Zweites Leben für Berner Vevey-Tram – in der Ukraine
SPEZIALTRANSPORT Mit der Anschaffung neuer Trams von Stadler Rail werden nun zwölf bisherige Trams in Bern sukzessive ausgemustert. Zusammen mit 67 Trams der VBZ werden die Berner Vevey-Trams in der Ukraine 12 bis 15 weitere Jahre im Einsatz bleiben.
Die Niederflurtrams «Vevey» gehören in Bern gefühlt seit ewig zum Stadtbild, doch nach rund 35 Jahren ist nun bald Schluss – zwölf Vevey-Trams werden durch neue Tramlink-Fahrzeuge von Stadler Rail ersetzt. Die ersten von gesamthaft 27 Tramlinks stehen seit letztem November in der Flotte von Bernmobil im Einsatz. Diese 42,5 Meter langen Strassenbahnen ersetzen bis im Jahr 2025 neben den zwölf bereits erwähnten Vevey-Trams auch neun RBS-Trams auf der Linie 6. Letztere sind national besser bekannt als das Blaue Bähnli vom Sketch «Dr schnäuscht Wäg nach Worb», der 1954 erstmals vom Radiostudio Bern ausgestrahlt worden war.
Berner Vevey-Tram mit historischer Bedeutung
Dem Vevey-Tram kommt eine besondere Bedeutung zu, denn es war das erste Niederflur-Tram aus Schweizer Produktion. Entsprechend wehmütig blicken viele Berner auf das bevorstehende Ende dieses Traditionsgefährts. «Deshalb bin ich sehr froh, dass diese Trams in der Ukraine einen neuen Einsatz finden», umschreibt die für Verkehr zuständige Berner Gemeinderätin Marieke Kruit das Sentiment in Bern treffend. «Aber die Vevey-Trams sind auch historisch wichtig», sagt René Schmied, Direktor von Bernmobil, weshalb nur elf davon nach Lviv gehen. Eines verbleibt in Bern und wird dem historischen Fahrzeugpark von Bernmobil beigefügt.
Für die Überführung der tonnenschweren Schienenfahrzeuge zu ihrem zweiten Leben in der Ukraine arbeitet Bernmobil eng mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zusammen. «Der Tram-Export hat beim Seco Tradition», erklärt Dominique Paravicini, Leiter des Seco, anlässlich der Bekanntgabe der Zweitverwendung der Vevey-Trams in der Ukraine. 2003 begannen beispielsweise das Seco und Bernmobil mit dem Export gebrauchter Trams nach Rumänien. Das aktuelle Projekt ist nun die dritte Zusammenarbeit von Seco und Bernmobil.
Rollendes Zeichen der Solidarität
Das Seco finanziert den Transport der Trams und der Ersatzteile und bezahlt die Schulung von vier ukrainischen Mitarbeitern der Verkehrsbetriebe Lviv in Bern. Letztere werden für den Betrieb der Vevey-Trams vor Ort verantwortlich sein. An der Orientierung im Tramdepot von Bernmobil war auch der ukrainische Botschafter Andrii Biriuchenko zugegen: «Der Angriffskrieg Russlands auf unser Land verlangt uns viel Kraft ab. Solche Projekte helfen uns, die nötige Stärke aufzubringen.»
Das Seco hat mit dem Krieg die jährlichen Unterstützungsbeiträge für die Ukraine mehr als vervierfacht, von 12 Millionen Franken auf 55 Millionen Franken im Jahr 2022. Im laufenden Jahr sind 50 Millionen Franken vorgesehen, 1,2 Millionen davon sind für Transport, Ersatzteile und Ausbildung lokaler Mitarbeiter im Zusammenhang mit den Vevey-Trams vorgesehen. Das Seco finanziert auch den Bau einer neuen Tramlinie zu einem Spital in Lviv. Auf ihr sollen auch die Vevey-Trams eingesetzt werden. «Die Trams sind demnach ein rollendes Zeichen der Solidarität», bringt es Paravicini auf den Punkt.
Anspruchsvoller Transport
Mit der Organisation des Transports der Trams aus Bern hat das Seco die Firma Rubi Bahntechnik beauftragt, die in den vergangenen zwei Jahren bereits 28 Tram2000 der VBZ in die Ukraine nach Vinnytsa überführt hatte. Ein solcher Transport dauert jeweils zwei bis drei Wochen. Dabei müssen die Trams in der Schweiz per Spezialtransport mit Tiefladern zu einem Verladepunkt gebracht werden, wo sie mit jeweils zwei Pneukränen auf die rund 24 Meter langen Bahnwaggons umgeladen werden. Dieser Ladepunkt ist für die VBZ-Trams in Niederglatt.
Der Krieg bringt es nun mit sich, dass für jeden neuen Transport in Zielnähe die lokal geeigneten Umladepunkte neu gefunden werden müssen, ebenso die Tieflader und die Pneukräne. Aktuell müssen die Trams bereits vor der Grenze zur Ukraine von der Bahn abgeladen werden, je nach Ziel in der Ukraine in Polen oder Ungarn. Dann werden sie auf Tiefladern über die Grenze und zum Ziel gebracht. Auch bei den Ersatzteiltransporten kämpfen die beauftragten Transporteure oft mit Schwierigkeiten, da solche Teile am Zoll regelmässig Probleme verursachen. Unbestritten die grösste Herausforderung respektive Gefahr für Tram und Transport stellt aus Sicht der Verantwortlichen von Rubi Bahntechnik der Krieg selbst dar, dicht gefolgt vom möglichen Diebstahl von Tramteilen während des Transports.
Das erste Vevey-Tram wird voraussichtlich im Spätsommer auf die Reise nach Lviv geschickt werden. Für acht Tram2000 der VBZ beginnt die Reise nach Vinnytsa bereits im Frühling.