Digitalisierung und Mensch – Mensch und Digitalisierung
LOGISTIK-FACHTAGUNG «Mensch und Innovation» hiess die Fachveranstaltung der Dachser (Schweiz) AG, die Ende September in Biel durchgeführt worden war. Dabei wurde ein vertiefter Einblick vermittelt, wie die Digitalisierung nicht nur die Logistik verändert, sondern auch, wie der Mensch damit umgeht.
Automatisierung ist das Thema der Stunde, nicht zuletzt auch in der Logistikbranche. In Zeiten des fast schon chronischen Mangels an Fachkräften bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Logistikdienstleistungen braucht es innovative Ansätze, um die Kundenbedürfnisse abzudecken. Vor diesem Hintergrund konnte das Thema der Fachveranstaltung aktueller nicht sein. Vier Referate beleuchteten die Digitalisierung aus verschiedenen Perspektiven.
Digitaler Nachholbedarf
Die Übersicht über den Stand der Dinge gab Lars Guggisberg, Direktor des Verbands Gewerbe Berner KMU und Nationalrat. Trotz guter Rahmenbedingungen habe die Schweiz noch erheblichen Nachholbedarf. Besonders frappierend befindet Guggisberg die mangelnde Investitionsbereitschaft und die Rückständigkeit bei E-Government etwa im Vergleich mit den ähnlich grossen Volkswirtschaften skandinavischer Länder. Auch wenn politische Vorstösse für die Förderung von Digitalisierungsinitiativen kürzlich erfolgreich durchgebracht worden sind, dürfte deren praktische Umsetzung gemäss Guggisberg noch dauern. Erfolgversprechender beurteilt er eine kürzlich gemeinsam von Gewerbe Berner KMU und Digitalswitzerland aufgegleiste Kooperation für niederschwellige Digitalisierungsangebote für Gewerbebetriebe.
Digitalisierung für eine effizientere Logistik
In eine andere Welt entführte Stefan Hohm, Chief Development Officer und Vorstandsmitglied von Dachser. Er sprach von einem cyber-sozio-physischen System in der Logistik, in dem die Daten- und physischen Warenströme ineinanderfliessen und durch Menschen zum passgenauen Fulfillment geführt werden. «Der Mensch steht im Mittelpunkt des Geschehens. Die Technologie soll nicht die ultimative Entscheidung treffen», so der Grundsatz bei Dachser. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) wurden und werden bei Dachser verschiedene Innovationen eingeführt: Von sich teilautonom bewegenden Flurförderfahrzeugen über Exoskelette, die beim Heben von schweren Lasten unterstützen, bis hin zu einem komplett als digitaler Zwilling angelegten Lagerhaus. Dank Data-Matrix-Codes auf allen Paletten können die Waren dort lückenlos verfolgt werden, was Such- und Beladungszeiten reduziert.
Dachser ist auch Mitglied der Open Logistics Foundation, welche zum Ziel hat, branchenübergreifende Datenstandards zu schaffen. Dies alles bezweckt eine noch höhere Automatisierung in der Logistik. So steht am süddeutschen Standort Memmingen bereits heute ein automatisches Hochregallager, in dem pro Stunde 200 Paletten ein- und ausgelagert werden können. Für die Zukunft erwägt Dachser zweistöckige Umschlagsterminals, einerseits, um die benötigte Landfläche zu reduzieren, anderseits aber auch, um die Effizienz zu steigern: «Oben rein, unten raus» könnte die Formel lauten.
Dass die Mitarbeitenden diese Entwicklungen mittragen, hat viel mit einer offenen und transparenten Kommunikation zu tun. Stefan Hohm räumte ein, dass ein Teil der Personen erst überzeugt werden muss und andere die aktuelle Entwicklungen nicht mitmachen wollen. Doch indem Mitarbeitende auch befähigt sind, einfache Apps für Kleinstprozesse selbst zu programmieren, kann die Hemmschwelle gegenüber Neuem gesenkt werden. Abgesehen davon, kann dadurch ein ganzes Heer von IT-Fachkräften gespart werden, die gerade für ein Logistikunternehmen schwer zu finden sind.
