Liebling, ich habe den «Snap» geschrumpft!
AUTONOMES FAHREN Frank M. Rinderknecht, der wohl bekannteste Schweizer Mobilitäts-Visionär, hat sein im Vorjahr präsentiertes Konzept mit Wechselaufbau «Snap» überarbeitet und kleiner gemacht. Der microSNAP wird auch am Autosalon in Genf zu sehen sein.

Mit dem «Snap», vorgestellt Anfang 2018 auf der CES in Las Vegas, zeigte die Schweizer Ideenschmiede Rinspeed erstmals ein Fahrzeug, bei dem Fahrwerk («Skateboards») und Aufbauten («Pods») jederzeit (nach Bedarf) austauschbar sind. Nun folgte der zweite Streich mit diesem Konzept.
Unter dem Motto «Think mighty micro!» zeigte Firmenchef Frank M. Rinderknecht auf der CES 2019 eine auf die Grösse eines Renault Twizy verkleinerte Version des Snap, nämlich den microSNAP. Gleichzeitig präsentierte er zum ersten Mal eine vollautomatisierte Roboterstation, die Fahrgestell und Aufbauten selbstständig zusammenfügt und trennt, unter Fachleuten in der Automobilproduktion auch als «Hochzeit» bekannt, hier allerdings nur temporär.
Onlinehandel verlangt Umdenken Für den Schweizer Autovisionär ist die Zeit der grossen Lieferwagen, die Kunden wie Perlen auf einer Schnur nacheinander über den Tag bedienen, vorbei. Weil der Onlinehandel boomt und er inzwischen auch den Fresh-Food-Bereich einbezieht, glaubt Rinderknecht vielmehr an kleine autonome Fahrzeuge, die ausschwärmen und ohne Umwege ihr Gut «just in time» zum Kunden bringen. Schneller und einfacher geht es nicht – sogar gekühlt oder gewärmt. Bald erwartet der immer ungeduldiger werdende Kunde eine Lieferzeit von zwei Stunden. «Der Pöstler oder Kurierfahrer, der seinen Van am Morgen vollpackt und bis am Abend 200 Adressen angefahren hat, wird künftig nur noch beschränkt funktionieren. Man bestellt und will es sofort haben.» Das bedingt kleinere Fahrzeuge, die nur wenige oder gar nur einen Auftrag ausführen, dafür sofort.
Zu Rinderknechts Vision gehören aber auch zweisitzige «Robo-Units», die ihre Passagiere komfortabel und effizient auf dem kürzesten Weg ans Ziel bringen. Rinderknecht ist sich sicher: «Kunden wollen mehr und mehr zeitnah beliefert werden und viele Passagiere keine Sammeltaxis, die systembedingt zeitintensive Umwege fahren müssen.» Es sei zwar von der Logik her klar, dass es nicht sinnstiftend ist, wenn nur einer im Fahrzeug sitzt. «Wenn ich mir aber die Shuttles mit acht bis 15 Plätzen anschaue, die als Sammeltaxis auf nicht festgelegten Routen fahren, so wird das nicht funktionieren. Anstatt von A nach B zu fahren, fährt man stattdessen zuerst nach C und dann nach D und die Wahrscheinlichkeit, dass alle diese Punkte auf einer Linie liegen, ist zu klein. Wie viele Minuten Umweg ist man bereit, für günstige Mobilität in Kauf zu nehmen? Der Moment, wo man sich das nicht mehr antun will und ein eigenes Auto kauft, kommt früh. Wenn man alleine fahren will, reicht dafür ein kleiner Zweiplätzer.»

Entwicklung zu schnell für Lebenszyklen Gespräche mit Investoren seien am Laufen, um den «Snap» auf die Strasse zu bringen. Die Resonanz in der automobilen Fachwelt auf das revolutionäre Konzept sei gewaltig. Aber auch die grossen Medien berichteten darüber. So warf der «Blick» am 25. September Mercedes-Benz gar vor, dass das Konzept «Vision Urbanetic» (TIR 10/2018) zu grossen Teilen ein Plagiat von Rinspeeds Idee sei. Die verblüffende Ähnlichkeit des Konzeptes war natürlich auch uns an der Mercedes-Präsentation aufgefallen, doch auf Anfrage wurde uns von oberster Stelle versichert, es sei komplett unabhängig entwickelt worden. Rinderknecht selbst nimmt den mutmasslichen Ideenklau gelassen: «Imitation ist ja bekanntlich die aufrichtigste Form der Schmeichelei.»
Ob «Snap» oder «microSNAP», die Grundidee bleibt: Während die Aufbauten so lange halten wie ein Auto heute, enthält das Fahrwerk alle verschleiss- und alterungsanfälligen Komponenten wie die IT-Technik für das automatisierte Fahren. «Skateboards» und «Pods» sind nur Kurzzeitpartner. So nutzen vielfältige Aufbauten die gerade verfügbaren «Skateboards». Nach wenigen Jahren werden diese rezykliert, weil die Grenze ihrer Betriebsdauer erreicht ist. Sie entgehen damit elegant einem teuren und komplizierten Hardware-Update und Innovation (z.B. in der Batterietechnologie) fliesst fast unmittelbar ins Fahrzeug ein.
Bereits zum vierten Mal wählte Rinspeed für die Premiere seines Konzepts die Consumer Electronic Show CES in Las Vegas und nicht mehr den Automobil-Salon Genf. «Die CES ist ein buntes Gefäss von Innovationen und Neuheiten von schräg bis realistisch», so Rinderknecht. «Es ist das ideale Gefäss, um so etwas wie microSNAP zu zeigen. Nichts gegen die klassischen Automessen, aber sie gehören zur alten Welt.»
