ersatzbeschaffung für seine dreizehn Vevey-Trams haben die städtischen Verkehrsbetriebe Bern, Bernmobil, entschieden, zwölf der Fahrzeuge der ukrainischen Stadt Lviv zur Weiterverwendung zu schenken. Ein aufwendiges Unterfangen, auch bei der Überführung.

Vor gut einem Jahr hatten Bernmobil, das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und die Botschaft der Ukraine in der Schweiz darüber orientiert, dass die Mehrzahl der Berner Vevey-Trams in der westukrainischen Stadt Lviv zehn, zwölf Jahre weiter genutzt werden soll. Eines der gesamthaft dreizehn Fahrzeuge bleibt in Bern und wird zum Event-Tram in der ursprünglichen grün-beigen Bernmobil-Lackierung umfunktioniert. Die zwölf übrigen von Bern geschenkten Fahrzeuge werden sukzessive nach Lviv überführt, den Anfang machten Tram 736 und 742 am 1. und 2. Oktober, die nächsten zwei Trams folgen noch vor Ende Jahr.
In Lviv müssen die Fahrzeuge den lokalen gesetzlichen Vorschriften angepasst werden, wie zusätzliche Spiegel oder Beleuchtungsänderungen. Übrigens haben auch die Basler Verkehrsbetriebe BVB entschieden, ausgemusterte Trams für ein zweites Leben in Lviv zur Verfügung zu stellen. Diese Zweitverwendungen in Städten wie Lviv ist ein Teil der Bemühungen des Seco, in unterstützten Ländern die umweltfreundliche Mobilität, die Stadtentwicklung und die Raumplanung voranzutreiben. «Dies tun wir in Lviv schon deutlich länger, als der Krieg nun andauert», sagt Daniel Bruderer, stellvertretender Leiter für Infrastruktur-Finanzierung beim Seco. Eingesetzt werden die Berner Trams dereinst auf einer neuen Strecke, welche unter anderem auch ein Spital erschliesst. «Die Niederflurbauweise ist dabei nicht nur bequem, sondern mit Blick auf die vielen Kriegsverletzten eine grosse Erleichterung für viele Passagiere auf dieser neuen Strecke», so Bruderer weiter.
Seco finanziert
Bei der Finanzierung spielt das Seco eine zentrale Rolle, denn trotz Schenkung aus Bern fallen substanzielle Kosten an, bis die Trams in Lviv auch im Linieneinsatz stehen können. «Das Seco übernimmt die Kosten des Transports der Trams, die Schulung des Personals sowie die Verschleissteile der ersten zwei Betriebsjahre», erläutert Bruderer.
Mitte Jahr waren vier Techniker und Chauffeure aus der Ukraine für vier Wochen in Bern auf die Vevey-Trams eingeführt und geschult worden. Sie sollen den Betrieb am neuen Standort sicherstellen können. Mit den finanzierten Verschleissteilen sollen die neuen Besitzer genügend Zeit erhalten, um ihre eigenen Ersatzteile-Lieferanten zu finden oder aufbauen zu können. Gesamthaft setzt das Seco dafür 2 Mio. Franken ein. Wenn alles rund läuft, sollten die ersten Berner Trams Mitte 2025 im Linienbetrieb eingesetzt werden.
Nur per Strassentransport nach Lviv
Bei früheren Tram-Schenkungen wurden die Fahrzeuge für den Grossteil der Strecke per Bahn transportiert. Das ist beim Vevey-Tram nicht möglich, denn mit gut 31 Metern Länge passen die dreiteiligen Einheiten nicht mehr auf Bahnwaggons. Entsprechend wird der Transport der rund 30 Tonnen wiegenden Fahrzeuge nun komplett über die Strasse abgewickelt. Gewonnen hatte die internationale Ausschreibung für den Transportauftrag das polnische Unternehmen Panas, das Ende Oktober für die ersten Trams mit zwei speziellen Tiefladern nach Bern gekommen ist. Beide Zugfahrzeuge sind leistungsstarke Volvo FH16 mit je 750 PS, die Auflieger vom auf Schwertransporte spezialisierten Hersteller Feymonville.
Um die rund 1800 Kilometer lange Strecke zu bewältigen, benötigen die Spezialtransporte rund zwei Wochen. Bereits die erste Etappe bis zum Zollübergang in Rheinfelden dauert zwei Tage, denn in der Schweiz kann dieser Schwertransport nicht auf die Autobahn, sondern muss komplett überland abgewickelt werden. Der Grund: die Fuhre kommt auf eine Höhe von 4,45 Metern, die lichte Höhe unter Überführungen über die Autobahn ist in der Schweiz aber nur auf 4,35 Meter ausgelegt. Das ist in Deutschland und in Polen wieder anders, sodass ab der Schweizer Grenze die Fahrt im Normalfall über die Autobahn geführt wird. So führt die Route grob gesagt in nordöstlicher Richtung bis über Dresden hinaus und in der Nähe der Grenzstadt Forst nach Polen hinüber. Von dort geht es in südöstlicher Richtung weiter, bis schliesslich nach Lviv.
Die Herausforderungen, die mit einem solchen Transport einhergehen, zeigten sich bereits unmittelbar nach dem Verladen des ersten Trams auf den Tieflader. Trotz hoher Wendigkeit mit den verschieden lenkbaren Achsen mussten der Chauffeur und seine Begleiter ihr ganzes Können an den Tag legen, um die Zugkombination aus dem Tramdepot hinaus und über den nur Tram-gerechten Vorplatz des Depots zu manövrieren, um die Fuhre auf die Strasse und damit auf die Strecke zu bringen.
Das Vevey-Tram
Vor 34,5 Jahren fand die Jungfernfahrt des Vevey-Trams in Bern statt. Produziert vom Lieferkonsortium Vevey/ABB wies das unter der Typenbezeichnung «Be 4/8er» gebaute Fahrzeug erstmals einen Niederfluranteil von 70 Prozent auf, was einem Meilenstein im öffentlichen Verkehr gleichkam. Umso wichtiger ist es für Bernmobil, ein Tram als Oldtimer weiterverwenden zu können.