Der Mensch: Ein Beziehungswesen
Was macht aber die Digitalisierung grundsätzlich mit uns Menschen? Wie viel Digitalisierung hält der Mensch aus? Fragen, die Markus Ramming, promovierter Neurobiologe und Coach für Neuroleadership und Neuroscience im Management, beleuchtete. «Das Gehirn wird zu dem, für das wir es nutzen», so seine Kernaussage. Wird etwa ein Kind schon früh aufs Fernsehen «getrimmt», wird es dereinst zu einem Experten fürs Fernsehen, meint Ramming beispielsweise. Daraus abgeleitet: «Um ‚Experten‘ für Digitalisierung zu werden, müssen wir lernen, mit ihr umzugehen.»
Da der Mensch in vielen Bereichen Routinen entwickelt, eröffnen sich der künstlichen Intelligenz Möglichkeiten, diese Routinen nicht nur zu erkennen, sondern auch selbst zu lernen. Das Risiko liegt auf der Hand: Irgendwann werden wir nicht mehr unterscheiden können, ob am anderen Ende des Telefons nun ein echter Mensch spricht oder eben eine künstliche Intelligenz. «Wir sind beeinflussbar, und die KI kann lernen, dies auszunutzen», so Ramming. Dagegenhalten kann der Mensch aber mit zwei Strategien: Einerseits durch das Entwickeln eines Bewusstseins für die Fähigkeiten der Digitalisierung, anderseits auch durch das Schaffen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Zu beachten sei, dass jeder individuelle Bedürfnisse, besondere Motivationsfaktoren und Ängste habe, die berücksichtigt werden müssten. Nur unter Beachtung dieser Individualität funktioniere Innovationsmanagement.
Automatisiertes oder autonomes Fahren?
Markus Hackenfort von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sprach beim autonomen Fahren von zwei Entwicklungslinien: der «evolutionären», die von den fünf SAE-Levels ausgeht, und der «revolutionären», die direkt mit dem obersten Level, dem autonomen Fahren, einsteigt. Ein Beispiel für Letzteres ist das junge Unternehmen Cruise, das in San Francisco und Phoenix mit komplett fahrerlosen Taxis derzeit für Furore sorgt. Vorteile von autonomem Fahren sind zahlreich: Weniger ermüdungsbedingte Unfälle, mobilitätseingeschränkte Personen können besser integriert werden, Taxiunternehmen können Personalkosten sparen, und es eröffnen sich neue Geschäftsmodelle nach dem Muster «… as a service».
Autonomes Fahren ohne Eingreifmöglichkeiten durch einen Menschen kann aber auch nachteilig sein, denn wie sich zeigt, lassen sich die Cruise-Fahrzeuge ganz einfach sabotieren. So reicht es etwa, einen Gegenstand auf die Motorhaube zu stellen, der die Kamerasicht stört und damit das Fahrzeug zum Anhalten zwingt – Sabotageakte, die in San Francisco durchaus vorkommen. Doch trotz vieler offener Fragen und ungelöster Probleme zieht Markus Hackenfort ein eindeutiges Fazit: Vollautomatisierte Fahrzeuge sind eine Realität. «Die weitere Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen.»
Wirtschaft und Wissenschaft zusammen
Fazit der Fachveranstaltung: Von den Innovationen der Digitalisierung können nicht nur Branchen wie die Logistik profitieren, sondern auch die Gesellschaft. Vorausgesetzt, sie entwickelt die richtige Einstellung gegenüber neuen Entwicklungen, die nicht nur Risiken, sondern auch viele Chancen in sich bergen. «Wir sehen Fachveranstaltungen wie diese als hervorragende Möglichkeit, um Experten und Expertinnen aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen und Zukunftsbilder für Transport, Logistik und das Supply Chain Management zu entwerfen», sagt Stefan Krüger, Sales Manager Dachser European Logistics Bern. «Wir wollen die Teilnehmenden motivieren, den digitalen Wandel in den eigenen Unternehmen weiter voranzutreiben, und wollen Potenziale der Zusammenarbeit mit einem Logistikdienstleister wie Dachser aufzeigen.»